Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.Verstand darreichte, die überlegene Mitgift ihrer Geburt, die Klugheit, die List. Sie dachten nach, wie sie ihrer sonst übermächtigen Gegner sich am besten entledigten, sie merkten sorgfältiger auf die verderblichen Ausbrüche der Elemente, und wie sie jene zu schlagen sich bemühten, so wichen sie diesen aus, nach Massgabe ihrer Berechnung. So suchten sie wohl auch Verstecke auf oder wählten Wohnplätze von grösserer Sicherheit. Der gefährlichste Widersacher des Menschen mochte freilich der Mensch sein, weil im ausgebrochenen Hader und im Sturme wilder Begierden Ebenbürtigkeit gegen Ebenbürtigkeit stritt; doch ist es selbst in diesen Wuthschlachten wahrscheinlich, dass die edleren Arten seines Geschlechts sich durchschlugen, die schlechteren untergingen, zur Seite wichen und ihre Macht verloren. Jene Arten wuchsen, die letztern blieben verkümmert. Die Nöthen des Daseins also waren die harte Schule der Menschen, die wesentlich dazu beitrug, dass sie geistig erwachten und die Fähigkeiten der Seele übten, erst zum äusseren Widerstand aufgerafft, dann zur ernstlichen Betrachtung angefeuert, endlich durch das Vergnügen geleitet, das sie im Nachsinnen fanden. Langsam ging denn anfänglich ihr Denken von Statten, auf den kleinen Kreis weniger Bedürfnisse gerichtet; überschauten sie doch in den ersten Zeiten gewiss nur ein winziges Stück unserer Erde, die für sie die Bedeutung einer unendlichen Erscheinung haben musste, da sie ihnen grösser sich darstellte, als der darüber gelagerte Himmel selbst. Allmälig aber vermehrten sich die Eindrücke, die sie von aussen schöpfend in die Seele aufnahmen und nach aussen zurückgaben. Gleichwie zuerst am frühen Osthimmel, wann die Sonne sich nähert, wenige vereinzelte helle Strahlen heraufschiessen, dann aber die Lichtstreifen dichter und weiter sich ausspannen, bis der ganze Morgenäther glänzt und zu lodern scheint, so tauchten auch, im Laufe von Myriaden Jahren, mühsam die ersten leuchtenden Funken im Innern der Menschen auf, Begriffe weckend, Betrachtungen und Gefühle anregend, worauf neue Gedanken folgten und zu einem immer helleren Lichtkreise sich ansammelten, je weiter die Linie des Horizonts vor den spähenden Augen gleichsam fliehend zurückwich. Die Bilder des Erdenbereiches, freundliche und unfreundliche, freudvolle und schreckliche, nahmen die gesteigerte Aufmerksamkeit nicht einzig und allein in Anspruch. Ausgezeichnet durch den aufrechten Gang, zu welchem ihr Körper vorzugsweise geschickt war, wandten die Menschen gleichzeitig ihr Antlitz aufwärts und prüften den Luftraum, seine Wetter und Phänomene, und darüber das Himmelsgewölbe und seine wundersamen Sterne. Sie suchten ein hohes, unbekanntes Etwas, das ihnen vorschwebte, als ob sie es hinter Bergen und Thälern oder im fernen All endlich anzutreffen hoffen dürften. Es war die geistige Sonne, nach der sie forschten, aber diese entschleierte sich vor ihnen so wenig, als wir Sterblichen wohl jemals auf Erden einen vollen Lichtstrahl derselben für uns zu erwarten haben. Das erste Ahnen von dem Dasein eines Gottes, um deutlich zu reden, stieg in ihrem Innern auf, und ausser Zweifel steht es, dass schon in der Urzelle, aus welcher die Menschen mit ihrer Begabung hervorgegangen sind, auch die Anlage zu einem Gottesbewusstsein ihnen mitgegeben war. Denn sonst hätten sie niemals vermocht nach dem grossen Unbekannten zu suchen. Keine Lehre, keine Erziehung konnte ihnen den Trieb einflössen, einen Gottesbegriff zu gewinnen; woher sollte die Lehre, die Erziehung kommen? Es musste doch zuvor Menschen geben, die selbst bereits diese Lehre, diese Erziehung empfangen hatten, und von wem sollten denn die ersten unterwiesen und erzogen worden sein? Von Haus aus vielmehr hatte