Bei den niedersten Thieren, den Urthieren oder Protozoen, existirt
[Abbildung]
Fig. 27.
Verschiedene Infusorien.
durchaus keine geschlechtliche Zeugung, keine Bildung eines wahren Eies, welches durch Befruchtung erst die Fähigkeit erhält, sich zu einem selbststän- digen Thiere zu entwickeln. Der Charakter ihres gesamm- ten Körperbaues entspricht dem der Zelle, ihre Körpersubstanz ist we- sentlich die oben erwähnte Sarkode; der Körper selbst hat eine mehr oder minder rundliche Gestalt, in welcher keine bestimmte regelmäßige Gruppirung von Organen wahrgenommen werden kann. Die jungen Thiere entwickeln sich in ähnlicher Weise wie die primitiven Zellen, meistens durch Theilung des Mutterthieres und selbstständige Ent- wickelung eines jeden einzelnen Theiles, oder durch Knospung oder Erzeugung selbstständig belebter Sprossen aus dem Inneren des Körpers. Uebereinstimmend mit dieser Entwickelung ist auch bei dem einfachen Bau der niedersten Thiere ihre Unterscheidung von den Pflanzen um so schwieriger, je mehr sie den Charakter einer einfachen Zelle bei- behalten.
Alle übrigen Thiere pflanzen sich durch geschlechtliche Zeugung, durch wirkliche Eier, wirkliche Embryonen fort, obgleich andere Arten der Fortpflanzung wie Knospung, Sprossung etc. durch diese geschlecht- liche Funktion nicht ausgeschlossen sind. Aber hier lassen sich wieder zwei große Gruppen oder Provinzen unterscheiden. In der einen Provinz verwandelt sich das ganze Ei, der gesammte Dotter durch allmählige Umbildung in das junge Thier; nirgends zeigt sich ein Gegensatz zwischen dem werdenden Thiere und einem Theile des Dot- ters. Die Anlagerung verschiedener Organe aber bedingt bemerkens- werthe Unterschiede in dieser Provinz und dadurch eine weitere Ein- theilung in beschränktere Kreise. Bei dem Kreise der Strahlthiere (Radiata) lagern sich die Organe in gleichnamiger Wiederholung strahlenförmig um eine Axe, welche hauptsächlich durch den Mund bezeichnet wird, so daß der Körper in eine gewisse Anzahl von Seg- menten zerfällt, welche dieselbe Zusammensetzung haben, und die ein- zeln vorkommenden Organe (Mund, Darm etc.) in dieser Axe selbst liegen. Die Entwickelung um diese Axe geht gleichmäßig in allen Organen vor sich und wiederholt sich nach den einzelnen Strahlen- richtungen hin in gleichmäßiger Weise. Die Korallen, die Scheiben- quallen, die Seesterne können als Typen dieser Bildungsweise dienen.
Bei den niederſten Thieren, den Urthieren oder Protozoen, exiſtirt
[Abbildung]
Fig. 27.
Verſchiedene Infuſorien.
durchaus keine geſchlechtliche Zeugung, keine Bildung eines wahren Eies, welches durch Befruchtung erſt die Fähigkeit erhält, ſich zu einem ſelbſtſtän- digen Thiere zu entwickeln. Der Charakter ihres geſamm- ten Körperbaues entſpricht dem der Zelle, ihre Körperſubſtanz iſt we- ſentlich die oben erwähnte Sarkode; der Körper ſelbſt hat eine mehr oder minder rundliche Geſtalt, in welcher keine beſtimmte regelmäßige Gruppirung von Organen wahrgenommen werden kann. Die jungen Thiere entwickeln ſich in ähnlicher Weiſe wie die primitiven Zellen, meiſtens durch Theilung des Mutterthieres und ſelbſtſtändige Ent- wickelung eines jeden einzelnen Theiles, oder durch Knoſpung oder Erzeugung ſelbſtſtändig belebter Sproſſen aus dem Inneren des Körpers. Uebereinſtimmend mit dieſer Entwickelung iſt auch bei dem einfachen Bau der niederſten Thiere ihre Unterſcheidung von den Pflanzen um ſo ſchwieriger, je mehr ſie den Charakter einer einfachen Zelle bei- behalten.
