nennen, wohl hatte sie Tag und Stunde ge¬ merkt, da das Jahr umgelaufen wäre, sie hoffte jetzt den Jüngling erscheinen zu sehn, und wenn sie ihn gerade so empfing, sind wir berechtigt, den Grund in ihrer Weiblichkeit aufzusuchen.
Sie erröthete -- da hätten Abendsonne und Rosen sich beschämt abwenden mögen, sie endete ihr Spiel, da konnte der Nachtigallenchor sich freuen, weil er nun gehört zu werden hoffte.
Sie stieg herab, winkte freundlich dem Jüng¬ ling aufzustehen. Lächelnd und gesammelter nahm sie seine Hand und führte ihn nach dem Zimmer im Wohnhause, das mit ihren malerischen Ge¬ weben umhängt war. Hier befand sich jenes Ideal von Guidos künftiger Schönheit, das sie gleich herbeilangte.
Du wecktest schöne Kräfte in dir, hob sie an, ihr Walten spricht in deinem Auge, ein reiner Sinn erzog dir diese Reinheit im Antlitz, edle Gefühle, hohe Einbildung, angenehme Affekten trugen den Ausdruck dieser Harmonie aus Linien, Farben, Zügen zusammen. Eile emsig weiter auf der hold betretenen Bahn, und das schöne Ziel wird dir nicht entfliehn.
Guido empfand selige Wonne. Als sich seine
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nennen, wohl hatte ſie Tag und Stunde ge¬ merkt, da das Jahr umgelaufen waͤre, ſie hoffte jetzt den Juͤngling erſcheinen zu ſehn, und wenn ſie ihn gerade ſo empfing, ſind wir berechtigt, den Grund in ihrer Weiblichkeit aufzuſuchen.
Sie erroͤthete — da haͤtten Abendſonne und Roſen ſich beſchaͤmt abwenden moͤgen, ſie endete ihr Spiel, da konnte der Nachtigallenchor ſich freuen, weil er nun gehoͤrt zu werden hoffte.
Sie ſtieg herab, winkte freundlich dem Juͤng¬ ling aufzuſtehen. Laͤchelnd und geſammelter nahm ſie ſeine Hand und fuͤhrte ihn nach dem Zimmer im Wohnhauſe, das mit ihren maleriſchen Ge¬ weben umhaͤngt war. Hier befand ſich jenes Ideal von Guidos kuͤnftiger Schoͤnheit, das ſie gleich herbeilangte.
Du weckteſt ſchoͤne Kraͤfte in dir, hob ſie an, ihr Walten ſpricht in deinem Auge, ein reiner Sinn erzog dir dieſe Reinheit im Antlitz, edle Gefuͤhle, hohe Einbildung, angenehme Affekten trugen den Ausdruck dieſer Harmonie aus Linien, Farben, Zuͤgen zuſammen. Eile emſig weiter auf der hold betretenen Bahn, und das ſchoͤne Ziel wird dir nicht entfliehn.
Guido empfand ſelige Wonne. Als ſich ſeine
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nennen, wohl hatte ſie Tag und Stunde ge¬
merkt, da das Jahr umgelaufen waͤre, ſie hoffte
jetzt den Juͤngling erſcheinen zu ſehn, und wenn
ſie ihn gerade ſo empfing, ſind wir berechtigt,
den Grund in ihrer Weiblichkeit aufzuſuchen.
Sie erroͤthete — da haͤtten Abendſonne und
Roſen ſich beſchaͤmt abwenden moͤgen, ſie endete
ihr Spiel, da konnte der Nachtigallenchor ſich
freuen, weil er nun gehoͤrt zu werden hoffte.
Sie ſtieg herab, winkte freundlich dem Juͤng¬
ling aufzuſtehen. Laͤchelnd und geſammelter nahm
ſie ſeine Hand und fuͤhrte ihn nach dem Zimmer
im Wohnhauſe, das mit ihren maleriſchen Ge¬
weben umhaͤngt war. Hier befand ſich jenes
Ideal von Guidos kuͤnftiger Schoͤnheit, das ſie
gleich herbeilangte.
Du weckteſt ſchoͤne Kraͤfte in dir, hob ſie an,
ihr Walten ſpricht in deinem Auge, ein reiner
Sinn erzog dir dieſe Reinheit im Antlitz, edle
Gefuͤhle, hohe Einbildung, angenehme Affekten
trugen den Ausdruck dieſer Harmonie aus Linien,
Farben, Zuͤgen zuſammen. Eile emſig weiter auf
der hold betretenen Bahn, und das ſchoͤne Ziel
wird dir nicht entfliehn.
Guido empfand ſelige Wonne. Als ſich ſeine
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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