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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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jetzt nur Streifzüge gewesen, auf denen die Schiffsärzte ans Land
stürzten, um einige Skizzen zu zeichnen, unbestimmte Schädel auf Be-
gräbnißplätzen aufzuwühlen und falsch gehörte und falsch verstandene
Sprachproben in das Notizenbuch aufzuzeichnen. Die Missionäre,
welche sich zu längerem Aufenthalte bei solchen Völkern berufen glaub-
ten, waren größtentheils durchaus unfähige Subjekte und wenn man
aus den Nachrichten mancher älteren katholischen Missionäre, nament-
lich der Jesuiten manche brauchbare Thatsache entnehmen kann, so ist
dieß bei dem völligen Blödsinne der heutigen und besonders der pro-
testantischen Missionäre durchaus unmöglich.

Erst in der neueren Zeit hat man begonnen, die Untersuchung
über die Naturgeschichte der Menschengattung auf wahrhaft wissen-
schaftliche Basen zu stützen und man kann hier zwei gleich fruchtbrin-
gende Richtungen unterscheiden, nach welchen diese Untersuchungen
geführt werden müssen. Die eine Richtung, welche wir hier nur an-
deuten können, ist die sprachwissenschaftliche, die genetische Vergleichung
der verschiedenen Sprachen und ihre Zurückführung auf die Mutter-
stämme, von welchen aus sie sich entwickelt haben. Von großer Be-
deutung ist hier eines Theils die Gleichheit der Wurzeln, wodurch
verschiedene Gegenstände bezeichnet werden, andern Theils die Analo-
gie der grammatikalischen Formen und deren Beziehung zu einander.
Verwandtschaft der Sprache in dieser Hinsicht deutet gewissermaßen
auf einen ähnlichen Bau des Gehirnes und somit auch des Schädels
hin und es darf wohl erwartet werden, daß diese Beziehungen durch
spätere Untersuchungen noch deutlicher dargestellt werden.

Nicht minder wichtig und mehr in das Bereich unseres Gebietes
fallend sind die Untersuchungen über die physikalischen Kennzeichen,
durch welche sich die einzelnen Menschenrassen auszeichnen. Hautfarbe,
Gesichtszüge, Haarbeschaffenheit, Verhältniß der einzelnen Körpertheile
zu einander stehen hier in zweiter Linie, obgleich immerhin wichtig
genug und auch über diese Punkte haben wir nur sehr wenige und
unvollständige Angaben. Künstlerische Portraits und pittoreske Be-
schreibungen sind vollkommen unbrauchbar. Zur Anstellung von Mes-
sungen der Kopfdurchmesser, der Gesichtstheile des Körpers und der
Gliedmaßen und zur Anfertigung von mathematisch genauen Zeichnun-
gen in der Profilansicht, von vorn und hinten her oder von Gips-
masken haben sich nur wenig Reisende entschließen mögen. So ist
denn das Vergleichungsmaterial hauptsächlich auf die Schädel einge-

jetzt nur Streifzüge geweſen, auf denen die Schiffsärzte ans Land
ſtürzten, um einige Skizzen zu zeichnen, unbeſtimmte Schädel auf Be-
gräbnißplätzen aufzuwühlen und falſch gehörte und falſch verſtandene
Sprachproben in das Notizenbuch aufzuzeichnen. Die Miſſionäre,
welche ſich zu längerem Aufenthalte bei ſolchen Völkern berufen glaub-
ten, waren größtentheils durchaus unfähige Subjekte und wenn man
aus den Nachrichten mancher älteren katholiſchen Miſſionäre, nament-
lich der Jeſuiten manche brauchbare Thatſache entnehmen kann, ſo iſt
dieß bei dem völligen Blödſinne der heutigen und beſonders der pro-
teſtantiſchen Miſſionäre durchaus unmöglich.

Erſt in der neueren Zeit hat man begonnen, die Unterſuchung
über die Naturgeſchichte der Menſchengattung auf wahrhaft wiſſen-
ſchaftliche Baſen zu ſtützen und man kann hier zwei gleich fruchtbrin-
gende Richtungen unterſcheiden, nach welchen dieſe Unterſuchungen
geführt werden müſſen. Die eine Richtung, welche wir hier nur an-
deuten können, iſt die ſprachwiſſenſchaftliche, die genetiſche Vergleichung
der verſchiedenen Sprachen und ihre Zurückführung auf die Mutter-
ſtämme, von welchen aus ſie ſich entwickelt haben. Von großer Be-
deutung iſt hier eines Theils die Gleichheit der Wurzeln, wodurch
verſchiedene Gegenſtände bezeichnet werden, andern Theils die Analo-
gie der grammatikaliſchen Formen und deren Beziehung zu einander.
Verwandtſchaft der Sprache in dieſer Hinſicht deutet gewiſſermaßen
auf einen ähnlichen Bau des Gehirnes und ſomit auch des Schädels
hin und es darf wohl erwartet werden, daß dieſe Beziehungen durch
ſpätere Unterſuchungen noch deutlicher dargeſtellt werden.

