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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Es ist allerdings nicht zu läugnen, daß die Fähigkeit auch der
einzelnen Menschenarten sich dem Klima anzupassen, eine verhältniß-
mäßig sehr große ist und hieraus ist zum Theile eine der bedeutend-
sten Schwierigkeiten für die naturhistorische Untersuchung der Men-
schengattung entstanden. Die wenigsten Völker befinden sich noch auf
dem ursprünglichen Platze, auf dem sie uns von den ersten Spuren
der Geschichte nachgewiesen werden, die meisten haben Wanderungen
unternommen und sind an Orten angesiedelt, wo sie andere Bewoh-
ner vorfanden, deren Loos je nach den Begriffen der Sieger ein
verschiedenes war. Sehr häufig geschah es im Alterthume, wie noch
jetzt in Amerika, daß ganze Völker vernichtet und bis auf den letzten
Mann ausgerottet wurden. In anderen Fällen wurden nur die
Männer getödtet, die Weiber als Sklavinnen behandelt und die die-
nende Rasse allmälig durch wachsende Unterdrückung vernichtet, oder
durch Vermischung mit den Siegern diesen einverleibt. In noch an-
deren Fällen blieben beide Rassen neben einander, indem ihre Mischung
nur allmälig gelang. Ja es giebt Fälle, wo der barbarische Sieger
sogar in der Kultur des unterjochten Volkes aufging und durch die-
selbe allmälig aufgehoben wurde. Wie auch diese verschiedenen Ver-
hältnisse sich gestalten mochten, immer blieb als wesentliches Resultat
das, daß ein Mischvolk producirt wurde, welches die Charaktere der
eingebornen Rasse mit denjenigen der eindringenden vereinigte und so
Bastarde darstellte, die man ohne die geschichtliche Nachweisung für
eigenthümliche Varietäten halten könnte. Es sind diese Mischungen
außerordentlich häufig zwischen Rassen und Abarten, welche zwar
derselben Menschenart angehören, aber dennoch bestimmt verschiedenen
Abarten zugerechnet werden müssen; sie sind aber auch häufig zwischen
Völkern durchaus verschiedener Art. So haben wir einerseits in Eu-
ropa vielseitige Bastarde zwischen Kurz- und Langköpfen wie z. B.
Slaven und Germanen und anderseits sehen wir, daß ganze Misch-
lingsvölker aus der iranischen und turanischen Art in Asien durch die
Ueberfälle der nomadischen Turaner-Völkerschaften in die Gebiete ira-
nischer Einwohner erzeugt wurden. Man darf wohl sagen, daß es
in Europa und Asien kaum ein Volk giebt, welches jetzt noch auf dem
Platze wäre, den seine geschichtlich nachweisbaren Vorfahren einge-
nommen haben und daß es fast keines giebt, welches nicht mehr oder
minder ein Bastardvolk genannt zu werden verdiente.

Die wesentlichste Schwierigkeit, welche sich der genaueren Bestim-
mung der physischen Charaktere der einzelnen Menschenarten entgegen

Es iſt allerdings nicht zu läugnen, daß die Fähigkeit auch der
einzelnen Menſchenarten ſich dem Klima anzupaſſen, eine verhältniß-
mäßig ſehr große iſt und hieraus iſt zum Theile eine der bedeutend-
ſten Schwierigkeiten für die naturhiſtoriſche Unterſuchung der Men-
ſchengattung entſtanden. Die wenigſten Völker befinden ſich noch auf
dem urſprünglichen Platze, auf dem ſie uns von den erſten Spuren
der Geſchichte nachgewieſen werden, die meiſten haben Wanderungen
unternommen und ſind an Orten angeſiedelt, wo ſie andere Bewoh-
ner vorfanden, deren Loos je nach den Begriffen der Sieger ein
verſchiedenes war. Sehr häufig geſchah es im Alterthume, wie noch
jetzt in Amerika, daß ganze Völker vernichtet und bis auf den letzten
Mann ausgerottet wurden. In anderen Fällen wurden nur die
Männer getödtet, die Weiber als Sklavinnen behandelt und die die-
nende Raſſe allmälig durch wachſende Unterdrückung vernichtet, oder
durch Vermiſchung mit den Siegern dieſen einverleibt. In noch an-
deren Fällen blieben beide Raſſen neben einander, indem ihre Miſchung
nur allmälig gelang. Ja es giebt Fälle, wo der barbariſche Sieger
ſogar in der Kultur des unterjochten Volkes aufging und durch die-
ſelbe allmälig aufgehoben wurde. Wie auch dieſe verſchiedenen Ver-
hältniſſe ſich geſtalten mochten, immer blieb als weſentliches Reſultat
das, daß ein Miſchvolk producirt wurde, welches die Charaktere der
eingebornen Raſſe mit denjenigen der eindringenden vereinigte und ſo
Baſtarde darſtellte, die man ohne die geſchichtliche Nachweiſung für
eigenthümliche Varietäten halten könnte. Es ſind dieſe Miſchungen
außerordentlich häufig zwiſchen Raſſen und Abarten, welche zwar
derſelben Menſchenart angehören, aber dennoch beſtimmt verſchiedenen
Abarten zugerechnet werden müſſen; ſie ſind aber auch häufig zwiſchen
Völkern durchaus verſchiedener Art. So haben wir einerſeits in Eu-
ropa vielſeitige Baſtarde zwiſchen Kurz- und Langköpfen wie z. B.
Slaven und Germanen und anderſeits ſehen wir, daß ganze Miſch-
lingsvölker aus der iraniſchen und turaniſchen Art in Aſien durch die
Ueberfälle der nomadiſchen Turaner-Völkerſchaften in die Gebiete ira-
niſcher Einwohner erzeugt wurden. Man darf wohl ſagen, daß es
in Europa und Aſien kaum ein Volk giebt, welches jetzt noch auf dem
Platze wäre, den ſeine geſchichtlich nachweisbaren Vorfahren einge-
nommen haben und daß es faſt keines giebt, welches nicht mehr oder
minder ein Baſtardvolk genannt zu werden verdiente.

