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Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.

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Macht des Jupiter, von junonischer Schönheit, von dem Liebreiz der Aphrodite (Kypris, Venus), von den Pfeilen des Amor, von Musen, Grazien und Furien, von Parzen und Gorgonen, von Helden wie Herkules, Theseus und Achilleus, kurz, von Myriaden anderer grosser und erhabener Erscheinungen, welche die Mythologie berichtet? Könnte man nicht, mit gleichem Rechte, ein Aufgeben der Geschichte und ihrer Personen, Charakterzüge und Lehren fordern? Alle diese Fragen stellen wir den Gegnern der Mythologie, den Unkennern derselben, den einseitigen Verächtern alles dessen, worin sie eine fremde, der eigenen Nation nicht angehörige Vorstellung wittern. Als ob irgend eine Nation gut thun würde, sich loszusagen von der früheren Menschheit und von den mitlebenden Völkern! Aus den Banden der Gemeinsamkeit kann sich Niemand ohne Schaden zurückziehen. Ein Entsagen auf dem Gebiete der Mythologie wäre eine muthwillige Selbstberaubung; nach allen obigen Andeutungen liegt keine vernünftige oder beachtenswerthe Veranlassung vor, dass man sich aus Grundsatz und absichtlich zahlloser Geistesfunken und Lichtblüthen, welche aus der Vorzeit stammen, wie welker und todter Blätter entäussern und begeben müsse. Selbst die Volkspoesie, die manche Menschen für die höchste Stufe der Dichtung schätzen, würde ihre Zweige kahl machen, wenn sie innerhalb der Schranken ihrer vier heimischen Pfähle sich festbannen und auf die schmuckreichen Gaben alter und fremder Geschlechter, ebenso eigensinnig als kurzsichtig, verzichten wollte.

Fünftens möchte es uns vielleicht erlaubt sein, auch den Naturforschern einen Wink zu geben, dass die Mythologie eine Weltbedeutung habe. Vortrefflich sind Experimente, wodurch sie in die Natur eindringen; vieles Unverhoffte und Wundervolle erläutern sie zum Heile der Menschheit. Aber was sie durch Experimente erreichen, ist noch bei weitem nicht die volle Wahrheit selbst; denn die Wahrheit befindet sich auch in Regionen, die nicht handgreiflich sind. Möchten sie nebenher ihren Fleiss mit gleichem Ernste auf die Betrachtung und Erforschung des Geistes richten, nicht blos der organischen und unorganischen Materie. Wie wenig hat man den Menschen nach seinem geistigen Theile, der so uralt ist wie der Körper, geprüft, erforscht und begriffen! Will man seine Unsterblichkeit bezweifeln? Nun, er macht sich ja durch die gewonnene Fixierung seiner Gedanken, seiner Gefühle, seines innern Wesens schon auf dieser Erde gewissermassen unsterblich; die Existenz eines Geistes erhält sich, durch Worte gesichert, auf ferne Jahrtausende hinaus! Dem Materialisten werden wir dann glauben, dass es keinen Geist giebt, wenn er uns mit Beibringung überzeugender und vollgültiger Beweise sagen wird, was eigentlich die Sonne ist, oder was der Mond. Und der Geist, den sie verneinen, ist mehr als Sonne und Mond. Bis auf diesen Tag weiss weder ein Materialist noch sonst Jemand zu erklären, was ein blosses Baumblatt ist, geschweige denn, dass eine Menschenhand ein solches erzeugen, schaffen, machen könnte. Wo also will diese heutige menschliche Ueberhebung und Anmassung hinaus ? Inzwischen sind wir so frei, zu behaupten, dass die meisten Naturforscher unseres Zeitalters, wie sehr sie sich brüsten mögen, nicht in Harmonie mit Natur und Geist sich befinden, sondern in Disharmonie. Man möchte sagen, sie haben die Fähigkeit für die Einsicht in die ewigen Gesetze der Dinge verloren. Die Vollkommenheit der Weltharmonie ahnt und begreift einzig und allein der wahre Dichter, in welchem Alles Harmonie ist; er vernimmt den göttlichen Klang, in welchem der menschliche Geist und das unsichtbare Leben der Seele sich ausdrückt und seine irdische Form gewinnt.

Leipzig, am Neujahrstage 1874.

Johannes Minckwitz.


