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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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setzen, und durch das Betrachten aller, und
das Erbetteln von ihren mannigfachen großen
Gaben, ihrer aller Geist in sich vereinigen,
und sie alle besiegen könne! -- Die Periode
der eigenen Kraft ist vorüber; man will durch
ärmliches Nachahmen und klügelndes Zusam¬
mensetzen das versagende Talent erzwingen,
und kalte, geleckte, charakterlose Werke sind
die Frucht. -- Die deutsche Kunst war ein
frommer Jüngling in den Ringmauern einer
kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich
erzogen; -- nun sie älter ist, ist sie zum all¬
gemeinen Weltmanne geworden, der mit den
kleinstädtischen Sitten zugleich sein Gefühl
und sein eigenthümliches Gepräge von der
Seele weggewischt hat.

Ich möchte um Alles nicht, daß der zau¬
berhafte Correggio, oder der prächtige Paolo
Veronese, oder der gewaltige Buonarotti,
eben so gemahlt hätten als Raphael. Und

ſetzen, und durch das Betrachten aller, und
das Erbetteln von ihren mannigfachen großen
Gaben, ihrer aller Geiſt in ſich vereinigen,
und ſie alle beſiegen könne! — Die Periode
der eigenen Kraft iſt vorüber; man will durch
ärmliches Nachahmen und klügelndes Zuſam¬
menſetzen das verſagende Talent erzwingen,
und kalte, geleckte, charakterloſe Werke ſind
die Frucht. — Die deutſche Kunſt war ein
frommer Jüngling in den Ringmauern einer
kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich
erzogen; — nun ſie älter iſt, iſt ſie zum all¬
gemeinen Weltmanne geworden, der mit den
kleinſtädtiſchen Sitten zugleich ſein Gefühl
und ſein eigenthümliches Gepräge von der
Seele weggewiſcht hat.

Ich möchte um Alles nicht, daß der zau¬
berhafte Correggio, oder der prächtige Paolo
Veroneſe, oder der gewaltige Buonarotti,
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[123/0131] ſetzen, und durch das Betrachten aller, und das Erbetteln von ihren mannigfachen großen Gaben, ihrer aller Geiſt in ſich vereinigen, und ſie alle beſiegen könne! — Die Periode der eigenen Kraft iſt vorüber; man will durch ärmliches Nachahmen und klügelndes Zuſam¬ menſetzen das verſagende Talent erzwingen, und kalte, geleckte, charakterloſe Werke ſind die Frucht. — Die deutſche Kunſt war ein frommer Jüngling in den Ringmauern einer kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich erzogen; — nun ſie älter iſt, iſt ſie zum all¬ gemeinen Weltmanne geworden, der mit den kleinſtädtiſchen Sitten zugleich ſein Gefühl und ſein eigenthümliches Gepräge von der Seele weggewiſcht hat. Ich möchte um Alles nicht, daß der zau¬ berhafte Correggio, oder der prächtige Paolo Veroneſe, oder der gewaltige Buonarotti, eben ſo gemahlt hätten als Raphael. Und

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/131>, abgerufen am 09.05.2024.