strahlender gewordenen Auge, redete der volle, Ehrfurcht gebietende Ausdruck jugendlicher Weisheit, der in früheren Zeiten nicht lebend anzutreffen war, den auch die Künstler, welche einst den Apollon vom Belvedere oder den An¬ tinous fertigten, noch nicht dargestellt hatten. Indessen konnte ihn die Entwicklung der Mensch¬ heit erst spät hervordringen.
Guido blickte bald verlegen auf das Kunst¬ werk, bald auf die hochsinnige Meisterin. Ich sehe mich hier in ein Gedicht verklärt, hub er an, was willst du mir deuten?
Kein Gedicht, entgegnete das Mädchen, erreich¬ bare Wahrheit. Du hast mir süßen Schmerz der Liebe geklagt. Gestalte dich nach diesem Bilde um, ich gebe dir zwei bis drei Jahre Zeit, hast du dann diese Schönheit dir anerzogen, soll meine Gegenliebe dein Lohn sein.
Wie soll ich das anfangen! rief der Befrem¬ dete. Bin ich Herr über meine Gestalt?
Du bist es.
Bin ich ein Schöpfer?
Wenn dein Lieben wahr ist! Ich sage dir nichts mehr. Dem Geist deiner Liebe hast du das Geheimniß zu entwinden. Doch nicht allein
ſtrahlender gewordenen Auge, redete der volle, Ehrfurcht gebietende Ausdruck jugendlicher Weisheit, der in fruͤheren Zeiten nicht lebend anzutreffen war, den auch die Kuͤnſtler, welche einſt den Apollon vom Belvedere oder den An¬ tinous fertigten, noch nicht dargeſtellt hatten. Indeſſen konnte ihn die Entwicklung der Menſch¬ heit erſt ſpaͤt hervordringen.
Guido blickte bald verlegen auf das Kunſt¬ werk, bald auf die hochſinnige Meiſterin. Ich ſehe mich hier in ein Gedicht verklaͤrt, hub er an, was willſt du mir deuten?
Kein Gedicht, entgegnete das Maͤdchen, erreich¬ bare Wahrheit. Du haſt mir ſuͤßen Schmerz der Liebe geklagt. Geſtalte dich nach dieſem Bilde um, ich gebe dir zwei bis drei Jahre Zeit, haſt du dann dieſe Schoͤnheit dir anerzogen, ſoll meine Gegenliebe dein Lohn ſein.
Wie ſoll ich das anfangen! rief der Befrem¬ dete. Bin ich Herr uͤber meine Geſtalt?
Du biſt es.
Bin ich ein Schoͤpfer?
Wenn dein Lieben wahr iſt! Ich ſage dir nichts mehr. Dem Geiſt deiner Liebe haſt du das Geheimniß zu entwinden. Doch nicht allein
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[12/0024]
ſtrahlender gewordenen Auge, redete der volle,
Ehrfurcht gebietende Ausdruck jugendlicher
Weisheit, der in fruͤheren Zeiten nicht lebend
anzutreffen war, den auch die Kuͤnſtler, welche
einſt den Apollon vom Belvedere oder den An¬
tinous fertigten, noch nicht dargeſtellt hatten.
Indeſſen konnte ihn die Entwicklung der Menſch¬
heit erſt ſpaͤt hervordringen.
Guido blickte bald verlegen auf das Kunſt¬
werk, bald auf die hochſinnige Meiſterin. Ich
ſehe mich hier in ein Gedicht verklaͤrt, hub er
an, was willſt du mir deuten?
Kein Gedicht, entgegnete das Maͤdchen, erreich¬
bare Wahrheit. Du haſt mir ſuͤßen Schmerz
der Liebe geklagt. Geſtalte dich nach dieſem
Bilde um, ich gebe dir zwei bis drei Jahre
Zeit, haſt du dann dieſe Schoͤnheit dir anerzogen,
ſoll meine Gegenliebe dein Lohn ſein.
Wie ſoll ich das anfangen! rief der Befrem¬
dete. Bin ich Herr uͤber meine Geſtalt?
Du biſt es.
Bin ich ein Schoͤpfer?
Wenn dein Lieben wahr iſt! Ich ſage dir
nichts mehr. Dem Geiſt deiner Liebe haſt du
das Geheimniß zu entwinden. Doch nicht allein
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/24>, abgerufen am 23.11.2024.
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