Macht des Jupiter, von junonischer Schönheit, von dem Liebreiz der Aphrodite (Kypris, Venus), von den Pfeilen des Amor, von Musen, Grazien und Furien, von Parzen und Gorgonen, von Helden wie Herkules, Theseus und Achilleus, kurz, von Myriaden anderer grosser und erhabener Erscheinungen, welche die Mythologie berichtet? Könnte man nicht, mit gleichem Rechte, ein Aufgeben der Geschichte und ihrer Personen, Charakterzüge und Lehren fordern? Alle diese Fragen stellen wir den Gegnern der Mythologie, den Unkennern derselben, den einseitigen Verächtern alles dessen, worin sie eine fremde, der eigenen Nation nicht angehörige Vorstellung wittern. Als ob irgend eine Nation gut thun würde, sich loszusagen von der früheren Menschheit und von den mitlebenden Völkern! Aus den Banden der Gemeinsamkeit kann sich Niemand ohne Schaden zurückziehen. Ein Entsagen auf dem Gebiete der Mythologie wäre eine muthwillige Selbstberaubung; nach allen obigen Andeutungen liegt keine vernünftige oder beachtenswerthe Veranlassung vor, dass man sich aus Grundsatz und absichtlich zahlloser Geistesfunken und Lichtblüthen, welche aus der Vorzeit stammen, wie welker und todter Blätter entäussern und begeben müsse. Selbst die Volkspoesie, die manche Menschen für die höchste Stufe der Dichtung schätzen, würde ihre Zweige kahl machen, wenn sie innerhalb der Schranken ihrer vier heimischen Pfähle sich festbannen und auf die schmuckreichen Gaben alter und fremder Geschlechter, ebenso eigensinnig als kurzsichtig, verzichten wollte.

Fünftens möchte es uns vielleicht erlaubt sein, auch den Naturforschern einen Wink zu geben, dass die Mythologie eine Weltbedeutung habe. Vortrefflich sind Experimente, wodurch sie in die Natur eindringen; vieles Unverhoffte und Wundervolle erläutern sie zum Heile der Menschheit. Aber was sie durch Experimente erreichen, ist noch bei weitem nicht die volle Wahrheit selbst; denn die Wahrheit befindet sich auch in Regionen, die nicht handgreiflich sind. Möchten sie nebenher ihren Fleiss mit gleichem Ernste auf die Betrachtung und Erforschung des Geistes richten, nicht blos der organischen und unorganischen Materie. Wie wenig hat man den Menschen nach seinem geistigen Theile, der so uralt ist wie der Körper, geprüft, erforscht und begriffen! Will man seine Unsterblichkeit bezweifeln? Nun, er macht sich ja durch die gewonnene Fixierung seiner Gedanken, seiner Gefühle, seines innern Wesens schon auf dieser Erde gewissermassen unsterblich; die Existenz eines Geistes erhält sich, durch Worte gesichert, auf ferne Jahrtausende hinaus! Dem Materialisten werden wir dann glauben, dass es keinen Geist giebt, wenn er uns mit Beibringung überzeugender und vollgültiger Beweise sagen wird, was eigentlich die Sonne ist, oder was der Mond. Und der Geist, den sie verneinen, ist mehr als Sonne und Mond. Bis auf diesen Tag weiss weder ein Materialist noch sonst Jemand zu erklären, was ein blosses Baumblatt ist, geschweige denn, dass eine Menschenhand ein solches erzeugen, schaffen, machen könnte. Wo also will diese heutige menschliche Ueberhebung und Anmassung hinaus ? Inzwischen sind wir so frei, zu behaupten, dass die meisten Naturforscher unseres Zeitalters, wie sehr sie sich brüsten mögen, nicht in Harmonie mit Natur und Geist sich befinden, sondern in Disharmonie. Man möchte sagen, sie haben die Fähigkeit für die Einsicht in die ewigen Gesetze der Dinge verloren. Die Vollkommenheit der Weltharmonie ahnt und begreift einzig und allein der wahre Dichter, in welchem Alles Harmonie ist; er vernimmt den göttlichen Klang, in welchem der menschliche Geist und das unsichtbare Leben der Seele sich ausdrückt und seine irdische Form gewinnt.

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Zitationshilfe: Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. LXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/70>, abgerufen am 04.12.2024.