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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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betrachtungswürdigen Geist eines einzigen
Mannes zu beschränken, um seine eigenthüm¬
lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für sich,
in ihrem Zusammenhange zu überschauen? --
und ob man wohl so dreist, mit der an¬
maßenden Strenge eines Richteramtes, die
Künstler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬
dienste in Reih' und Glied stellen könne,
wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬
sterhafte Menschen, nach genauen Regeln
des Ranges, über- und untereinander zu
setzen sich vermessen?

Ich meyne, man könne Geister von sehr
verschiedener Beschaffenheit, die beyde große
Eigenschaften haben, beyde bewundern. Die
Geister der Menschen sind eben so unendlich¬
mannigfaltig, als es ihre Gesichtsbildungen
sind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige,
faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Grei¬
ses eben so wohl schön, als das unbefan¬

betrachtungswürdigen Geiſt eines einzigen
Mannes zu beſchränken, um ſeine eigenthüm¬
lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für ſich,
in ihrem Zuſammenhange zu überſchauen? —
und ob man wohl ſo dreiſt, mit der an¬
maßenden Strenge eines Richteramtes, die
Künſtler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬
dienſte in Reih' und Glied ſtellen könne,
wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬
ſterhafte Menſchen, nach genauen Regeln
des Ranges, über- und untereinander zu
ſetzen ſich vermeſſen?

Ich meyne, man könne Geiſter von ſehr
verſchiedener Beſchaffenheit, die beyde große
Eigenſchaften haben, beyde bewundern. Die
Geiſter der Menſchen ſind eben ſo unendlich¬
mannigfaltig, als es ihre Geſichtsbildungen
ſind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige,
faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Grei¬
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[87/0095] betrachtungswürdigen Geiſt eines einzigen Mannes zu beſchränken, um ſeine eigenthüm¬ lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für ſich, in ihrem Zuſammenhange zu überſchauen? — und ob man wohl ſo dreiſt, mit der an¬ maßenden Strenge eines Richteramtes, die Künſtler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬ dienſte in Reih' und Glied ſtellen könne, wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬ ſterhafte Menſchen, nach genauen Regeln des Ranges, über- und untereinander zu ſetzen ſich vermeſſen? Ich meyne, man könne Geiſter von ſehr verſchiedener Beſchaffenheit, die beyde große Eigenſchaften haben, beyde bewundern. Die Geiſter der Menſchen ſind eben ſo unendlich¬ mannigfaltig, als es ihre Geſichtsbildungen ſind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige, faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Grei¬ ſes eben ſo wohl ſchön, als das unbefan¬

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/95>, abgerufen am 27.11.2024.