Voß, Johann Heinrich: Luise. Ein ländliches Gedicht in 3 Idyllen. Königsberg, 1795.ERSTE IDYLLE Aber Mama, sanftlächelnd der wohlbe-kannten Erzählung, 15 Zupfte geheim Luisen, die neben ihr sass, an dem Ermel, Neigt' ihr nahe das Haupt, und begann mit leisem Geflister: Gehen wir noch in den Wald, mein Töchterchen? Oder gefällt dirs, Weil die Sonne so brennt, in der Geis- blattlaub' an dem Bache Deine Geburt zu feiren? Du blickst ja so scheu, und erröthest. 20 Hold erstaunt antwortete drauf das rosige Mägdlein: Nicht in der Laube, Mama! Das Geis- blatt duftet des Abends Viel zu streng', und zumal mit der Lilien und der Reseda ERSTE IDYLLE Aber Mama, ſanftlächelnd der wohlbe-kannten Erzählung, 15 Zupfte geheim Luiſen, die neben ihr ſaſs, an dem Ermel, Neigt’ ihr nahe das Haupt, und begann mit leiſem Gefliſter: Gehen wir noch in den Wald, mein Töchterchen? Oder gefällt dirſ, Weil die Sonne ſo brennt, in der Geis- blattlaub’ an dem Bache Deine Geburt zu feiren? Du blickſt ja ſo ſcheu, und errötheſt. 20 Hold erſtaunt antwortete drauf das roſige Mägdlein: Nicht in der Laube, Mama! Das Geis- blatt duftet des Abends Viel zu ſtreng’, und zumal mit der Lilien und der Reſeda <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0019" n="9"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">ERSTE IDYLLE</hi></fw><lb/> Aber Mama, ſanftlächelnd der wohlbe-<lb/> kannten Erzählung, <lb n="15"/> Zupfte geheim Luiſen, die neben ihr ſaſs,<lb/> an dem Ermel,<lb/> Neigt’ ihr nahe das Haupt, und begann<lb/> mit leiſem Gefliſter:<lb/> Gehen wir noch in den Wald, mein<lb/> Töchterchen? Oder gefällt dirſ,<lb/> Weil die Sonne ſo brennt, in der Geis-<lb/> blattlaub’ an dem Bache<lb/> Deine Geburt zu feiren? Du blickſt ja<lb/> ſo ſcheu, und errötheſt. <lb n="20"/> Hold erſtaunt antwortete drauf das<lb/> roſige Mägdlein:<lb/> Nicht in der Laube, Mama! Das Geis-<lb/> blatt duftet des Abends<lb/> Viel zu ſtreng’, und zumal mit der Lilien<lb/> und der Reſeda<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0019]
ERSTE IDYLLE
Aber Mama, ſanftlächelnd der wohlbe-
kannten Erzählung, 15
Zupfte geheim Luiſen, die neben ihr ſaſs,
an dem Ermel,
Neigt’ ihr nahe das Haupt, und begann
mit leiſem Gefliſter:
Gehen wir noch in den Wald, mein
Töchterchen? Oder gefällt dirſ,
Weil die Sonne ſo brennt, in der Geis-
blattlaub’ an dem Bache
Deine Geburt zu feiren? Du blickſt ja
ſo ſcheu, und errötheſt. 20
Hold erſtaunt antwortete drauf das
roſige Mägdlein:
Nicht in der Laube, Mama! Das Geis-
blatt duftet des Abends
Viel zu ſtreng’, und zumal mit der Lilien
und der Reſeda
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