der Trieb in den Menschen gelegen, ein allgewaltiger Trieb, der seine Ausbildung folgerecht und vernunftmässig forderte. Und das ist der beste und stärkste Beweis Verstand darreichte, die überlegene Mitgift ihrer Geburt, die Klugheit, die List. Sie dachten nach, wie sie ihrer sonst übermächtigen Gegner sich am besten entledigten, sie merkten sorgfältiger auf die verderblichen Ausbrüche der Elemente, und wie sie jene zu schlagen sich bemühten, so wichen sie diesen aus, nach Massgabe ihrer Berechnung. So suchten sie wohl auch Verstecke auf oder wählten Wohnplätze von grösserer Sicherheit. Der gefährlichste Widersacher des Menschen mochte freilich der Mensch sein, weil im ausgebrochenen Hader und im Sturme wilder Begierden Ebenbürtigkeit gegen Ebenbürtigkeit stritt; doch ist es selbst in diesen Wuthschlachten wahrscheinlich, dass die edleren Arten seines Geschlechts sich durchschlugen, die schlechteren untergingen, zur Seite wichen und ihre Macht verloren. Jene Arten wuchsen, die letztern blieben verkümmert. Die Nöthen des Daseins also waren die harte Schule der Menschen, die wesentlich dazu beitrug, dass sie geistig erwachten und die Fähigkeiten der Seele übten, erst zum äusseren Widerstand aufgerafft, dann zur ernstlichen Betrachtung angefeuert, endlich durch das Vergnügen geleitet, das sie im Nachsinnen fanden. Langsam ging denn anfänglich ihr Denken von Statten, auf den kleinen Kreis weniger Bedürfnisse gerichtet; überschauten sie doch in den ersten Zeiten gewiss nur ein winziges Stück unserer Erde, die für sie die Bedeutung einer unendlichen Erscheinung haben musste, da sie ihnen grösser sich darstellte, als der darüber gelagerte Himmel selbst. Allmälig aber vermehrten sich die Eindrücke, die sie von aussen schöpfend in die Seele aufnahmen und nach aussen zurückgaben. Gleichwie zuerst am frühen Osthimmel, wann die Sonne sich nähert, wenige vereinzelte helle Strahlen heraufschiessen, dann aber die Lichtstreifen dichter und weiter sich ausspannen, bis der ganze Morgenäther glänzt und zu lodern scheint, so tauchten auch, im Laufe von Myriaden Jahren, mühsam die ersten leuchtenden Funken im Innern der Menschen auf, Begriffe weckend, Betrachtungen und Gefühle anregend, worauf neue Gedanken folgten und zu einem immer helleren Lichtkreise sich ansammelten, je weiter die Linie des Horizonts vor den spähenden Augen gleichsam fliehend zurückwich. Die Bilder des Erdenbereiches, freundliche und unfreundliche, freudvolle und schreckliche, nahmen die gesteigerte Aufmerksamkeit nicht einzig und allein in Anspruch. Ausgezeichnet durch den aufrechten Gang, zu welchem ihr Körper vorzugsweise geschickt war, wandten die Menschen gleichzeitig ihr Antlitz aufwärts und prüften den Luftraum, seine Wetter und Phänomene, und darüber das Himmelsgewölbe und seine wundersamen Sterne. Sie suchten ein hohes, unbekanntes Etwas, das ihnen vorschwebte, als ob sie es hinter Bergen und Thälern oder im fernen All endlich anzutreffen hoffen dürften. Es war die geistige Sonne, nach der sie forschten, aber diese entschleierte sich vor ihnen so wenig, als wir Sterblichen wohl jemals auf Erden einen vollen Lichtstrahl derselben für uns zu erwarten haben. Das erste Ahnen von dem Dasein eines Gottes, um deutlich zu reden, stieg in ihrem Innern auf, und ausser Zweifel steht es, dass schon in der Urzelle, aus welcher die Menschen mit ihrer Begabung hervorgegangen sind, auch die Anlage zu einem Gottesbewusstsein ihnen mitgegeben war. Denn sonst hätten sie niemals vermocht nach dem grossen Unbekannten zu suchen. Keine Lehre, keine Erziehung konnte ihnen den Trieb einflössen, einen Gottesbegriff zu gewinnen; woher sollte die Lehre, die Erziehung kommen? Es musste doch zuvor Menschen geben, die selbst bereits diese Lehre, diese Erziehung empfangen