Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Neunzehnter Gesang. Wasch' ich dich gern; denn tief innersten Herzen empfind' ichMitleid! Aber wohlan, vernim jezt, was ich dir sage: Unser Haus besuchte schon mancher bekümmerte Fremdling; Aber ich habe noch nimmer so etwas ähnlichs gesehen, 380 Als du, an Stimme, Gestalt und Füßen, Odüßeus gleichest. Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: Also sprach er. Da trug die Alte die schimmernde Wanne Dieser Autolükos kam in Ithaka's fruchtbares Eiland, V. 396. Nach Homers Moral ist einem Rechtschaffenen gegen böse Feinde
jede Verstellung, und im Nothfall selbst ein zweideutiger Schwur erlaubt: z. E. Ges. 20. V. 339. Neunzehnter Geſang. Waſch' ich dich gern; denn tief innerſten Herzen empfind' ichMitleid! Aber wohlan, vernim jezt, was ich dir ſage: Unſer Haus beſuchte ſchon mancher bekuͤmmerte Fremdling; Aber ich habe noch nimmer ſo etwas aͤhnlichs geſehen, 380 Als du, an Stimme, Geſtalt und Fuͤßen, Oduͤßeus gleicheſt. Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Alſo ſprach er. Da trug die Alte die ſchimmernde Wanne Dieſer Autoluͤkos kam in Ithaka's fruchtbares Eiland, V. 396. Nach Homers Moral iſt einem Rechtſchaffenen gegen boͤſe Feinde
jede Verſtellung, und im Nothfall ſelbſt ein zweideutiger Schwur erlaubt: z. E. Geſ. 20. V. 339. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0381" n="375"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neunzehnter Geſang.</hi></fw><lb/> Waſch' ich dich gern; denn tief innerſten Herzen empfind' ich<lb/> Mitleid! Aber wohlan, vernim jezt, was ich dir ſage:<lb/> Unſer Haus beſuchte ſchon mancher bekuͤmmerte Fremdling;<lb/> Aber ich habe noch nimmer ſo etwas aͤhnlichs geſehen, <note place="right">380</note><lb/> Als du, an Stimme, Geſtalt und Fuͤßen, Oduͤßeus gleicheſt.</p><lb/> <p>Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:<lb/> Mutter, ſo ſagen alle, die uns mit Augen geſehen,<lb/> Daß wir beiden, Oduͤßeus und ich, einander beſonders<lb/> Aehnlich ſind; wie auch du mit Scharfſinn jezo bemerkeſt. <note place="right">385</note></p><lb/> <p>Alſo ſprach er. Da trug die Alte die ſchimmernde Wanne<lb/> Zum Fußwaſchen herbei: ſie goß in die Wanne des Brunnen<lb/> Kaltes Waßer, und miſcht' es mit kochendem. Aber Oduͤßeus<lb/> Sezte ſich neben den Heerd, und wandte ſich ſchnell in das Dunkel;<lb/> Denn es fiel ihm mit Einmal aufs Herz, ſie moͤchte beim Waſchen <note place="right">390</note><lb/> Seine Narbe bemerken, und ſein Geheimniß verrathen.<lb/> Jene kam, wuſch ihren Herrn, und erkannte die Narbe<lb/> Gleich, die ein Eber ihm einſt mit weißem Zahne gehauen,<lb/> Als er an dem Parnaß Autoluͤkos, ſeiner Mutter<lb/> Edlen Vater, beſucht' und Autoluͤkos Soͤhne, des Kluͤgſten <note place="right">395</note><lb/> An Verſtellung und Schwur! Hermeias ſelber gewaͤhrt' ihm <note place="foot" n="V. 396."> Nach Homers Moral iſt einem Rechtſchaffenen gegen boͤſe Feinde<lb/> jede Verſtellung, und im Nothfall ſelbſt ein zweideutiger Schwur erlaubt: z. E.<lb/> Geſ. 20. V. 339.</note><lb/> Dieſe Kunſt; denn ihm verbrannt' er der Laͤmmer und Zicklein<lb/> Lenden zum ſuͤßen Geruch, und huldreich ſchirmte der Gott ihn.</p><lb/> <p>Dieſer Autoluͤkos kam in Ithaka's fruchtbares Eiland,<lb/> Eben da ſeine Tochter ihm einen Enkel geboren. <note place="right">400</note><lb/> Euruͤkleia ſezte das neugeborene Knaͤblein,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [375/0381]
Neunzehnter Geſang.
Waſch' ich dich gern; denn tief innerſten Herzen empfind' ich
Mitleid! Aber wohlan, vernim jezt, was ich dir ſage:
Unſer Haus beſuchte ſchon mancher bekuͤmmerte Fremdling;
Aber ich habe noch nimmer ſo etwas aͤhnlichs geſehen,
Als du, an Stimme, Geſtalt und Fuͤßen, Oduͤßeus gleicheſt.
380
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Mutter, ſo ſagen alle, die uns mit Augen geſehen,
Daß wir beiden, Oduͤßeus und ich, einander beſonders
Aehnlich ſind; wie auch du mit Scharfſinn jezo bemerkeſt.
385
Alſo ſprach er. Da trug die Alte die ſchimmernde Wanne
Zum Fußwaſchen herbei: ſie goß in die Wanne des Brunnen
Kaltes Waßer, und miſcht' es mit kochendem. Aber Oduͤßeus
Sezte ſich neben den Heerd, und wandte ſich ſchnell in das Dunkel;
Denn es fiel ihm mit Einmal aufs Herz, ſie moͤchte beim Waſchen
Seine Narbe bemerken, und ſein Geheimniß verrathen.
Jene kam, wuſch ihren Herrn, und erkannte die Narbe
Gleich, die ein Eber ihm einſt mit weißem Zahne gehauen,
Als er an dem Parnaß Autoluͤkos, ſeiner Mutter
Edlen Vater, beſucht' und Autoluͤkos Soͤhne, des Kluͤgſten
An Verſtellung und Schwur! Hermeias ſelber gewaͤhrt' ihm V. 396.
Dieſe Kunſt; denn ihm verbrannt' er der Laͤmmer und Zicklein
Lenden zum ſuͤßen Geruch, und huldreich ſchirmte der Gott ihn.
390
395
Dieſer Autoluͤkos kam in Ithaka's fruchtbares Eiland,
Eben da ſeine Tochter ihm einen Enkel geboren.
Euruͤkleia ſezte das neugeborene Knaͤblein,
400
V. 396. Nach Homers Moral iſt einem Rechtſchaffenen gegen boͤſe Feinde
jede Verſtellung, und im Nothfall ſelbſt ein zweideutiger Schwur erlaubt: z. E.
Geſ. 20. V. 339.
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