Die weſentlichſte Schwierigkeit, welche ſich der genaueren Beſtim-
mung der phyſiſchen Charaktere der einzelnen Menſchenarten entgegen

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[549/0555] Es iſt allerdings nicht zu läugnen, daß die Fähigkeit auch der einzelnen Menſchenarten ſich dem Klima anzupaſſen, eine verhältniß- mäßig ſehr große iſt und hieraus iſt zum Theile eine der bedeutend- ſten Schwierigkeiten für die naturhiſtoriſche Unterſuchung der Men- ſchengattung entſtanden. Die wenigſten Völker befinden ſich noch auf dem urſprünglichen Platze, auf dem ſie uns von den erſten Spuren der Geſchichte nachgewieſen werden, die meiſten haben Wanderungen unternommen und ſind an Orten angeſiedelt, wo ſie andere Bewoh- ner vorfanden, deren Loos je nach den Begriffen der Sieger ein verſchiedenes war. Sehr häufig geſchah es im Alterthume, wie noch jetzt in Amerika, daß ganze Völker vernichtet und bis auf den letzten Mann ausgerottet wurden. In anderen Fällen wurden nur die Männer getödtet, die Weiber als Sklavinnen behandelt und die die- nende Raſſe allmälig durch wachſende Unterdrückung vernichtet, oder durch Vermiſchung mit den Siegern dieſen einverleibt. In noch an- deren Fällen blieben beide Raſſen neben einander, indem ihre Miſchung nur allmälig gelang. Ja es giebt Fälle, wo der barbariſche Sieger ſogar in der Kultur des unterjochten Volkes aufging und durch die- ſelbe allmälig aufgehoben wurde. Wie auch dieſe verſchiedenen Ver- hältniſſe ſich geſtalten mochten, immer blieb als weſentliches Reſultat das, daß ein Miſchvolk producirt wurde, welches die Charaktere der eingebornen Raſſe mit denjenigen der eindringenden vereinigte und ſo Baſtarde darſtellte, die man ohne die geſchichtliche Nachweiſung für eigenthümliche Varietäten halten könnte. Es ſind dieſe Miſchungen außerordentlich häufig zwiſchen Raſſen und Abarten, welche zwar derſelben Menſchenart angehören, aber dennoch beſtimmt verſchiedenen Abarten zugerechnet werden müſſen; ſie ſind aber auch häufig zwiſchen Völkern durchaus verſchiedener Art. So haben wir einerſeits in Eu- ropa vielſeitige Baſtarde zwiſchen Kurz- und Langköpfen wie z. B. Slaven und Germanen und anderſeits ſehen wir, daß ganze Miſch- lingsvölker aus der iraniſchen und turaniſchen Art in Aſien durch die Ueberfälle der nomadiſchen Turaner-Völkerſchaften in die Gebiete ira- niſcher Einwohner erzeugt wurden. Man darf wohl ſagen, daß es in Europa und Aſien kaum ein Volk giebt, welches jetzt noch auf dem Platze wäre, den ſeine geſchichtlich nachweisbaren Vorfahren einge- nommen haben und daß es faſt keines giebt, welches nicht mehr oder minder ein Baſtardvolk genannt zu werden verdiente. Die weſentlichſte Schwierigkeit, welche ſich der genaueren Beſtim- mung der phyſiſchen Charaktere der einzelnen Menſchenarten entgegen

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/555>, abgerufen am 22.11.2024.