Alle übrigen Thiere pflanzen ſich durch geſchlechtliche Zeugung, durch wirkliche Eier, wirkliche Embryonen fort, obgleich andere Arten der Fortpflanzung wie Knoſpung, Sproſſung etc. durch dieſe geſchlecht- liche Funktion nicht ausgeſchloſſen ſind. Aber hier laſſen ſich wieder zwei große Gruppen oder Provinzen unterſcheiden. In der einen Provinz verwandelt ſich das ganze Ei, der geſammte Dotter durch allmählige Umbildung in das junge Thier; nirgends zeigt ſich ein Gegenſatz zwiſchen dem werdenden Thiere und einem Theile des Dot- ters. Die Anlagerung verſchiedener Organe aber bedingt bemerkens- werthe Unterſchiede in dieſer Provinz und dadurch eine weitere Ein- theilung in beſchränktere Kreiſe. Bei dem Kreiſe der Strahlthiere (Radiata) lagern ſich die Organe in gleichnamiger Wiederholung ſtrahlenförmig um eine Axe, welche hauptſächlich durch den Mund bezeichnet wird, ſo daß der Körper in eine gewiſſe Anzahl von Seg- menten zerfällt, welche dieſelbe Zuſammenſetzung haben, und die ein- zeln vorkommenden Organe (Mund, Darm etc.) in dieſer Axe ſelbſt liegen. Die Entwickelung um dieſe Axe geht gleichmäßig in allen Organen vor ſich und wiederholt ſich nach den einzelnen Strahlen- richtungen hin in gleichmäßiger Weiſe. Die Korallen, die Scheiben- quallen, die Seeſterne können als Typen dieſer Bildungsweiſe dienen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0070"n="64"/>
Bei den niederſten Thieren, den <hirendition="#g">Urthieren</hi> oder <hirendition="#g">Protozoen</hi>, exiſtirt<lb/><figure><head>Fig. 27. </head><p>Verſchiedene Infuſorien.</p></figure><lb/>
durchaus keine geſchlechtliche<lb/>
Zeugung, keine Bildung eines<lb/>
wahren Eies, welches durch<lb/>
Befruchtung erſt die Fähigkeit<lb/>
erhält, ſich zu einem ſelbſtſtän-<lb/>
digen Thiere zu entwickeln.<lb/>
Der Charakter ihres geſamm-<lb/>
ten Körperbaues entſpricht dem der Zelle, ihre Körperſubſtanz iſt we-<lb/>ſentlich die oben erwähnte Sarkode; der Körper ſelbſt hat eine mehr<lb/>
oder minder rundliche Geſtalt, in welcher keine beſtimmte regelmäßige<lb/>
Gruppirung von Organen wahrgenommen werden kann. Die jungen<lb/>
Thiere entwickeln ſich in ähnlicher Weiſe wie die primitiven Zellen,<lb/>
meiſtens durch Theilung des Mutterthieres und ſelbſtſtändige Ent-<lb/>
wickelung eines jeden einzelnen Theiles, oder durch Knoſpung oder<lb/>
Erzeugung ſelbſtſtändig belebter Sproſſen aus dem Inneren des Körpers.<lb/>
Uebereinſtimmend mit dieſer Entwickelung iſt auch bei dem einfachen<lb/>
Bau der niederſten Thiere ihre Unterſcheidung von den Pflanzen um<lb/>ſo ſchwieriger, je mehr ſie den Charakter einer einfachen Zelle bei-<lb/>
behalten.</p><lb/><p>Alle übrigen Thiere pflanzen ſich durch geſchlechtliche Zeugung,<lb/>
durch wirkliche Eier, wirkliche Embryonen fort, obgleich andere Arten<lb/>
der Fortpflanzung wie Knoſpung, Sproſſung etc. durch dieſe geſchlecht-<lb/>
liche Funktion nicht ausgeſchloſſen ſind. Aber hier laſſen ſich wieder<lb/>
zwei große Gruppen oder Provinzen unterſcheiden. In der einen<lb/>
Provinz verwandelt ſich das ganze Ei, der geſammte Dotter durch<lb/>
allmählige Umbildung in das junge Thier; nirgends zeigt ſich ein<lb/>
Gegenſatz zwiſchen dem werdenden Thiere und einem Theile des Dot-<lb/>
ters. Die Anlagerung verſchiedener Organe aber bedingt bemerkens-<lb/>
werthe Unterſchiede in dieſer Provinz und dadurch eine weitere Ein-<lb/>