hatten, und von wem sollten denn die ersten unterwiesen und erzogen worden sein? Von Haus aus vielmehr hatte der Trieb in den Menschen gelegen, ein allgewaltiger Trieb, der seine Ausbildung folgerecht und vernunftmässig forderte. Und das ist der beste und stärkste Beweis <TEI> <text> <front> <div type="preface" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="XVIII"/> Verstand darreichte, die überlegene Mitgift ihrer Geburt, die Klugheit, die List. Sie dachten nach, wie sie ihrer sonst übermächtigen Gegner sich am besten entledigten, sie merkten sorgfältiger auf die verderblichen Ausbrüche der Elemente, und wie sie jene zu schlagen sich bemühten, so wichen sie diesen aus, nach Massgabe ihrer Berechnung. So suchten sie wohl auch Verstecke auf oder wählten Wohnplätze von grösserer Sicherheit. Der gefährlichste Widersacher des Menschen mochte freilich der Mensch sein, weil im ausgebrochenen Hader und im Sturme wilder Begierden Ebenbürtigkeit gegen Ebenbürtigkeit stritt; doch ist es selbst in diesen Wuthschlachten wahrscheinlich, dass die edleren Arten seines Geschlechts sich durchschlugen, die schlechteren untergingen, zur Seite wichen und ihre Macht verloren. Jene Arten wuchsen, die letztern blieben verkümmert.</p><lb/> <p>Die Nöthen des Daseins also waren die harte Schule der Menschen, die wesentlich dazu beitrug, dass sie geistig erwachten und die Fähigkeiten der Seele übten, erst zum äusseren Widerstand aufgerafft, dann zur ernstlichen Betrachtung angefeuert, endlich durch das Vergnügen geleitet, das sie im Nachsinnen fanden. Langsam ging denn anfänglich ihr Denken von Statten, auf den kleinen Kreis weniger Bedürfnisse gerichtet; überschauten sie doch in den ersten Zeiten gewiss nur ein winziges Stück unserer Erde, die für sie die Bedeutung einer unendlichen Erscheinung haben musste, da sie ihnen grösser sich darstellte, als der darüber gelagerte Himmel selbst. Allmälig aber vermehrten sich die Eindrücke, die sie von aussen schöpfend in die Seele aufnahmen und nach aussen zurückgaben. Gleichwie zuerst am frühen Osthimmel, wann die Sonne sich nähert, wenige vereinzelte helle Strahlen heraufschiessen, dann aber die Lichtstreifen dichter und weiter sich ausspannen, bis der ganze Morgenäther glänzt und zu lodern scheint, so tauchten auch, im Laufe von Myriaden Jahren, mühsam die ersten leuchtenden Funken im Innern der Menschen auf, Begriffe weckend, Betrachtungen und Gefühle anregend, worauf neue Gedanken folgten und zu einem immer helleren Lichtkreise sich ansammelten, je weiter die Linie des Horizonts vor den spähenden Augen gleichsam fliehend zurückwich. Die Bilder des Erdenbereiches, freundliche und unfreundliche, freudvolle und schreckliche, nahmen die gesteigerte Aufmerksamkeit nicht einzig und allein in Anspruch. Ausgezeichnet durch den aufrechten Gang, zu welchem ihr Körper vorzugsweise geschickt war, wandten die Menschen gleichzeitig ihr Antlitz aufwärts und prüften den Luftraum, seine Wetter und Phänomene, und darüber das Himmelsgewölbe und seine wundersamen Sterne. Sie suchten ein hohes, unbekanntes Etwas, das ihnen vorschwebte, als ob sie es hinter Bergen und Thälern oder im fernen All endlich anzutreffen hoffen dürften. Es war die <hi rendition="#g">geistige Sonne</hi>, nach der sie forschten, aber diese entschleierte sich vor ihnen so wenig, als wir Sterblichen wohl jemals auf Erden einen vollen Lichtstrahl derselben für uns zu erwarten haben.