Nicht minder wichtig und mehr in das Bereich unſeres Gebietes
fallend ſind die Unterſuchungen über die phyſikaliſchen Kennzeichen,
durch welche ſich die einzelnen Menſchenraſſen auszeichnen. Hautfarbe,
Geſichtszüge, Haarbeſchaffenheit, Verhältniß der einzelnen Körpertheile
zu einander ſtehen hier in zweiter Linie, obgleich immerhin wichtig
genug und auch über dieſe Punkte haben wir nur ſehr wenige und
unvollſtändige Angaben. Künſtleriſche Portraits und pittoreske Be-
ſchreibungen ſind vollkommen unbrauchbar. Zur Anſtellung von Meſ-
ſungen der Kopfdurchmeſſer, der Geſichtstheile des Körpers und der
Gliedmaßen und zur Anfertigung von mathematiſch genauen Zeichnun-
gen in der Profilanſicht, von vorn und hinten her oder von Gips-
masken haben ſich nur wenig Reiſende entſchließen mögen. So iſt
denn das Vergleichungsmaterial hauptſächlich auf die Schädel einge-

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[554/0560] jetzt nur Streifzüge geweſen, auf denen die Schiffsärzte ans Land ſtürzten, um einige Skizzen zu zeichnen, unbeſtimmte Schädel auf Be- gräbnißplätzen aufzuwühlen und falſch gehörte und falſch verſtandene Sprachproben in das Notizenbuch aufzuzeichnen. Die Miſſionäre, welche ſich zu längerem Aufenthalte bei ſolchen Völkern berufen glaub- ten, waren größtentheils durchaus unfähige Subjekte und wenn man aus den Nachrichten mancher älteren katholiſchen Miſſionäre, nament- lich der Jeſuiten manche brauchbare Thatſache entnehmen kann, ſo iſt dieß bei dem völligen Blödſinne der heutigen und beſonders der pro- teſtantiſchen Miſſionäre durchaus unmöglich. Erſt in der neueren Zeit hat man begonnen, die Unterſuchung über die Naturgeſchichte der Menſchengattung auf wahrhaft wiſſen- ſchaftliche Baſen zu ſtützen und man kann hier zwei gleich fruchtbrin- gende Richtungen unterſcheiden, nach welchen dieſe Unterſuchungen geführt werden müſſen. Die eine Richtung, welche wir hier nur an- deuten können, iſt die ſprachwiſſenſchaftliche, die genetiſche Vergleichung der verſchiedenen Sprachen und ihre Zurückführung auf die Mutter- ſtämme, von welchen aus ſie ſich entwickelt haben. Von großer Be- deutung iſt hier eines Theils die Gleichheit der Wurzeln, wodurch verſchiedene Gegenſtände bezeichnet werden, andern Theils die Analo- gie der grammatikaliſchen Formen und deren Beziehung zu einander. Verwandtſchaft der Sprache in dieſer Hinſicht deutet gewiſſermaßen auf einen ähnlichen Bau des Gehirnes und ſomit auch des Schädels hin und es darf wohl erwartet werden, daß dieſe Beziehungen durch ſpätere Unterſuchungen noch deutlicher dargeſtellt werden. Nicht minder wichtig und mehr in das Bereich unſeres Gebietes fallend ſind die Unterſuchungen über die phyſikaliſchen Kennzeichen, durch welche ſich die einzelnen Menſchenraſſen auszeichnen. Hautfarbe, Geſichtszüge, Haarbeſchaffenheit, Verhältniß der einzelnen Körpertheile zu einander ſtehen hier in zweiter Linie, obgleich immerhin wichtig genug und auch über dieſe Punkte haben wir nur ſehr wenige und unvollſtändige Angaben. Künſtleriſche Portraits und pittoreske Be- ſchreibungen ſind vollkommen unbrauchbar. Zur Anſtellung von Meſ- ſungen der Kopfdurchmeſſer, der Geſichtstheile des Körpers und der Gliedmaßen und zur Anfertigung von mathematiſch genauen Zeichnun- gen in der Profilanſicht, von vorn und hinten her oder von Gips- masken haben ſich nur wenig Reiſende entſchließen mögen. So iſt denn das Vergleichungsmaterial hauptſächlich auf die Schädel einge-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/560>, abgerufen am 22.11.2024.