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Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

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der deutschen Nation sind in dieser Beziehung freilich besser daran - auch schreien sie sich die Hälse heiser nach dem deutschen Reichstage und nach der badischen Kammer, ohne beide erhalten zu können. Aber sie schreien doch darum, während uns die fatalen Grundsätze den Mund schließen. Ich hasse wirklich die Principien seit einiger Zeit - ich hätte Lust, eine tellergroße schwarz-roth-goldene Kokarde an meinen weißen Hut zu stecken und Deutschland zu bereisen, um mich ausweisen zu lassen und Reden für das Wählen zum Erfurter Reichstage zu halten. So aber muß ich still sein und über die Staatsformen der Thierwelt grübeln, um am Ende noch mein letztes Restchen Verstand über dem Erforschen des Thierverstandes zu verlieren.

"Was? Thierverstand!" höre ich einen der zufriedenen Weisen sagen, die von der Kanzel und vom Katheder herab von den Werken Gottes reden, und psalmirend sie preisen, ohne je ein einziges derselben nur einmal aufmerksam betrachtet zu haben. "Die Thiere haben nur Instinkt, meist keinen Verstand und absolut keine Vernunft! Ihre Staatsformen, wie du sie nennst, sind nur durch den Instinkt geregelte Gesellschaften, ihre weisen Pläne Naturnothwendigkeiten, begründet durch ihre Organisation. Seit tausend Jahren baut die Biene ihre Waben auf dieselbe Art, und selbst die junge Biene, welche niemals hat bauen sehen, bereitet die Zellen wieder ganz in derselben Weise wie die Alten es thaten. Ist das nicht Instinkt? Woher sollte es die Biene wissen, daß sie in einer gewissen Gestalt ihre Wabe bauen muß?"

Ich will nicht von der Vernunft reden. Ob das, was beim Menschen so genannt wird, auch wirklich existirt, lasse ich dahingestellt sein - wenn ich auch die Negation, die

der deutschen Nation sind in dieser Beziehung freilich besser daran – auch schreien sie sich die Hälse heiser nach dem deutschen Reichstage und nach der badischen Kammer, ohne beide erhalten zu können. Aber sie schreien doch darum, während uns die fatalen Grundsätze den Mund schließen. Ich hasse wirklich die Principien seit einiger Zeit – ich hätte Lust, eine tellergroße schwarz-roth-goldene Kokarde an meinen weißen Hut zu stecken und Deutschland zu bereisen, um mich ausweisen zu lassen und Reden für das Wählen zum Erfurter Reichstage zu halten. So aber muß ich still sein und über die Staatsformen der Thierwelt grübeln, um am Ende noch mein letztes Restchen Verstand über dem Erforschen des Thierverstandes zu verlieren.

„Was? Thierverstand!“ höre ich einen der zufriedenen Weisen sagen, die von der Kanzel und vom Katheder herab von den Werken Gottes reden, und psalmirend sie preisen, ohne je ein einziges derselben nur einmal aufmerksam betrachtet zu haben. „Die Thiere haben nur Instinkt, meist keinen Verstand und absolut keine Vernunft! Ihre Staatsformen, wie du sie nennst, sind nur durch den Instinkt geregelte Gesellschaften, ihre weisen Pläne Naturnothwendigkeiten, begründet durch ihre Organisation. Seit tausend Jahren baut die Biene ihre Waben auf dieselbe Art, und selbst die junge Biene, welche niemals hat bauen sehen, bereitet die Zellen wieder ganz in derselben Weise wie die Alten es thaten. Ist das nicht Instinkt? Woher sollte es die Biene wissen, daß sie in einer gewissen Gestalt ihre Wabe bauen muß?“

Ich will nicht von der Vernunft reden. Ob das, was beim Menschen so genannt wird, auch wirklich existirt, lasse ich dahingestellt sein – wenn ich auch die Negation, die

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[16/0042] der deutschen Nation sind in dieser Beziehung freilich besser daran – auch schreien sie sich die Hälse heiser nach dem deutschen Reichstage und nach der badischen Kammer, ohne beide erhalten zu können. Aber sie schreien doch darum, während uns die fatalen Grundsätze den Mund schließen. Ich hasse wirklich die Principien seit einiger Zeit – ich hätte Lust, eine tellergroße schwarz-roth-goldene Kokarde an meinen weißen Hut zu stecken und Deutschland zu bereisen, um mich ausweisen zu lassen und Reden für das Wählen zum Erfurter Reichstage zu halten. So aber muß ich still sein und über die Staatsformen der Thierwelt grübeln, um am Ende noch mein letztes Restchen Verstand über dem Erforschen des Thierverstandes zu verlieren. „Was? Thierverstand!“ höre ich einen der zufriedenen Weisen sagen, die von der Kanzel und vom Katheder herab von den Werken Gottes reden, und psalmirend sie preisen, ohne je ein einziges derselben nur einmal aufmerksam betrachtet zu haben. „Die Thiere haben nur Instinkt, meist keinen Verstand und absolut keine Vernunft! Ihre Staatsformen, wie du sie nennst, sind nur durch den Instinkt geregelte Gesellschaften, ihre weisen Pläne Naturnothwendigkeiten, begründet durch ihre Organisation. Seit tausend Jahren baut die Biene ihre Waben auf dieselbe Art, und selbst die junge Biene, welche niemals hat bauen sehen, bereitet die Zellen wieder ganz in derselben Weise wie die Alten es thaten. Ist das nicht Instinkt? Woher sollte es die Biene wissen, daß sie in einer gewissen Gestalt ihre Wabe bauen muß?“ Ich will nicht von der Vernunft reden. Ob das, was beim Menschen so genannt wird, auch wirklich existirt, lasse ich dahingestellt sein – wenn ich auch die Negation, die

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/42>, abgerufen am 28.04.2024.