Auf! erzähle mir jezo, von deinen Leiden, o Alter! 185 Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtstadt? Und in welcherlei Schiff kamst du? wie brachten die Schiffer Dich nach Ithaka her? was rühmen sich jene vor Leute? Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen! 190
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: Dieses will ich dir gern und nach der Wahrheit erzählen. Wären wir beide mit Speis' auf lange Zeiten versorget, Und erfreuendem Wein, und blieben hier stets in der Hütte Ruhig sizen am Mahl, und andre bestellten die Arbeit; 195 Siehe dann könnte leicht ein Jahr verfliegen, und dennoch Hätt' ich nicht die Erzählung von allen Leiden vollendet, Welche der Götter Rath auf meine Seele gehäuft hat. Aus dem weiten Gefilde von Kräta stamm' ich; mein Vater War ein begüterter Mann, und noch viel andere Söhne 200 Wurden in seinem Hause geboren und auferzogen, Aechte Kinder der Frau. Doch mich gebar ein erkauftes Kebsweib; aber es ehrte mich, gleich den ehlichen Kindern, Kastor, Hülakos Sohn, aus deßen Blut' ich gezeugt bin. Dieser ward, wie ein Gott, im krätischen Volke geehret, 205 Wegen seiner Gewalt, Reichthümer und rühmlichen Söhne. Aber ihn führeten bald des Todes Schrecken in Ais Schattenbehausung hinab; die übermütigen Söhne Warfen darauf das Loos, und theilten das Erbe des Vaters. Mir beschieden sie nur ein Haus und wenige Güter. 210 Aber ich nahm mir ein Weib aus einem der reichsten Geschlechter, Das ich durch Tugend gewann; denn ich war kein entarteter Jüngling,
Oduͤßee.
Auf! erzaͤhle mir jezo, von deinen Leiden, o Alter! 185 Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Wer, wes Volkes biſt du, und wo iſt deine Geburtſtadt? Und in welcherlei Schiff kamſt du? wie brachten die Schiffer Dich nach Ithaka her? was ruͤhmen ſich jene vor Leute? Denn unmoͤglich biſt du doch hier zu Fuße gekommen! 190
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Dieſes will ich dir gern und nach der Wahrheit erzaͤhlen. Waͤren wir beide mit Speiſ' auf lange Zeiten verſorget, Und erfreuendem Wein, und blieben hier ſtets in der Huͤtte Ruhig ſizen am Mahl, und andre beſtellten die Arbeit; 195 Siehe dann koͤnnte leicht ein Jahr verfliegen, und dennoch Haͤtt' ich nicht die Erzaͤhlung von allen Leiden vollendet, Welche der Goͤtter Rath auf meine Seele gehaͤuft hat. Aus dem weiten Gefilde von Kraͤta ſtamm' ich; mein Vater War ein beguͤterter Mann, und noch viel andere Soͤhne 200 Wurden in ſeinem Hauſe geboren und auferzogen, Aechte Kinder der Frau. Doch mich gebar ein erkauftes Kebsweib; aber es ehrte mich, gleich den ehlichen Kindern, Kaſtor, Huͤlakos Sohn, aus deßen Blut' ich gezeugt bin. Dieſer ward, wie ein Gott, im kraͤtiſchen Volke geehret, 205 Wegen ſeiner Gewalt, Reichthuͤmer und ruͤhmlichen Soͤhne. Aber ihn fuͤhreten bald des Todes Schrecken in Aïs Schattenbehauſung hinab; die uͤbermuͤtigen Soͤhne Warfen darauf das Loos, und theilten das Erbe des Vaters. Mir beſchieden ſie nur ein Haus und wenige Guͤter. 210 Aber ich nahm mir ein Weib aus einem der reichſten Geſchlechter, Das ich durch Tugend gewann; denn ich war kein entarteter Juͤngling,
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Oduͤßee.
Auf! erzaͤhle mir jezo, von deinen Leiden, o Alter!
Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße:
Wer, wes Volkes biſt du, und wo iſt deine Geburtſtadt?
Und in welcherlei Schiff kamſt du? wie brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? was ruͤhmen ſich jene vor Leute?
Denn unmoͤglich biſt du doch hier zu Fuße gekommen!
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Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Dieſes will ich dir gern und nach der Wahrheit erzaͤhlen.
Waͤren wir beide mit Speiſ' auf lange Zeiten verſorget,
Und erfreuendem Wein, und blieben hier ſtets in der Huͤtte
Ruhig ſizen am Mahl, und andre beſtellten die Arbeit;
Siehe dann koͤnnte leicht ein Jahr verfliegen, und dennoch
Haͤtt' ich nicht die Erzaͤhlung von allen Leiden vollendet,
Welche der Goͤtter Rath auf meine Seele gehaͤuft hat.
Aus dem weiten Gefilde von Kraͤta ſtamm' ich; mein Vater
War ein beguͤterter Mann, und noch viel andere Soͤhne
Wurden in ſeinem Hauſe geboren und auferzogen,
Aechte Kinder der Frau. Doch mich gebar ein erkauftes
Kebsweib; aber es ehrte mich, gleich den ehlichen Kindern,
Kaſtor, Huͤlakos Sohn, aus deßen Blut' ich gezeugt bin.
Dieſer ward, wie ein Gott, im kraͤtiſchen Volke geehret,
Wegen ſeiner Gewalt, Reichthuͤmer und ruͤhmlichen Soͤhne.
Aber ihn fuͤhreten bald des Todes Schrecken in Aïs
Schattenbehauſung hinab; die uͤbermuͤtigen Soͤhne
Warfen darauf das Loos, und theilten das Erbe des Vaters.
Mir beſchieden ſie nur ein Haus und wenige Guͤter.
Aber ich nahm mir ein Weib aus einem der reichſten Geſchlechter,
Das ich durch Tugend gewann; denn ich war kein entarteter Juͤngling,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/276>, abgerufen am 21.11.2024.
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