Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Neunter Gesang. Auch ist unter dem Schwarm kein Meister, kundig des Schiffbaus,Schöngebordete Schiffe zu zimmern, daß sie mit Botschaft Zu den Völkern der Welt hinwandelten: wie sich so häufig Menschen über das Meer in Schiffen einander besuchen; Welche die Wildniß bald zu blühenden Auen sich schüfen.130 Denn nicht karg ist das Land, und schmückte jegliche Jahrszeit. Längst des grauen Meeres Gestade winden sich Wiesen, Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelsten Reben; Und leicht pflügte der Pflug, und dicke Saatengefilde Reiften jährlich der Ernte; denn fett ist unten der Boden.135 Und der Hafen so sicher! Kein Schiff bedarf da der Feßel, Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile; Sondern es läuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer Weiter zu fahren beliebt, und günstige Winde sich heben. Oben am Ende der Bucht entrieselt der felsichten Grotte140 Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umschattet. Alda landeten wir. Ein Gott war unser Geleiter Durch die finstere Nacht: wir sahn nicht, wohin wir uns wandten. Dickes Dunkel umdrängte die Schiff'; es leuchtet' am Himmel Weder Mond noch Stern, in schwarze Wolken gehüllet.145 Niemand erblickte daher mit seinen Augen die Insel; Selbst die langen Wogen, die hin ans Ufer sich wälzten, Sahen wir nicht, bevor die starken Schiffe gelandet. Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel, Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Gestade des Meeres,150 Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Frühe. Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, Neunter Geſang. Auch iſt unter dem Schwarm kein Meiſter, kundig des Schiffbaus,Schoͤngebordete Schiffe zu zimmern, daß ſie mit Botſchaft Zu den Voͤlkern der Welt hinwandelten: wie ſich ſo haͤufig Menſchen uͤber das Meer in Schiffen einander beſuchen; Welche die Wildniß bald zu bluͤhenden Auen ſich ſchuͤfen.130 Denn nicht karg iſt das Land, und ſchmuͤckte jegliche Jahrszeit. Laͤngſt des grauen Meeres Geſtade winden ſich Wieſen, Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelſten Reben; Und leicht pfluͤgte der Pflug, und dicke Saatengefilde Reiften jaͤhrlich der Ernte; denn fett iſt unten der Boden.135 Und der Hafen ſo ſicher! Kein Schiff bedarf da der Feßel, Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile; Sondern es laͤuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer Weiter zu fahren beliebt, und guͤnſtige Winde ſich heben. Oben am Ende der Bucht entrieſelt der felſichten Grotte140 Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umſchattet. Alda landeten wir. Ein Gott war unſer Geleiter Durch die finſtere Nacht: wir ſahn nicht, wohin wir uns wandten. Dickes Dunkel umdraͤngte die Schiff'; es leuchtet' am Himmel Weder Mond noch Stern, in ſchwarze Wolken gehuͤllet.145 Niemand erblickte daher mit ſeinen Augen die Inſel; Selbſt die langen Wogen, die hin ans Ufer ſich waͤlzten, Sahen wir nicht, bevor die ſtarken Schiffe gelandet. Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel, Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Geſtade des Meeres,150 Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Fruͤhe. Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0173" n="167"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neunter Geſang.</hi></fw><lb/> Auch iſt unter dem Schwarm kein Meiſter, kundig des Schiffbaus,<lb/> Schoͤngebordete Schiffe zu zimmern, daß ſie mit Botſchaft<lb/> Zu den Voͤlkern der Welt hinwandelten: wie ſich ſo haͤufig<lb/> Menſchen uͤber das Meer in Schiffen einander beſuchen;<lb/> Welche die Wildniß bald zu bluͤhenden Auen ſich ſchuͤfen.<note place="right">130</note><lb/> Denn nicht karg iſt das Land, und ſchmuͤckte jegliche Jahrszeit.<lb/> Laͤngſt des grauen Meeres Geſtade winden ſich Wieſen,<lb/> Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelſten Reben;<lb/> Und leicht pfluͤgte der Pflug, und dicke Saatengefilde<lb/> Reiften jaͤhrlich der Ernte; denn fett iſt unten der Boden.<note place="right">135</note><lb/> Und der Hafen ſo ſicher! Kein Schiff bedarf da der Feßel,<lb/> Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile;<lb/> Sondern es laͤuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer<lb/> Weiter zu fahren beliebt, und guͤnſtige Winde ſich heben.<lb/> Oben am Ende der Bucht entrieſelt der felſichten Grotte<note place="right">140</note><lb/> Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umſchattet.<lb/> Alda landeten wir. Ein Gott war unſer Geleiter<lb/> Durch die finſtere Nacht: wir ſahn nicht, wohin wir uns wandten.<lb/> Dickes Dunkel umdraͤngte die Schiff'; es leuchtet' am Himmel<lb/> Weder Mond noch Stern, in ſchwarze Wolken gehuͤllet.<note place="right">145</note><lb/> Niemand erblickte daher mit ſeinen Augen die Inſel;<lb/> Selbſt die langen Wogen, die hin ans Ufer ſich waͤlzten,<lb/> Sahen wir nicht, bevor die ſtarken Schiffe gelandet.<lb/> Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel,<lb/> Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Geſtade des Meeres,<note place="right">150</note><lb/> Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Fruͤhe.</p><lb/> <p>Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,<lb/> Wanderten wir umher, und beſahen wundernd das Eiland.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [167/0173]
Neunter Geſang.
Auch iſt unter dem Schwarm kein Meiſter, kundig des Schiffbaus,
Schoͤngebordete Schiffe zu zimmern, daß ſie mit Botſchaft
Zu den Voͤlkern der Welt hinwandelten: wie ſich ſo haͤufig
Menſchen uͤber das Meer in Schiffen einander beſuchen;
Welche die Wildniß bald zu bluͤhenden Auen ſich ſchuͤfen.
Denn nicht karg iſt das Land, und ſchmuͤckte jegliche Jahrszeit.
Laͤngſt des grauen Meeres Geſtade winden ſich Wieſen,
Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelſten Reben;
Und leicht pfluͤgte der Pflug, und dicke Saatengefilde
Reiften jaͤhrlich der Ernte; denn fett iſt unten der Boden.
Und der Hafen ſo ſicher! Kein Schiff bedarf da der Feßel,
Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile;
Sondern es laͤuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer
Weiter zu fahren beliebt, und guͤnſtige Winde ſich heben.
Oben am Ende der Bucht entrieſelt der felſichten Grotte
Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umſchattet.
Alda landeten wir. Ein Gott war unſer Geleiter
Durch die finſtere Nacht: wir ſahn nicht, wohin wir uns wandten.
Dickes Dunkel umdraͤngte die Schiff'; es leuchtet' am Himmel
Weder Mond noch Stern, in ſchwarze Wolken gehuͤllet.
Niemand erblickte daher mit ſeinen Augen die Inſel;
Selbſt die langen Wogen, die hin ans Ufer ſich waͤlzten,
Sahen wir nicht, bevor die ſtarken Schiffe gelandet.
Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel,
Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Geſtade des Meeres,
Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Fruͤhe.
130
135
140
145
150
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,
Wanderten wir umher, und beſahen wundernd das Eiland.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |