Flehend beschwör' ich dich, hat je mein Vater Odüßeus Einen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Thaten, In dem troischen Lande, wo Noth euch Achaier umdrängte: 100 Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkündest!
Ihm antwortete drauf der Roßebändiger Nestor: Lieber weil du mich doch an jene Trübsal erinnerst, Die wir tapfern Achaier im troischen Lande geduldet; Wann wir jezt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere 105 Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns führte; Jezt um die große Stadt des herschenden Priamos kämpften: Dort verloren ihr Leben die tapfersten aller Achaier! Dort liegt Aias, ein Held gleich Aräs; dort auch Achilleus; V. 109. Dort sein Freund Patroklos, an Rath den Unsterblichen ähnlich; 110 Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel, Rüstig vor allen Achaiern im Lauf, und rüstig im Streite! Und wir haben auch sonst noch viele Leiden erduldet! Welcher sterbliche Mensch vermöchte sie alle zu nennen? Bliebest du auch fünf Jahr' und sechs nacheinander, und forschtest 115 Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du würdest Ueberdrüßig vorher in deine Heimat zurückgehn. Denn neun Jahre hindurch erschöpften wir, ihnen zu schaden, Alle Listen des Kriegs; und kaum vollbracht' es Kronion! Da war keiner im Heere, der sich mit jenem an Klugheit 120 Maß; allübersehend erfand der edle Odüßeus Alle Listen des Kriegs, dein Vater; woferne du würklich Seines Geschlechtes bist. -- Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
V. 109. Aräs, Mars.
Oduͤßee.
Flehend beſchwoͤr' ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten, In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte: 100 Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!
Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor: Lieber weil du mich doch an jene Truͤbſal erinnerſt, Die wir tapfern Achaier im troiſchen Lande geduldet; Wann wir jezt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere 105 Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns fuͤhrte; Jezt um die große Stadt des herſchenden Priamos kaͤmpften: Dort verloren ihr Leben die tapferſten aller Achaier! Dort liegt Aias, ein Held gleich Araͤs; dort auch Achilleus; V. 109. Dort ſein Freund Patroklos, an Rath den Unſterblichen aͤhnlich; 110 Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel, Ruͤſtig vor allen Achaiern im Lauf, und ruͤſtig im Streite! Und wir haben auch ſonſt noch viele Leiden erduldet! Welcher ſterbliche Menſch vermoͤchte ſie alle zu nennen? Bliebeſt du auch fuͤnf Jahr' und ſechs nacheinander, und forſchteſt 115 Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du wuͤrdeſt Ueberdruͤßig vorher in deine Heimat zuruͤckgehn. Denn neun Jahre hindurch erſchoͤpften wir, ihnen zu ſchaden, Alle Liſten des Kriegs; und kaum vollbracht' es Kronion! Da war keiner im Heere, der ſich mit jenem an Klugheit 120 Maß; alluͤberſehend erfand der edle Oduͤßeus Alle Liſten des Kriegs, dein Vater; woferne du wuͤrklich Seines Geſchlechtes biſt. — Mit Staunen erfuͤllt mich der Anblick!
V. 109. Araͤs, Mars.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="48"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/>
Flehend beſchwoͤr' ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus<lb/>
Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten,<lb/>
In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte: <noteplace="right">100</note><lb/>
Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!</p><lb/><p>Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor:<lb/>
Lieber weil du mich doch an jene Truͤbſal erinnerſt,<lb/>
Die wir tapfern Achaier im troiſchen Lande geduldet;<lb/>
Wann wir jezt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere <noteplace="right">105</note><lb/>
Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns fuͤhrte;<lb/>
Jezt um die große Stadt des herſchenden Priamos kaͤmpften:<lb/>
Dort verloren ihr Leben die tapferſten aller Achaier!<lb/>
Dort liegt Aias, ein Held gleich Araͤs; dort auch Achilleus; <noteplace="foot"n="V. 109.">Araͤs, Mars.</note><lb/>
Dort ſein Freund Patroklos, an Rath den Unſterblichen aͤhnlich; <noteplace="right">110</note><lb/>
Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel,<lb/>
Ruͤſtig vor allen Achaiern im Lauf, und ruͤſtig im Streite!<lb/>
Und wir haben auch ſonſt noch viele Leiden erduldet!<lb/>
Welcher ſterbliche Menſch vermoͤchte ſie alle zu nennen?<lb/>
Bliebeſt du auch fuͤnf Jahr' und ſechs nacheinander, und forſchteſt <noteplace="right">115</note><lb/>
Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du wuͤrdeſt<lb/>
Ueberdruͤßig vorher in deine Heimat zuruͤckgehn.<lb/>
Denn neun Jahre hindurch erſchoͤpften wir, ihnen zu ſchaden,<lb/>
Alle Liſten des Kriegs; und kaum vollbracht' es Kronion!<lb/>
Da war keiner im Heere, der ſich mit jenem an Klugheit <noteplace="right">120</note><lb/>
Maß; alluͤberſehend erfand der edle Oduͤßeus<lb/>
Alle Liſten des Kriegs, dein Vater; woferne du wuͤrklich<lb/>
Seines Geſchlechtes biſt. — Mit Staunen erfuͤllt mich der Anblick!<lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0054]
Oduͤßee.
Flehend beſchwoͤr' ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus
Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten,
In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte:
Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!
100
Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor:
Lieber weil du mich doch an jene Truͤbſal erinnerſt,
Die wir tapfern Achaier im troiſchen Lande geduldet;
Wann wir jezt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere
Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns fuͤhrte;
Jezt um die große Stadt des herſchenden Priamos kaͤmpften:
Dort verloren ihr Leben die tapferſten aller Achaier!
Dort liegt Aias, ein Held gleich Araͤs; dort auch Achilleus; V. 109.
Dort ſein Freund Patroklos, an Rath den Unſterblichen aͤhnlich;
Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel,
Ruͤſtig vor allen Achaiern im Lauf, und ruͤſtig im Streite!
Und wir haben auch ſonſt noch viele Leiden erduldet!
Welcher ſterbliche Menſch vermoͤchte ſie alle zu nennen?
Bliebeſt du auch fuͤnf Jahr' und ſechs nacheinander, und forſchteſt
Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du wuͤrdeſt
Ueberdruͤßig vorher in deine Heimat zuruͤckgehn.
Denn neun Jahre hindurch erſchoͤpften wir, ihnen zu ſchaden,
Alle Liſten des Kriegs; und kaum vollbracht' es Kronion!
Da war keiner im Heere, der ſich mit jenem an Klugheit
Maß; alluͤberſehend erfand der edle Oduͤßeus
Alle Liſten des Kriegs, dein Vater; woferne du wuͤrklich
Seines Geſchlechtes biſt. — Mit Staunen erfuͤllt mich der Anblick!
105
110
115
120
V. 109. Araͤs, Mars.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/54>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.