Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

greifet doch, daß jedes Wesen nur aus den
Kräften, die es vom Himmel erhalten hat,
Bildungen aus sich herausschaffen kann, und
daß einem jeden seine Schöpfungen gemäß
seyn müssen. Und wenn ihr euch nicht in
alle fremde Wesen hineinzufühlen, und
durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu
empfinden vermöget; so versuchet wenig¬
stens, durch die Schlußketten des Verstan¬
des mittelbar an diese Überzeugung heranzu¬
reichen. --

Hätte die aussäende Hand des Himmels
den Keim deiner Seele auf die afrikanischen
Sandwüsten fallen lassen, so würdest du al¬
ler Welt das glänzende Schwarz der Haut,
das dicke, stumpfe Gesicht, und die kurzen,
krausen Haare, als wesentliche Theile der
höchsten Schönheit angepredigt, und den er¬
sten weißen Menschen verlacht oder gehaßt
haben. Wäre deine Seele einige hundert

greifet doch, daß jedes Weſen nur aus den
Kräften, die es vom Himmel erhalten hat,
Bildungen aus ſich herausſchaffen kann, und
daß einem jeden ſeine Schöpfungen gemäß
ſeyn müſſen. Und wenn ihr euch nicht in
alle fremde Weſen hineinzufühlen, und
durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu
empfinden vermöget; ſo verſuchet wenig¬
ſtens, durch die Schlußketten des Verſtan¬
des mittelbar an dieſe Überzeugung heranzu¬
reichen. —

Hätte die ausſäende Hand des Himmels
den Keim deiner Seele auf die afrikaniſchen
Sandwüſten fallen laſſen, ſo würdeſt du al¬
ler Welt das glänzende Schwarz der Haut,
das dicke, ſtumpfe Geſicht, und die kurzen,
krauſen Haare, als weſentliche Theile der
höchſten Schönheit angepredigt, und den er¬
ſten weißen Menſchen verlacht oder gehaßt
haben. Wäre deine Seele einige hundert

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="103"/>
greifet doch, daß jedes We&#x017F;en nur aus den<lb/>
Kräften, die es vom Himmel erhalten hat,<lb/>
Bildungen aus &#x017F;ich heraus&#x017F;chaffen kann, und<lb/>
daß einem jeden &#x017F;eine Schöpfungen gemäß<lb/>
&#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en. Und wenn ihr euch nicht in<lb/>
alle fremde We&#x017F;en hineinzu<hi rendition="#g">fühlen</hi>, und<lb/>
durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu<lb/><hi rendition="#g">empfinden</hi> vermöget; &#x017F;o ver&#x017F;uchet wenig¬<lb/>
&#x017F;tens, durch die Schlußketten des Ver&#x017F;tan¬<lb/>
des mittelbar an die&#x017F;e Überzeugung heranzu¬<lb/>
reichen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Hätte die aus&#x017F;äende Hand des Himmels<lb/>
den Keim deiner Seele auf die afrikani&#x017F;chen<lb/>
Sandwü&#x017F;ten fallen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o würde&#x017F;t du al¬<lb/>
ler Welt das glänzende Schwarz der Haut,<lb/>
das dicke, &#x017F;tumpfe Ge&#x017F;icht, und die kurzen,<lb/>
krau&#x017F;en Haare, als we&#x017F;entliche Theile der<lb/>
höch&#x017F;ten Schönheit angepredigt, und den er¬<lb/>
&#x017F;ten weißen Men&#x017F;chen verlacht oder gehaßt<lb/>
haben. Wäre deine Seele einige hundert<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0111] greifet doch, daß jedes Weſen nur aus den Kräften, die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus ſich herausſchaffen kann, und daß einem jeden ſeine Schöpfungen gemäß ſeyn müſſen. Und wenn ihr euch nicht in alle fremde Weſen hineinzufühlen, und durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu empfinden vermöget; ſo verſuchet wenig¬ ſtens, durch die Schlußketten des Verſtan¬ des mittelbar an dieſe Überzeugung heranzu¬ reichen. — Hätte die ausſäende Hand des Himmels den Keim deiner Seele auf die afrikaniſchen Sandwüſten fallen laſſen, ſo würdeſt du al¬ ler Welt das glänzende Schwarz der Haut, das dicke, ſtumpfe Geſicht, und die kurzen, krauſen Haare, als weſentliche Theile der höchſten Schönheit angepredigt, und den er¬ ſten weißen Menſchen verlacht oder gehaßt haben. Wäre deine Seele einige hundert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/111
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/111>, abgerufen am 09.05.2024.