Der Vertraute spricht: Besteige den Thron, durch ein Verbrechen ihn mit deiner Tugend zu schmücken. Wie edel ist dann dies Verbrechen! Es wird die höchste deiner Tugenden, allen übrigen, die Bahnen ebnend. Begehst du es nicht, wie laut der Nation geheimes Flehn, wie laut der Beruf deiner Geistesgröße es ver¬ langen, dann erniedrigt dein Säumen dich zur Frevlerin. Alles Wehleiden der Millionen auf dein Haupt, ihr Fluch beugt dich schwerer, da du ihn in Seegen hättest umwandeln können.
Hier steht sie nun an dem furchtbaren Schei¬ deweg. Eine kühne Missethat -- und dann ein schönes Leben, dem Ruhm, gottähnlich über ein geliebtes Volk zu herrschen, geweiht. Eine feige Tugend -- und nichts als der Anblick eines elen¬ den geliebten Volkes. Hier steht sie -- weint, ruft sich selbst um Kraft an, mahnt ihren Ge¬ nius, Licht in dies schauderhafte Dunkel zu werfen -- und -- stört endlich nicht, was der Vertraute vollbringen will.
Nun empfängt sie das Scepter, und hält den Hoffnungen des Ruhmes Wort.
Zum Erstenmale ward heute das Trauerspiel
Der Vertraute ſpricht: Beſteige den Thron, durch ein Verbrechen ihn mit deiner Tugend zu ſchmuͤcken. Wie edel iſt dann dies Verbrechen! Es wird die hoͤchſte deiner Tugenden, allen uͤbrigen, die Bahnen ebnend. Begehſt du es nicht, wie laut der Nation geheimes Flehn, wie laut der Beruf deiner Geiſtesgroͤße es ver¬ langen, dann erniedrigt dein Saͤumen dich zur Frevlerin. Alles Wehleiden der Millionen auf dein Haupt, ihr Fluch beugt dich ſchwerer, da du ihn in Seegen haͤtteſt umwandeln koͤnnen.
Hier ſteht ſie nun an dem furchtbaren Schei¬ deweg. Eine kuͤhne Miſſethat — und dann ein ſchoͤnes Leben, dem Ruhm, gottaͤhnlich uͤber ein geliebtes Volk zu herrſchen, geweiht. Eine feige Tugend — und nichts als der Anblick eines elen¬ den geliebten Volkes. Hier ſteht ſie — weint, ruft ſich ſelbſt um Kraft an, mahnt ihren Ge¬ nius, Licht in dies ſchauderhafte Dunkel zu werfen — und — ſtoͤrt endlich nicht, was der Vertraute vollbringen will.
Nun empfaͤngt ſie das Scepter, und haͤlt den Hoffnungen des Ruhmes Wort.
Zum Erſtenmale ward heute das Trauerſpiel
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Der Vertraute ſpricht: Beſteige den Thron,
durch ein Verbrechen ihn mit deiner Tugend zu
ſchmuͤcken. Wie edel iſt dann dies Verbrechen!
Es wird die hoͤchſte deiner Tugenden, allen
uͤbrigen, die Bahnen ebnend. Begehſt du es
nicht, wie laut der Nation geheimes Flehn,
wie laut der Beruf deiner Geiſtesgroͤße es ver¬
langen, dann erniedrigt dein Saͤumen dich zur
Frevlerin. Alles Wehleiden der Millionen auf
dein Haupt, ihr Fluch beugt dich ſchwerer,
da du ihn in Seegen haͤtteſt umwandeln
koͤnnen.
Hier ſteht ſie nun an dem furchtbaren Schei¬
deweg. Eine kuͤhne Miſſethat — und dann ein
ſchoͤnes Leben, dem Ruhm, gottaͤhnlich uͤber ein
geliebtes Volk zu herrſchen, geweiht. Eine feige
Tugend — und nichts als der Anblick eines elen¬
den geliebten Volkes. Hier ſteht ſie — weint,
ruft ſich ſelbſt um Kraft an, mahnt ihren Ge¬
nius, Licht in dies ſchauderhafte Dunkel zu
werfen — und — ſtoͤrt endlich nicht, was der
Vertraute vollbringen will.
Nun empfaͤngt ſie das Scepter, und haͤlt den
Hoffnungen des Ruhmes Wort.
Zum Erſtenmale ward heute das Trauerſpiel
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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