</p><lb/> <p>Das erste Ahnen von dem Dasein eines Gottes, um deutlich zu reden, stieg in ihrem Innern auf, und ausser Zweifel steht es, dass schon in der Urzelle, aus welcher die Menschen mit ihrer Begabung hervorgegangen sind, auch die Anlage zu einem Gottesbewusstsein ihnen mitgegeben war. Denn sonst hätten sie niemals vermocht nach dem grossen Unbekannten zu suchen. Keine Lehre, keine Erziehung konnte ihnen den Trieb einflössen, einen Gottesbegriff zu gewinnen; woher sollte die Lehre, die Erziehung kommen? Es musste doch zuvor Menschen geben, die selbst bereits diese Lehre, diese Erziehung empfangen hatten, und von wem sollten denn die ersten unterwiesen und erzogen worden sein? Von Haus aus vielmehr hatte der Trieb in den Menschen gelegen, ein allgewaltiger Trieb, der seine Ausbildung folgerecht und vernunftmässig forderte. Und <hi rendition="#g">das</hi> ist der beste und stärkste <hi rendition="#g">Beweis</hi> </p> </div> </div> </front> </text> </TEI> [XVIII/0018]
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Die Nöthen des Daseins also waren die harte Schule der Menschen, die wesentlich dazu beitrug, dass sie geistig erwachten und die Fähigkeiten der Seele übten, erst zum äusseren Widerstand aufgerafft, dann zur ernstlichen Betrachtung angefeuert, endlich durch das Vergnügen geleitet, das sie im Nachsinnen fanden. Langsam ging denn anfänglich ihr Denken von Statten, auf den kleinen Kreis weniger Bedürfnisse gerichtet; überschauten sie doch in den ersten Zeiten gewiss nur ein winziges Stück unserer Erde, die für sie die Bedeutung einer unendlichen Erscheinung haben musste, da sie ihnen grösser sich darstellte, als der darüber gelagerte Himmel selbst. Allmälig aber vermehrten sich die Eindrücke, die sie von aussen schöpfend in die Seele aufnahmen und nach aussen zurückgaben. Gleichwie zuerst am frühen Osthimmel, wann die Sonne sich nähert, wenige vereinzelte helle Strahlen heraufschiessen, dann aber die Lichtstreifen dichter und weiter sich ausspannen, bis der ganze Morgenäther glänzt und zu lodern scheint, so tauchten auch, im Laufe von Myriaden Jahren, mühsam die ersten leuchtenden Funken im Innern der Menschen auf, Begriffe weckend, Betrachtungen und Gefühle anregend, worauf neue Gedanken folgten und zu einem immer helleren Lichtkreise sich ansammelten, je weiter die Linie des Horizonts vor den spähenden Augen gleichsam fliehend zurückwich. Die Bilder des Erdenbereiches, freundliche und unfreundliche, freudvolle und schreckliche, nahmen die gesteigerte Aufmerksamkeit nicht einzig und allein in Anspruch. Ausgezeichnet durch den aufrechten Gang, zu welchem ihr Körper vorzugsweise geschickt war, wandten die Menschen gleichzeitig ihr Antlitz aufwärts und prüften den Luftraum, seine Wetter und Phänomene, und darüber das Himmelsgewölbe und seine wundersamen Sterne. Sie suchten ein hohes, unbekanntes Etwas, das ihnen vorschwebte, als ob sie es hinter Bergen und Thälern oder im fernen All endlich anzutreffen hoffen dürften. Es war die geistige Sonne, nach der sie forschten, aber diese entschleierte sich vor ihnen so wenig, als wir Sterblichen wohl jemals auf Erden einen vollen Lichtstrahl derselben für uns zu erwarten haben.
Das erste Ahnen von dem Dasein eines Gottes, um deutlich zu reden, stieg in ihrem Innern auf, und ausser Zweifel steht es, dass schon in der Urzelle, aus welcher die Menschen mit ihrer Begabung hervorgegangen sind, auch die Anlage zu einem Gottesbewusstsein ihnen mitgegeben war. Denn sonst hätten sie niemals vermocht nach dem grossen Unbekannten zu suchen. Keine Lehre, keine Erziehung konnte ihnen den Trieb einflössen, einen Gottesbegriff zu gewinnen; woher sollte die Lehre, die Erziehung kommen? Es musste doch zuvor Menschen geben, die selbst bereits diese Lehre, diese Erziehung empfangen hatten, und von wem sollten denn die ersten unterwiesen und erzogen worden sein? Von Haus aus vielmehr hatte der Trieb in den Menschen gelegen, ein allgewaltiger Trieb, der seine Ausbildung folgerecht und vernunftmässig forderte. Und das ist der beste und stärkste Beweis
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