Als ich in meiner Jugend mit unruhigem Geiste hier und dort umherzog, und überall begierig aufschaute, wo von Kunstsachen et¬ was zu sehen war, befand ich mich auch einmal auf einem fremden gräflichen Schlos¬ se, wo ich drey Tage lang mich an den vie¬ len Gemählden nicht satt sehen konnte. Ich wollte sie alle auswendig lernen, und er¬ hitzte mein Blut dabey so sehr, daß mir die tausend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz verwirrten. Am dritten Tage kam ein alter Mann, ein reisender italienischer Pater im Schlosse an, dessen Namen ich bis auf diese Stunde nicht erfahren habe; auch habe ich seit dem Tage nie wieder von ihm gehört. Er war ein grundgelehrter Mann, und hatte so viel Dinge in seinem Kopfe, daß ich er¬
Die Mahlerchronik.
Als ich in meiner Jugend mit unruhigem Geiſte hier und dort umherzog, und überall begierig aufſchaute, wo von Kunſtſachen et¬ was zu ſehen war, befand ich mich auch einmal auf einem fremden gräflichen Schloſ¬ ſe, wo ich drey Tage lang mich an den vie¬ len Gemählden nicht ſatt ſehen konnte. Ich wollte ſie alle auswendig lernen, und er¬ hitzte mein Blut dabey ſo ſehr, daß mir die tauſend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz verwirrten. Am dritten Tage kam ein alter Mann, ein reiſender italieniſcher Pater im Schloſſe an, deſſen Namen ich bis auf dieſe Stunde nicht erfahren habe; auch habe ich ſeit dem Tage nie wieder von ihm gehört. Er war ein grundgelehrter Mann, und hatte ſo viel Dinge in ſeinem Kopfe, daß ich er¬
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Die Mahlerchronik.
Als ich in meiner Jugend mit unruhigem
Geiſte hier und dort umherzog, und überall
begierig aufſchaute, wo von Kunſtſachen et¬
was zu ſehen war, befand ich mich auch
einmal auf einem fremden gräflichen Schloſ¬
ſe, wo ich drey Tage lang mich an den vie¬
len Gemählden nicht ſatt ſehen konnte. Ich
wollte ſie alle auswendig lernen, und er¬
hitzte mein Blut dabey ſo ſehr, daß mir die
tauſend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz
verwirrten. Am dritten Tage kam ein alter
Mann, ein reiſender italieniſcher Pater im
Schloſſe an, deſſen Namen ich bis auf dieſe
Stunde nicht erfahren habe; auch habe ich
ſeit dem Tage nie wieder von ihm gehört.
Er war ein grundgelehrter Mann, und hatte
ſo viel Dinge in ſeinem Kopfe, daß ich er¬
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/208>, abgerufen am 11.05.2024.
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