nem Schiffbruch. Sie waren jetzt überaus sel¬ ten, nur ein bedeutender Fehler des Piloten konnte es dazu kommen lassen. Denn bei den genauen Karten vom Meergrunde, der schon seit mehr als einem Jahrhundert entdeckten Berechnung der Länge, den herrlichen Mitteln bei Nacht einen weiten Umkreis zu erleuchten, konnte man beliebig jeder Gefahr entfliehn, auch der dauerhaften Bauart der Schiffe und der Möglichkeit, fast überall vor Anker zu gehn, nicht einmal zu gedenken. Hier hatte inzwischen ein Schiffer strafbare Nachlässigkeit verschuldet.
Das Betteln aber mußte darum männiglich so befremden, weil auch seit länger als einem Jahrhunderte es in Europa unerhört war. Denn Staatsordnung, Sitte, moralisches Gefühl hiel¬ ten Jeden zur Thätigkeit an, und da Landbau und Handwerke, durch tiefere Naturkunde und viel erweitete Technik, so leicht, so überflüssig die Lebensnothwendigkeiten hervorbrachten, so war es auch der Betriebsamkeit des Einzelnen, sie mochte bestehn worin sie wollte, nur ein Spiel, seinen Antheil zu erwerben. Die erhöhte Be¬ völkerung, statt diese Leichtigkeit zu stören; mußte sie vielmehr, ihrer ganzen Natur nach, fördern,
nem Schiffbruch. Sie waren jetzt uͤberaus ſel¬ ten, nur ein bedeutender Fehler des Piloten konnte es dazu kommen laſſen. Denn bei den genauen Karten vom Meergrunde, der ſchon ſeit mehr als einem Jahrhundert entdeckten Berechnung der Laͤnge, den herrlichen Mitteln bei Nacht einen weiten Umkreis zu erleuchten, konnte man beliebig jeder Gefahr entfliehn, auch der dauerhaften Bauart der Schiffe und der Moͤglichkeit, faſt uͤberall vor Anker zu gehn, nicht einmal zu gedenken. Hier hatte inzwiſchen ein Schiffer ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit verſchuldet.
Das Betteln aber mußte darum maͤnniglich ſo befremden, weil auch ſeit laͤnger als einem Jahrhunderte es in Europa unerhoͤrt war. Denn Staatsordnung, Sitte, moraliſches Gefuͤhl hiel¬ ten Jeden zur Thaͤtigkeit an, und da Landbau und Handwerke, durch tiefere Naturkunde und viel erweitete Technik, ſo leicht, ſo uͤberfluͤſſig die Lebensnothwendigkeiten hervorbrachten, ſo war es auch der Betriebſamkeit des Einzelnen, ſie mochte beſtehn worin ſie wollte, nur ein Spiel, ſeinen Antheil zu erwerben. Die erhoͤhte Be¬ voͤlkerung, ſtatt dieſe Leichtigkeit zu ſtoͤren; mußte ſie vielmehr, ihrer ganzen Natur nach, foͤrdern,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0249"n="237"/>
nem Schiffbruch. Sie waren jetzt uͤberaus ſel¬<lb/>
ten, nur ein bedeutender Fehler des Piloten<lb/>
konnte es dazu kommen laſſen. Denn bei den<lb/>
genauen Karten vom Meergrunde, der ſchon<lb/>ſeit mehr als einem Jahrhundert entdeckten<lb/>
Berechnung der Laͤnge, den herrlichen Mitteln<lb/>
bei Nacht einen weiten Umkreis zu erleuchten,<lb/>
konnte man beliebig jeder Gefahr entfliehn,<lb/>
auch der dauerhaften Bauart der Schiffe und<lb/>
der Moͤglichkeit, faſt uͤberall vor Anker zu gehn,<lb/>
nicht einmal zu gedenken. Hier hatte inzwiſchen<lb/>
ein Schiffer ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit verſchuldet.</p><lb/><p>Das Betteln aber mußte darum maͤnniglich<lb/>ſo befremden, weil auch ſeit laͤnger als einem<lb/>
Jahrhunderte es in Europa unerhoͤrt war. Denn<lb/>
Staatsordnung, Sitte, moraliſches Gefuͤhl hiel¬<lb/>
ten Jeden zur Thaͤtigkeit an, und da Landbau<lb/>
und Handwerke, durch tiefere Naturkunde und<lb/>
viel erweitete Technik, ſo leicht, ſo uͤberfluͤſſig<lb/>
die Lebensnothwendigkeiten hervorbrachten, ſo<lb/>
war es auch der Betriebſamkeit des Einzelnen, ſie<lb/>
mochte beſtehn worin ſie wollte, nur ein Spiel,<lb/>ſeinen Antheil zu erwerben. Die erhoͤhte Be¬<lb/>
voͤlkerung, ſtatt dieſe Leichtigkeit zu ſtoͤren; mußte<lb/>ſie vielmehr, ihrer ganzen Natur nach, foͤrdern,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[237/0249]
nem Schiffbruch. Sie waren jetzt uͤberaus ſel¬
ten, nur ein bedeutender Fehler des Piloten
konnte es dazu kommen laſſen. Denn bei den
genauen Karten vom Meergrunde, der ſchon
ſeit mehr als einem Jahrhundert entdeckten
Berechnung der Laͤnge, den herrlichen Mitteln
bei Nacht einen weiten Umkreis zu erleuchten,
konnte man beliebig jeder Gefahr entfliehn,
auch der dauerhaften Bauart der Schiffe und
der Moͤglichkeit, faſt uͤberall vor Anker zu gehn,
nicht einmal zu gedenken. Hier hatte inzwiſchen
ein Schiffer ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit verſchuldet.
Das Betteln aber mußte darum maͤnniglich
ſo befremden, weil auch ſeit laͤnger als einem
Jahrhunderte es in Europa unerhoͤrt war. Denn
Staatsordnung, Sitte, moraliſches Gefuͤhl hiel¬
ten Jeden zur Thaͤtigkeit an, und da Landbau
und Handwerke, durch tiefere Naturkunde und
viel erweitete Technik, ſo leicht, ſo uͤberfluͤſſig
die Lebensnothwendigkeiten hervorbrachten, ſo
war es auch der Betriebſamkeit des Einzelnen, ſie
mochte beſtehn worin ſie wollte, nur ein Spiel,
ſeinen Antheil zu erwerben. Die erhoͤhte Be¬
voͤlkerung, ſtatt dieſe Leichtigkeit zu ſtoͤren; mußte
ſie vielmehr, ihrer ganzen Natur nach, foͤrdern,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/249>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.