Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

dachte er mit Wehmuth an den reinen, idea¬
lischen Enthusiasmus seiner Knabenzeit zu¬
rück, und daneben an seinen Vater, wie er
sich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte
zu erziehen, daß er das Elend der Menschen
mindern, Unglückliche heilen, und so der
Welt nützen sollte. Vielleicht wär's besser
gewesen! dachte er in manchen Stunden.

Sein Vater war indeß bey seinem Alter
sehr schwach geworden. Joseph schrieb im¬
mer seiner ältesten Schwester, und schickte
ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn sel¬
ber zu besuchen konnte er nicht übers Herz
bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich
war. Er ward trübsinniger; -- sein Leben
neigte sich hinunter.

Einst hatte er eine neue schöne Musik
von seiner Hand im Concertsaal aufgeführt:
es schien das erstemal, daß er auf die Her¬

dachte er mit Wehmuth an den reinen, idea¬
liſchen Enthuſiasmus ſeiner Knabenzeit zu¬
rück, und daneben an ſeinen Vater, wie er
ſich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte
zu erziehen, daß er das Elend der Menſchen
mindern, Unglückliche heilen, und ſo der
Welt nützen ſollte. Vielleicht wär's beſſer
geweſen! dachte er in manchen Stunden.

Sein Vater war indeß bey ſeinem Alter
ſehr ſchwach geworden. Joſeph ſchrieb im¬
mer ſeiner älteſten Schweſter, und ſchickte
ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn ſel¬
ber zu beſuchen konnte er nicht übers Herz
bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich
war. Er ward trübſinniger; — ſein Leben
neigte ſich hinunter.

Einſt hatte er eine neue ſchöne Muſik
von ſeiner Hand im Concertſaal aufgeführt:
es ſchien das erſtemal, daß er auf die Her¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0276" n="268"/>
dachte er mit Wehmuth an den reinen, idea¬<lb/>
li&#x017F;chen Enthu&#x017F;iasmus &#x017F;einer Knabenzeit zu¬<lb/>
rück, und daneben an &#x017F;einen Vater, wie er<lb/>
&#x017F;ich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte<lb/>
zu erziehen, daß er das Elend der Men&#x017F;chen<lb/>
mindern, Unglückliche heilen, und &#x017F;o der<lb/>
Welt nützen &#x017F;ollte. Vielleicht wär's be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
gewe&#x017F;en! dachte er in manchen Stunden.</p><lb/>
          <p>Sein Vater war indeß bey &#x017F;einem Alter<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chwach geworden. Jo&#x017F;eph &#x017F;chrieb im¬<lb/>
mer &#x017F;einer älte&#x017F;ten Schwe&#x017F;ter, und &#x017F;chickte<lb/>
ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn &#x017F;el¬<lb/>
ber zu be&#x017F;uchen konnte er nicht übers Herz<lb/>
bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich<lb/>
war. Er ward trüb&#x017F;inniger; &#x2014; &#x017F;ein Leben<lb/>
neigte &#x017F;ich hinunter.</p><lb/>
          <p>Ein&#x017F;t hatte er eine neue &#x017F;chöne Mu&#x017F;ik<lb/>
von &#x017F;einer Hand im Concert&#x017F;aal aufgeführt:<lb/>
es &#x017F;chien das er&#x017F;temal, daß er auf die Her¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0276] dachte er mit Wehmuth an den reinen, idea¬ liſchen Enthuſiasmus ſeiner Knabenzeit zu¬ rück, und daneben an ſeinen Vater, wie er ſich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte zu erziehen, daß er das Elend der Menſchen mindern, Unglückliche heilen, und ſo der Welt nützen ſollte. Vielleicht wär's beſſer geweſen! dachte er in manchen Stunden. Sein Vater war indeß bey ſeinem Alter ſehr ſchwach geworden. Joſeph ſchrieb im¬ mer ſeiner älteſten Schweſter, und ſchickte ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn ſel¬ ber zu beſuchen konnte er nicht übers Herz bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich war. Er ward trübſinniger; — ſein Leben neigte ſich hinunter. Einſt hatte er eine neue ſchöne Muſik von ſeiner Hand im Concertſaal aufgeführt: es ſchien das erſtemal, daß er auf die Her¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/276
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/276>, abgerufen am 18.12.2024.