dieses Satzes verwahren, die während einiger Zeit in der Wissenschaft gäng und gebe war, so daß man nicht nur behauptete, der menschliche Embryo sey im Beginne Fisch, Amphibium oder Reptil, sondern sogar noch weiter zurückgriff, und die Ansicht aufstellte, er laufe Entwicke- lungsphasen durch, welche die Organisation der Weichthiere, der Würmer u. s. w. wiederholten. Man suchte auf einige entfernte und großen Theils sogar falsch aufgefaßte Aehnlichkeiten gestützt, auf diese Weise die Einheit des Planes, nach welchem das ganze Thierreich aufgebaut sein sollte, darzuthun. Bei der jetzt schon erlangten Kennt- niß der so verschiedenartigen Grundpläne, nach welchen die Kreise der wirbellosen Thiere gebaut sind, dürfte es vollkommen unnöthig erschei- nen, diese Ansicht hier noch weiter zu bekämpfen. Es wird ebenso aus dem Folgenden hervorgehen, daß zwar ein gemeinsamer Grund- plan für alle Wirbelthiere existirt, daß aber damit noch bei Weitem nicht eine völlige Gleichstellung der embryonalen Entwickelungsphasen mit den successiv ausgebildeten Typen der erwachsenen Thiere erreicht sei, sondern daß im Gegentheile eine jede Klasse der Wirbelthiere wieder ganz eigenthümliche Entwickelungsmomente besitzt, welche mit denen der übrigen Klassen nicht verwechselt werden können.
Betrachten wir nun die Gesammtorganisation der Wirbelthiere, so stellt sich als erster wesentlicher Charakter die symmetrische La- gerung der Organe zu beiden Seiten einer senkrechten Mittelebene dar. Bei vielen Wirbelthieren ist diese Symmetrie so durchaus gewahrt, daß auch nicht die leiseste Andeutung einer Abweichung vorkommt; bei sehr vielen sind alle Organe symmetrisch gestellt mit Ausnahme der Unterleibseingeweide, besonders des Darmes und der Leber, welche eine unregelmäßige Lagerung darbieten. Nur sehr selten kommen die Beispiele vor, in welchen auch das Knochensystem und namentlich der Schädel mit in solche asymmetrische Bildung hineingezogen wird, da man sonst in diesem, sowie in dem Nervensysteme gerade die strengste Symmetrie ausgebildet findet. Bei dieser Lagerung der Theile zeigt sich jedoch nur hier und da eine Spur jener Abtheilung in Querringe oder Zoniten, wodurch sich die Würmer und Gliederthiere so sehr auszeichnen. An einigen Stellen, wie in dem Knochensysteme und besonders an den Wirbeln erblickt man freilich ausgebildete Quer- ringe, aus denen namentlich die Wirbelsäule zusammengesetzt ist; -- sonst sieht man nur größere Abtheilungen, in welche der Körper mehr oder minder deutlich getrennt erscheint. So besitzen alle Wirbelthiere zwar einen Kopf, Träger des Gehirnes, der spezifischen Sinnesorgane und des Einganges zum Verdauungskanale; allein sehr häufig und
dieſes Satzes verwahren, die während einiger Zeit in der Wiſſenſchaft gäng und gebe war, ſo daß man nicht nur behauptete, der menſchliche Embryo ſey im Beginne Fiſch, Amphibium oder Reptil, ſondern ſogar noch weiter zurückgriff, und die Anſicht aufſtellte, er laufe Entwicke- lungsphaſen durch, welche die Organiſation der Weichthiere, der Würmer u. ſ. w. wiederholten. Man ſuchte auf einige entfernte und großen Theils ſogar falſch aufgefaßte Aehnlichkeiten geſtützt, auf dieſe Weiſe die Einheit des Planes, nach welchem das ganze Thierreich aufgebaut ſein ſollte, darzuthun. Bei der jetzt ſchon erlangten Kennt- niß der ſo verſchiedenartigen Grundpläne, nach welchen die Kreiſe der wirbelloſen Thiere gebaut ſind, dürfte es vollkommen unnöthig erſchei- nen, dieſe Anſicht hier noch weiter zu bekämpfen. Es wird ebenſo aus dem Folgenden hervorgehen, daß zwar ein gemeinſamer Grund- plan für alle Wirbelthiere exiſtirt, daß aber damit noch bei Weitem nicht eine völlige Gleichſtellung der embryonalen Entwickelungsphaſen mit den ſucceſſiv ausgebildeten Typen der erwachſenen Thiere erreicht ſei, ſondern daß im Gegentheile eine jede Klaſſe der Wirbelthiere wieder ganz eigenthümliche Entwickelungsmomente beſitzt, welche mit denen der übrigen Klaſſen nicht verwechſelt werden können.
