Unter den Freiern war ein ungezogener Jüngling: Dieser hieß Ktäsippos, und war aus Samä gebürtig. Stolz auf das große Gut des Vaters, warb er anizo Um die Gattin Odüßeus, des langabwesenden Königs. 290 Dieser erhub die Stimme, und sprach zu den trozigen Freiern:
Höret, was ich euch sag', ihr edelmütigen Freier! Zwar empfing der Fremdling schon längst sein gebührendes Antheil, Eben wie wir; denn es wäre nicht recht, und gegen den Wohlstand, Fremde zu übergehn, die Tälemachos Wohnung besuchen: 295 Aber ich will ihm doch auch ein wenig verehren; damit er Etwa die Magd, die ihn badet, beschenke, oder auch jemand Sonst von den Leuten im Hause des göttergleichen Odüßeus.
Also sprach er, und warf mit nervichter Rechte den Kuhfuß, Welcher im Korbe lag, nach Odüßeus. Aber Odüßeus 300 Wandte behende sein Haupt, und barg mit schrecklichem Lächeln Seinen Zorn; und das Bein fuhr gegen die zierliche Mauer. Aber Tälemachos schalt den Freier mit drohenden Worten:
Wahrlich, Ktäsippos, es ist ein großes Glück für dein Leben, Daß du den Fremdling nicht trafst; denn dieser beugte dem Wurf aus: 305 Traun! ich hätte dich gleich mit der spizen Lanze durchboret, Und stat der Hochzeit würde dein Vater ein Leichenbegängniß Hier begehn! Verübe mir keiner die mindeste Unart Hier im Palast! Mir fehlt nun weder Verstand noch Erfahrung, Gutes und Böses zu sehn; denn ehmals war ich ein Knabe 310 Dennoch schaun wir es an, und leiden alles geduldig, Wie ihr das Mastvieh schlachtet, und schwelgend den Wein und die Speise Ausleert; denn was vermag ein Einziger gegen so viele? Aber hierbei laßt nun auch eure Beleidigung stillstehn!
Zwanzigſter Geſang.
Unter den Freiern war ein ungezogener Juͤngling: Dieſer hieß Ktaͤſippos, und war aus Samaͤ gebuͤrtig. Stolz auf das große Gut des Vaters, warb er anizo Um die Gattin Oduͤßeus, des langabweſenden Koͤnigs. 290 Dieſer erhub die Stimme, und ſprach zu den trozigen Freiern:
Hoͤret, was ich euch ſag', ihr edelmuͤtigen Freier! Zwar empfing der Fremdling ſchon laͤngſt ſein gebuͤhrendes Antheil, Eben wie wir; denn es waͤre nicht recht, und gegen den Wohlſtand, Fremde zu uͤbergehn, die Taͤlemachos Wohnung beſuchen: 295 Aber ich will ihm doch auch ein wenig verehren; damit er Etwa die Magd, die ihn badet, beſchenke, oder auch jemand Sonſt von den Leuten im Hauſe des goͤttergleichen Oduͤßeus.
Alſo ſprach er, und warf mit nervichter Rechte den Kuhfuß, Welcher im Korbe lag, nach Oduͤßeus. Aber Oduͤßeus 300 Wandte behende ſein Haupt, und barg mit ſchrecklichem Laͤcheln Seinen Zorn; und das Bein fuhr gegen die zierliche Mauer. Aber Taͤlemachos ſchalt den Freier mit drohenden Worten:
Wahrlich, Ktaͤſippos, es iſt ein großes Gluͤck fuͤr dein Leben, Daß du den Fremdling nicht trafſt; denn dieſer beugte dem Wurf aus: 305 Traun! ich haͤtte dich gleich mit der ſpizen Lanze durchboret, Und ſtat der Hochzeit wuͤrde dein Vater ein Leichenbegaͤngniß Hier begehn! Veruͤbe mir keiner die mindeſte Unart Hier im Palaſt! Mir fehlt nun weder Verſtand noch Erfahrung, Gutes und Boͤſes zu ſehn; denn ehmals war ich ein Knabe 310 Dennoch ſchaun wir es an, und leiden alles geduldig, Wie ihr das Maſtvieh ſchlachtet, und ſchwelgend den Wein und die Speiſe Ausleert; denn was vermag ein Einziger gegen ſo viele? Aber hierbei laßt nun auch eure Beleidigung ſtillſtehn!
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Zwanzigſter Geſang.
Unter den Freiern war ein ungezogener Juͤngling:
Dieſer hieß Ktaͤſippos, und war aus Samaͤ gebuͤrtig.
Stolz auf das große Gut des Vaters, warb er anizo
Um die Gattin Oduͤßeus, des langabweſenden Koͤnigs.
Dieſer erhub die Stimme, und ſprach zu den trozigen Freiern:
290
Hoͤret, was ich euch ſag', ihr edelmuͤtigen Freier!
Zwar empfing der Fremdling ſchon laͤngſt ſein gebuͤhrendes Antheil,
Eben wie wir; denn es waͤre nicht recht, und gegen den Wohlſtand,
Fremde zu uͤbergehn, die Taͤlemachos Wohnung beſuchen:
Aber ich will ihm doch auch ein wenig verehren; damit er
Etwa die Magd, die ihn badet, beſchenke, oder auch jemand
Sonſt von den Leuten im Hauſe des goͤttergleichen Oduͤßeus.
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Alſo ſprach er, und warf mit nervichter Rechte den Kuhfuß,
Welcher im Korbe lag, nach Oduͤßeus. Aber Oduͤßeus
Wandte behende ſein Haupt, und barg mit ſchrecklichem Laͤcheln
Seinen Zorn; und das Bein fuhr gegen die zierliche Mauer.
Aber Taͤlemachos ſchalt den Freier mit drohenden Worten:
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Wahrlich, Ktaͤſippos, es iſt ein großes Gluͤck fuͤr dein Leben,
Daß du den Fremdling nicht trafſt; denn dieſer beugte dem Wurf aus:
Traun! ich haͤtte dich gleich mit der ſpizen Lanze durchboret,
Und ſtat der Hochzeit wuͤrde dein Vater ein Leichenbegaͤngniß
Hier begehn! Veruͤbe mir keiner die mindeſte Unart
Hier im Palaſt! Mir fehlt nun weder Verſtand noch Erfahrung,
Gutes und Boͤſes zu ſehn; denn ehmals war ich ein Knabe
Dennoch ſchaun wir es an, und leiden alles geduldig,
Wie ihr das Maſtvieh ſchlachtet, und ſchwelgend den Wein und die Speiſe
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Aber hierbei laßt nun auch eure Beleidigung ſtillſtehn!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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