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Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.

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Zur Stütze dieser Erklärung, die wir haltlos finden, fährt Schelling später fort: "Die Thierreihe stellt den Uebergang des realen Gottes als solchen dar. Als Gott gestorben, lebt er in den Thieren. Die Thiere sind dem Aegypter die zuckenden Glieder des Typhon. Den Menschen sieht der Aegypter für "den als Geist, als seiner selbst vollkommen mächtigen, wieder auferstandenen Gott" an; - was freilich seltsam genug klingt. Wir übergehen Schellings Untersuchung von jenen Thieren, die man in ihren Begräbnissstätten als Mumien völlig ebenso wie menschliche Leichname behandelt vorgefunden habe; so wären in der Nähe des Bubastistempels Mumien angetroffen worden, die zu dem Katzengeschlecht gehörten (Katzen, Löwen, Tiger), und Bubastis habe sich, wie die ägyptische Mythologie erzähle, aus Furcht vor Typhon in eine Katze verwandelt: die Katze sei eine Erscheinung der Bubastis gewesen. Worauf seine philosophische Ansicht von dem Charakter der letztern Göttin folgt, welche "das Bewusstsein des bereits überwundenen Typhon" sei; und diesem Bewusstsein, das schon während des Kampfes hervortrete, würden eben die reissenden Thiere zugeeignet, so dass es in diese verhüllt gedacht werde: nach seiner Meinung bezeichnend und bedeutend. Denn "auch in der Natur," sagt er, "gehen die reissenden Thiere, welche wir vorzugsweise die Willensthiere nennen könnten, unmittelbar vor dem Menschen her." Dem letzteren Zusatz wird man heutzutag ebenso wenig beistimmen, als man sich in jenes eigenthümliche Durchbrechen des Bewusstseins finden kann, ein Durchbrechen, auf welches das System dieses Philosophen gebaut ist, zu dem Zwecke, den Prozess des Werdens zu erklären.

Wenden wir uns zu einem andern Thierkultus, der, nach Schellings Dafürhalten, einen für sich abgeschlossenen Kreis bildet, zur Verehrung des heiligen Stieres, des Apis oder, nach der Angabe einiger Autoren, der drei Apis. Wir wollen es bei dem heiligen Stiere in Memphis bewenden lassen, dem einzigen, von welchem Herodotos, der beste Berichterstatter, Kenntniss hat. Man suchte den Stier nach besonderen Kennzeichen aus: er musste ein weissgezeichnetes Dreieck auf der Stirn, einen ebenso gezeichneten Halbmond auf der einen Seite und eine dem heiligen Käfer ähnliche Erhöhung unter der Zunge haben. War ein solches Individuum nach dem Ableben eines früheren Apis glücklich aufgefunden, so pflegte man das Thier (als Mnevis) in einer gegen Morgen offenen Halle zu Heliopolis vier Monate lang; dann erst wurde der neue Apis feierlich in den Tempel des Phtha nach Memphis gebracht. Mit diesem Stierdienst nun hatte es, wie Schelling bemerkt, eine eigene Bewandtniss. Denn "erstens wurde hier das Individuum als solches verehrt; zweitens war damit die besondere Idee von einer reinen Empfängniss verbunden (die Kuh, die den Apis warf, sollte von einem Sonnenstrahle befruchtet worden sein), und drittens verband sich damit die Vorstellung von einer Transmigration (Uebersiedelung) der Seele dieses Apis. So oft nämlich ein Apis starb, wanderte die Seele des verstorbenen in einen neuen Apis." Diess scheine nun, meint Schelling, gar nicht ägyptisch, auch mit der sonst angenommenen Seelenwanderungslehre der Aegypter hänge es nicht zusammen (nach dieser gehe die Seele nicht in den Leib eines andern Individuums derselben Art, sondern stets in ein Thier von anderer Art über). Diese letzte Idee habe etwas Fremdes an sich, sie erinnere an die Lamaischen Religionen; denn auch in diesen, wenn ein verkörperter Buddha sterbe, wandere seine Seele in seinen Nachfolger. Wenn also der Apis, wie Plutarch sagt, als ein lebendiges Bild des Osiris betrachtet wurde, oder wenn er ein verkörperter Osiris war, so scheint es unserem Philosophen, dass hier ein Kultus anderer Art nur mit dem ägyptischen in Verbindung gesetzt ist, dass also jener Kultus ursprünglich