theilung in beſchränktere Kreiſe. Bei dem Kreiſe der <hirendition="#g">Strahlthiere<lb/>
(<hirendition="#aq">Radiata</hi>)</hi> lagern ſich die Organe in gleichnamiger Wiederholung<lb/>ſtrahlenförmig um eine Axe, welche hauptſächlich durch den Mund<lb/>
bezeichnet wird, ſo daß der Körper in eine gewiſſe Anzahl von Seg-<lb/>
menten zerfällt, welche dieſelbe Zuſammenſetzung haben, und die ein-<lb/>
zeln vorkommenden Organe (Mund, Darm etc.) in dieſer Axe ſelbſt<lb/>
liegen. Die Entwickelung um dieſe Axe geht gleichmäßig in allen<lb/>
Organen vor ſich und wiederholt ſich nach den einzelnen Strahlen-<lb/>
richtungen hin in gleichmäßiger Weiſe. Die Korallen, die Scheiben-<lb/>
quallen, die Seeſterne können als Typen dieſer Bildungsweiſe dienen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[64/0070]
Bei den niederſten Thieren, den Urthieren oder Protozoen, exiſtirt
[Abbildung Fig. 27. Verſchiedene Infuſorien.]
durchaus keine geſchlechtliche
Zeugung, keine Bildung eines
wahren Eies, welches durch
Befruchtung erſt die Fähigkeit
erhält, ſich zu einem ſelbſtſtän-
digen Thiere zu entwickeln.
Der Charakter ihres geſamm-
ten Körperbaues entſpricht dem der Zelle, ihre Körperſubſtanz iſt we-
ſentlich die oben erwähnte Sarkode; der Körper ſelbſt hat eine mehr
oder minder rundliche Geſtalt, in welcher keine beſtimmte regelmäßige
Gruppirung von Organen wahrgenommen werden kann. Die jungen
Thiere entwickeln ſich in ähnlicher Weiſe wie die primitiven Zellen,
meiſtens durch Theilung des Mutterthieres und ſelbſtſtändige Ent-
wickelung eines jeden einzelnen Theiles, oder durch Knoſpung oder
Erzeugung ſelbſtſtändig belebter Sproſſen aus dem Inneren des Körpers.
Uebereinſtimmend mit dieſer Entwickelung iſt auch bei dem einfachen
Bau der niederſten Thiere ihre Unterſcheidung von den Pflanzen um
ſo ſchwieriger, je mehr ſie den Charakter einer einfachen Zelle bei-
behalten.
Alle übrigen Thiere pflanzen ſich durch geſchlechtliche Zeugung,
durch wirkliche Eier, wirkliche Embryonen fort, obgleich andere Arten
der Fortpflanzung wie Knoſpung, Sproſſung etc. durch dieſe geſchlecht-
liche Funktion nicht ausgeſchloſſen ſind. Aber hier laſſen ſich wieder
zwei große Gruppen oder Provinzen unterſcheiden. In der einen
Provinz verwandelt ſich das ganze Ei, der geſammte Dotter durch
allmählige Umbildung in das junge Thier; nirgends zeigt ſich ein
Gegenſatz zwiſchen dem werdenden Thiere und einem Theile des Dot-
ters. Die Anlagerung verſchiedener Organe aber bedingt bemerkens-
werthe Unterſchiede in dieſer Provinz und dadurch eine weitere Ein-
theilung in beſchränktere Kreiſe. Bei dem Kreiſe der Strahlthiere
(Radiata) lagern ſich die Organe in gleichnamiger Wiederholung
ſtrahlenförmig um eine Axe, welche hauptſächlich durch den Mund
bezeichnet wird, ſo daß der Körper in eine gewiſſe Anzahl von Seg-
menten zerfällt, welche dieſelbe Zuſammenſetzung haben, und die ein-
zeln vorkommenden Organe (Mund, Darm etc.) in dieſer Axe ſelbſt
liegen. Die Entwickelung um dieſe Axe geht gleichmäßig in allen
Organen vor ſich und wiederholt ſich nach den einzelnen Strahlen-
richtungen hin in gleichmäßiger Weiſe. Die Korallen, die Scheiben-
quallen, die Seeſterne können als Typen dieſer Bildungsweiſe dienen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/70>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.