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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Siebzehnter Gesang.

Also sprach er; da ward Antinoos Herz noch erboßter;
Drohend blickt' er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:

Nun so sollst du gewiß aus diesem Saale nicht wieder 460
Unbeschädigt entrinnen, da du noch Schmähungen redest!

Sprachs, und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Odüßeus
Dicht am Gelenke des Halses. Er aber stand, wie ein Felsen,
Fest, und wankte nicht von Antinoos mächtigem Wurfe;
Sondern schüttelte schweigend das Haupt, und sann auf Verderben; 465
Ging dann zur Schwelle zurück, und sezte sich, legte den Ranzen
Voll von Speise nieder, und sprach zu der Freier Versammlung:

Höret mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Nicht der mindeste Schmerz noch Kummer beuget die Seele 470
Eines Mannes, der, streitend für seine Güter, vom Feinde
Wunden empfängt, für die Heerden der Rinder und wollichten Schafe:
Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers,
Welcher den elenden Menschen so vielen Kummer verursacht!
Aber beschüzt auch die Armen der Götter und Göttinnen Rache, 475
Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermählung!

Und Eupeithäs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Fremdling, size geruhig und iß, oder gehe von hinnen;
Daß dich die Jünglinge nicht bei den Händen und Füßen, du Schwäzer,
Durch den Palast fortschleppen, und deine Glieder zerreißen! 480

Also sprach er; allein die übrigen zürnten ihm heftig.
Also redete mancher der übermütigen Freier:

Uebel, Antinoos, thatst du, den armen Fremdling zu werfen!
Unglückseliger! wenn er nun gar ein Himmlischer wäre!
Denn oft tragen die Götter entfernter Fremdlinge Bildung; 485

Siebzehnter Geſang.

Alſo ſprach er; da ward Antinoos Herz noch erboßter;
Drohend blickt' er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Nun ſo ſollſt du gewiß aus dieſem Saale nicht wieder 460
Unbeſchaͤdigt entrinnen, da du noch Schmaͤhungen redeſt!

Sprachs, und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Oduͤßeus
Dicht am Gelenke des Halſes. Er aber ſtand, wie ein Felſen,
Feſt, und wankte nicht von Antinoos maͤchtigem Wurfe;
Sondern ſchuͤttelte ſchweigend das Haupt, und ſann auf Verderben; 465
Ging dann zur Schwelle zuruͤck, und ſezte ſich, legte den Ranzen
Voll von Speiſe nieder, und ſprach zu der Freier Verſammlung:

Hoͤret mich an, ihr Freier der weitgeprieſenen Fuͤrſtin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Buſen gebietet.
Nicht der mindeſte Schmerz noch Kummer beuget die Seele 470
Eines Mannes, der, ſtreitend fuͤr ſeine Guͤter, vom Feinde
Wunden empfaͤngt, fuͤr die Heerden der Rinder und wollichten Schafe:
Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers,
Welcher den elenden Menſchen ſo vielen Kummer verurſacht!
Aber beſchuͤzt auch die Armen der Goͤtter und Goͤttinnen Rache, 475
Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermaͤhlung!

Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Fremdling, ſize geruhig und iß, oder gehe von hinnen;
Daß dich die Juͤnglinge nicht bei den Haͤnden und Fuͤßen, du Schwaͤzer,
Durch den Palaſt fortſchleppen, und deine Glieder zerreißen! 480

Alſo ſprach er; allein die uͤbrigen zuͤrnten ihm heftig.
Alſo redete mancher der uͤbermuͤtigen Freier:

Uebel, Antinoos, thatſt du, den armen Fremdling zu werfen!
Ungluͤckſeliger! wenn er nun gar ein Himmliſcher waͤre!
Denn oft tragen die Goͤtter entfernter Fremdlinge Bildung; 485

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[339/0345] Siebzehnter Geſang. Alſo ſprach er; da ward Antinoos Herz noch erboßter; Drohend blickt' er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Nun ſo ſollſt du gewiß aus dieſem Saale nicht wieder Unbeſchaͤdigt entrinnen, da du noch Schmaͤhungen redeſt! 460 Sprachs, und warf mit dem Schemel die rechte Schulter Oduͤßeus Dicht am Gelenke des Halſes. Er aber ſtand, wie ein Felſen, Feſt, und wankte nicht von Antinoos maͤchtigem Wurfe; Sondern ſchuͤttelte ſchweigend das Haupt, und ſann auf Verderben; Ging dann zur Schwelle zuruͤck, und ſezte ſich, legte den Ranzen Voll von Speiſe nieder, und ſprach zu der Freier Verſammlung: 465 Hoͤret mich an, ihr Freier der weitgeprieſenen Fuͤrſtin, Daß ich rede, wie mir das Herz im Buſen gebietet. Nicht der mindeſte Schmerz noch Kummer beuget die Seele Eines Mannes, der, ſtreitend fuͤr ſeine Guͤter, vom Feinde Wunden empfaͤngt, fuͤr die Heerden der Rinder und wollichten Schafe: Doch Antinoos warf mich wegen des traurigen Hungers, Welcher den elenden Menſchen ſo vielen Kummer verurſacht! Aber beſchuͤzt auch die Armen der Goͤtter und Goͤttinnen Rache, Dann ereile der Tod Antinoos vor der Vermaͤhlung! 470 475 Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort: Fremdling, ſize geruhig und iß, oder gehe von hinnen; Daß dich die Juͤnglinge nicht bei den Haͤnden und Fuͤßen, du Schwaͤzer, Durch den Palaſt fortſchleppen, und deine Glieder zerreißen! 480 Alſo ſprach er; allein die uͤbrigen zuͤrnten ihm heftig. Alſo redete mancher der uͤbermuͤtigen Freier: Uebel, Antinoos, thatſt du, den armen Fremdling zu werfen! Ungluͤckſeliger! wenn er nun gar ein Himmliſcher waͤre! Denn oft tragen die Goͤtter entfernter Fremdlinge Bildung; 485

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/345>, abgerufen am 24.11.2024.