Zur Stütze dieser Erklärung, die wir haltlos finden, fährt Schelling später fort: »Die Thierreihe stellt den Uebergang des realen Gottes als solchen dar. Als Gott gestorben, lebt er in den Thieren. Die Thiere sind dem Aegypter die zuckenden Glieder des Typhon. Den Menschen sieht der Aegypter für »den als Geist, als seiner selbst vollkommen mächtigen, wieder auferstandenen Gott« an; – was freilich seltsam genug klingt. Wir übergehen Schellings Untersuchung von jenen Thieren, die man in ihren Begräbnissstätten als Mumien völlig ebenso wie menschliche Leichname behandelt vorgefunden habe; so wären in der Nähe des Bubastistempels Mumien angetroffen worden, die zu dem Katzengeschlecht gehörten (Katzen, Löwen, Tiger), und Bubastis habe sich, wie die ägyptische Mythologie erzähle, aus Furcht vor Typhon in eine Katze verwandelt: die Katze sei eine Erscheinung der Bubastis gewesen. Worauf seine philosophische Ansicht von dem Charakter der letztern Göttin folgt, welche »das Bewusstsein des bereits überwundenen Typhon« sei; und diesem Bewusstsein, das schon während des Kampfes hervortrete, würden eben die reissenden Thiere zugeeignet, so dass es in diese verhüllt gedacht werde: nach seiner Meinung bezeichnend und bedeutend. Denn »auch in der Natur,« sagt er, »gehen die reissenden Thiere, welche wir vorzugsweise die Willensthiere nennen könnten, unmittelbar vor dem Menschen her.« Dem letzteren Zusatz wird man heutzutag ebenso wenig beistimmen, als man sich in jenes eigenthümliche Durchbrechen des Bewusstseins finden kann, ein Durchbrechen, auf welches das System dieses Philosophen gebaut ist, zu dem Zwecke, den Prozess des Werdens zu erklären.

Wenden wir uns zu einem andern Thierkultus, der, nach Schellings Dafürhalten, einen für sich abgeschlossenen Kreis bildet, zur Verehrung des heiligen Stieres, des Apis oder, nach der Angabe einiger Autoren, der drei Apis. Wir wollen es bei dem heiligen Stiere in Memphis bewenden lassen, dem einzigen, von welchem Herodotos, der beste Berichterstatter, Kenntniss hat. Man suchte den Stier nach besonderen Kennzeichen aus: er musste ein weissgezeichnetes Dreieck auf der Stirn, einen ebenso gezeichneten Halbmond auf der einen Seite und eine dem heiligen Käfer ähnliche Erhöhung unter der Zunge haben. War ein solches Individuum nach dem Ableben eines früheren Apis glücklich aufgefunden, so pflegte man das Thier (als Mnevis) in einer gegen Morgen offenen Halle zu Heliopolis vier Monate lang; dann erst wurde der neue Apis feierlich in den Tempel des Phtha nach Memphis gebracht. Mit diesem Stierdienst nun hatte es, wie Schelling bemerkt, eine eigene Bewandtniss. Denn »erstens wurde hier das Individuum als solches verehrt; zweitens war damit die besondere Idee von einer reinen Empfängniss verbunden (die Kuh, die den Apis warf, sollte von einem Sonnenstrahle befruchtet worden sein), und drittens verband sich damit die Vorstellung von einer Transmigration (Uebersiedelung) der Seele dieses Apis. So oft nämlich ein Apis starb, wanderte die Seele des verstorbenen in einen neuen Apis.« Diess scheine nun, meint Schelling, gar nicht ägyptisch, auch mit der sonst angenommenen Seelenwanderungslehre der Aegypter hänge es nicht zusammen (nach dieser gehe die Seele nicht in den Leib eines andern Individuums derselben Art, sondern stets in ein Thier von anderer Art über). Diese letzte Idee habe etwas Fremdes an sich, sie erinnere an die Lamaischen Religionen; denn auch in diesen, wenn ein verkörperter Buddha sterbe, wandere seine Seele in seinen Nachfolger. Wenn also der Apis, wie Plutarch sagt, als ein lebendiges Bild des Osiris betrachtet wurde, oder wenn er ein verkörperter Osiris war, so scheint es unserem Philosophen, dass hier ein Kultus anderer Art nur mit dem ägyptischen in Verbindung gesetzt ist, dass also jener Kultus ursprünglich

