Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kunst zu finden. Denn wenn ein Wort
meine Gefühle ausdrücken soll, so muß es
Liebe seyn, die jetzt mein Herz und meinen
Geist regiert.

Es ist mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬
hang von meinem Leben hinweggezogen wäre,
und ich nun erst das zu sehn bekäme, was
die Menschen immer die Natur und die
Schönheit der Welt nennen. Alle Berge,
alle Wolken, der Himmel und sein Abend¬
roth sind jetzt anders und näher zu mir her¬
abgezogen; mit Liebe und unaussprechlicher
Sehnsucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬
gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil
er für uns und diese Erde zu gut und zu
erhaben war: heiße Thränen der Begeiste¬
rung, der reinsten Ehrfurcht treten in mein
irdisches Auge, und machen meinen Sinn
himmlischtrunken, wenn ich jetzt vor seinen
Werken stehe, und sie mir tief in Sinn und

der Kunſt zu finden. Denn wenn ein Wort
meine Gefühle ausdrücken ſoll, ſo muß es
Liebe ſeyn, die jetzt mein Herz und meinen
Geiſt regiert.

Es iſt mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬
hang von meinem Leben hinweggezogen wäre,
und ich nun erſt das zu ſehn bekäme, was
die Menſchen immer die Natur und die
Schönheit der Welt nennen. Alle Berge,
alle Wolken, der Himmel und ſein Abend¬
roth ſind jetzt anders und näher zu mir her¬
abgezogen; mit Liebe und unausſprechlicher
Sehnſucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬
gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil
er für uns und dieſe Erde zu gut und zu
erhaben war: heiße Thränen der Begeiſte¬
rung, der reinſten Ehrfurcht treten in mein
irdiſches Auge, und machen meinen Sinn
himmliſchtrunken, wenn ich jetzt vor ſeinen
Werken ſtehe, und ſie mir tief in Sinn und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="54"/>
der Kun&#x017F;t zu finden. Denn wenn ein Wort<lb/>
meine Gefühle ausdrücken &#x017F;oll, &#x017F;o muß es<lb/>
Liebe &#x017F;eyn, die jetzt mein Herz und meinen<lb/>
Gei&#x017F;t regiert.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬<lb/>
hang von meinem Leben hinweggezogen wäre,<lb/>
und ich nun er&#x017F;t das zu &#x017F;ehn bekäme, was<lb/>
die Men&#x017F;chen immer die Natur und die<lb/>
Schönheit der Welt nennen. Alle Berge,<lb/>
alle Wolken, der Himmel und &#x017F;ein Abend¬<lb/>
roth &#x017F;ind jetzt anders und näher zu mir her¬<lb/>
abgezogen; mit Liebe und unaus&#x017F;prechlicher<lb/>
Sehn&#x017F;ucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬<lb/>
gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil<lb/>
er für uns und die&#x017F;e Erde zu gut und zu<lb/>
erhaben war: heiße Thränen der Begei&#x017F;te¬<lb/>
rung, der rein&#x017F;ten Ehrfurcht treten in mein<lb/>
irdi&#x017F;ches Auge, und machen meinen Sinn<lb/>
himmli&#x017F;chtrunken, wenn ich jetzt vor &#x017F;einen<lb/>
Werken &#x017F;tehe, und &#x017F;ie mir tief in Sinn und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] der Kunſt zu finden. Denn wenn ein Wort meine Gefühle ausdrücken ſoll, ſo muß es Liebe ſeyn, die jetzt mein Herz und meinen Geiſt regiert. Es iſt mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬ hang von meinem Leben hinweggezogen wäre, und ich nun erſt das zu ſehn bekäme, was die Menſchen immer die Natur und die Schönheit der Welt nennen. Alle Berge, alle Wolken, der Himmel und ſein Abend¬ roth ſind jetzt anders und näher zu mir her¬ abgezogen; mit Liebe und unausſprechlicher Sehnſucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬ gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil er für uns und dieſe Erde zu gut und zu erhaben war: heiße Thränen der Begeiſte¬ rung, der reinſten Ehrfurcht treten in mein irdiſches Auge, und machen meinen Sinn himmliſchtrunken, wenn ich jetzt vor ſeinen Werken ſtehe, und ſie mir tief in Sinn und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/62
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/62>, abgerufen am 24.11.2024.