Betrachten wir nun die Geſammtorganiſation der Wirbelthiere, ſo ſtellt ſich als erſter weſentlicher Charakter die ſymmetriſche La- gerung der Organe zu beiden Seiten einer ſenkrechten Mittelebene dar. Bei vielen Wirbelthieren iſt dieſe Symmetrie ſo durchaus gewahrt, daß auch nicht die leiſeſte Andeutung einer Abweichung vorkommt; bei ſehr vielen ſind alle Organe ſymmetriſch geſtellt mit Ausnahme der Unterleibseingeweide, beſonders des Darmes und der Leber, welche eine unregelmäßige Lagerung darbieten. Nur ſehr ſelten kommen die Beiſpiele vor, in welchen auch das Knochenſyſtem und namentlich der Schädel mit in ſolche aſymmetriſche Bildung hineingezogen wird, da man ſonſt in dieſem, ſowie in dem Nervenſyſteme gerade die ſtrengſte Symmetrie ausgebildet findet. Bei dieſer Lagerung der Theile zeigt ſich jedoch nur hier und da eine Spur jener Abtheilung in Querringe oder Zoniten, wodurch ſich die Würmer und Gliederthiere ſo ſehr auszeichnen. An einigen Stellen, wie in dem Knochenſyſteme und beſonders an den Wirbeln erblickt man freilich ausgebildete Quer- ringe, aus denen namentlich die Wirbelſäule zuſammengeſetzt iſt; — ſonſt ſieht man nur größere Abtheilungen, in welche der Körper mehr oder minder deutlich getrennt erſcheint. So beſitzen alle Wirbelthiere zwar einen Kopf, Träger des Gehirnes, der ſpezifiſchen Sinnesorgane und des Einganges zum Verdauungskanale; allein ſehr häufig und
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[4/0010]
dieſes Satzes verwahren, die während einiger Zeit in der Wiſſenſchaft
gäng und gebe war, ſo daß man nicht nur behauptete, der menſchliche
Embryo ſey im Beginne Fiſch, Amphibium oder Reptil, ſondern ſogar
noch weiter zurückgriff, und die Anſicht aufſtellte, er laufe Entwicke-
lungsphaſen durch, welche die Organiſation der Weichthiere, der
Würmer u. ſ. w. wiederholten. Man ſuchte auf einige entfernte und
großen Theils ſogar falſch aufgefaßte Aehnlichkeiten geſtützt, auf dieſe
Weiſe die Einheit des Planes, nach welchem das ganze Thierreich
aufgebaut ſein ſollte, darzuthun. Bei der jetzt ſchon erlangten Kennt-
niß der ſo verſchiedenartigen Grundpläne, nach welchen die Kreiſe der
wirbelloſen Thiere gebaut ſind, dürfte es vollkommen unnöthig erſchei-
nen, dieſe Anſicht hier noch weiter zu bekämpfen. Es wird ebenſo
aus dem Folgenden hervorgehen, daß zwar ein gemeinſamer Grund-
plan für alle Wirbelthiere exiſtirt, daß aber damit noch bei Weitem
nicht eine völlige Gleichſtellung der embryonalen Entwickelungsphaſen
mit den ſucceſſiv ausgebildeten Typen der erwachſenen Thiere erreicht
ſei, ſondern daß im Gegentheile eine jede Klaſſe der Wirbelthiere
wieder ganz eigenthümliche Entwickelungsmomente beſitzt, welche mit
denen der übrigen Klaſſen nicht verwechſelt werden können.
Betrachten wir nun die Geſammtorganiſation der Wirbelthiere,
ſo ſtellt ſich als erſter weſentlicher Charakter die ſymmetriſche La-
gerung der Organe zu beiden Seiten einer ſenkrechten Mittelebene
dar. Bei vielen Wirbelthieren iſt dieſe Symmetrie ſo durchaus gewahrt,
daß auch nicht die leiſeſte Andeutung einer Abweichung vorkommt;
bei ſehr vielen ſind alle Organe ſymmetriſch geſtellt mit Ausnahme
der Unterleibseingeweide, beſonders des Darmes und der Leber, welche
eine unregelmäßige Lagerung darbieten. Nur ſehr ſelten kommen die
Beiſpiele vor, in welchen auch das Knochenſyſtem und namentlich der
Schädel mit in ſolche aſymmetriſche Bildung hineingezogen wird, da
man ſonſt in dieſem, ſowie in dem Nervenſyſteme gerade die ſtrengſte
Symmetrie ausgebildet findet. Bei dieſer Lagerung der Theile zeigt
ſich jedoch nur hier und da eine Spur jener Abtheilung in Querringe
oder Zoniten, wodurch ſich die Würmer und Gliederthiere ſo ſehr
auszeichnen. An einigen Stellen, wie in dem Knochenſyſteme und
beſonders an den Wirbeln erblickt man freilich ausgebildete Quer-
ringe, aus denen namentlich die Wirbelſäule zuſammengeſetzt iſt; —
ſonſt ſieht man nur größere Abtheilungen, in welche der Körper mehr
oder minder deutlich getrennt erſcheint. So beſitzen alle Wirbelthiere
zwar einen Kopf, Träger des Gehirnes, der ſpezifiſchen Sinnesorgane
und des Einganges zum Verdauungskanale; allein ſehr häufig und
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/10>, abgerufen am 03.12.2024.
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