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[XLIV/0044] Zur Stütze dieser Erklärung, die wir haltlos finden, fährt Schelling später fort: »Die Thierreihe stellt den Uebergang des realen Gottes als solchen dar. Als Gott gestorben, lebt er in den Thieren. Die Thiere sind dem Aegypter die zuckenden Glieder des Typhon. Den Menschen sieht der Aegypter für »den als Geist, als seiner selbst vollkommen mächtigen, wieder auferstandenen Gott« an; – was freilich seltsam genug klingt. Wir übergehen Schellings Untersuchung von jenen Thieren, die man in ihren Begräbnissstätten als Mumien völlig ebenso wie menschliche Leichname behandelt vorgefunden habe; so wären in der Nähe des Bubastistempels Mumien angetroffen worden, die zu dem Katzengeschlecht gehörten (Katzen, Löwen, Tiger), und Bubastis habe sich, wie die ägyptische Mythologie erzähle, aus Furcht vor Typhon in eine Katze verwandelt: die Katze sei eine Erscheinung der Bubastis gewesen. Worauf seine philosophische Ansicht von dem Charakter der letztern Göttin folgt, welche »das Bewusstsein des bereits überwundenen Typhon« sei; und diesem Bewusstsein, das schon während des Kampfes hervortrete, würden eben die reissenden Thiere zugeeignet, so dass es in diese verhüllt gedacht werde: nach seiner Meinung bezeichnend und bedeutend. Denn »auch in der Natur,« sagt er, »gehen die reissenden Thiere, welche wir vorzugsweise die Willensthiere nennen könnten, unmittelbar vor dem Menschen her.« Dem letzteren Zusatz wird man heutzutag ebenso wenig beistimmen, als man sich in jenes eigenthümliche Durchbrechen des Bewusstseins finden kann, ein Durchbrechen, auf welches das System dieses Philosophen gebaut ist, zu dem Zwecke, den Prozess des Werdens zu erklären. Wenden wir uns zu einem andern Thierkultus, der, nach Schellings Dafürhalten, einen für sich abgeschlossenen Kreis bildet, zur Verehrung des heiligen Stieres, des Apis oder, nach der Angabe einiger Autoren, der drei Apis. Wir wollen es bei dem heiligen Stiere in Memphis bewenden lassen, dem einzigen, von welchem Herodotos, der beste Berichterstatter, Kenntniss hat. Man suchte den Stier nach besonderen Kennzeichen aus: er musste ein weissgezeichnetes Dreieck auf der Stirn, einen ebenso gezeichneten Halbmond auf der einen Seite und eine dem heiligen Käfer ähnliche Erhöhung unter der Zunge haben. War ein solches Individuum nach dem Ableben eines früheren Apis glücklich aufgefunden, so pflegte man das Thier (als Mnevis) in einer gegen Morgen offenen Halle zu Heliopolis vier Monate lang; dann erst wurde der neue Apis feierlich in den Tempel des Phtha nach Memphis gebracht. Mit diesem Stierdienst nun hatte es, wie Schelling bemerkt, eine eigene Bewandtniss. Denn »erstens wurde hier das Individuum als solches verehrt; zweitens war damit die besondere Idee von einer reinen Empfängniss verbunden (die Kuh, die den Apis warf, sollte von einem Sonnenstrahle befruchtet worden sein), und drittens verband sich damit die Vorstellung von einer Transmigration (Uebersiedelung) der Seele dieses Apis. So oft nämlich ein Apis starb, wanderte die Seele des verstorbenen in einen neuen Apis.« Diess scheine nun, meint Schelling, gar nicht ägyptisch, auch mit der sonst angenommenen Seelenwanderungslehre der Aegypter hänge es nicht zusammen (nach dieser gehe die Seele nicht in den Leib eines andern Individuums derselben Art, sondern stets in ein Thier von anderer Art über). Diese letzte Idee habe etwas Fremdes an sich, sie erinnere an die Lamaischen Religionen; denn auch in diesen, wenn ein verkörperter Buddha sterbe, wandere seine Seele in seinen Nachfolger. Wenn also der Apis, wie Plutarch sagt, als ein lebendiges Bild des Osiris betrachtet wurde, oder wenn er ein verkörperter Osiris war, so scheint es unserem Philosophen, dass hier ein Kultus anderer Art nur mit dem ägyptischen in Verbindung gesetzt ist, dass also jener Kultus ursprünglich

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Zitationshilfe: Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. XLIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/44>, abgerufen am 21.11.2024.