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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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das die Geschichte der im Jahre 1732 vom Erzbischof in Salzburg pwa_090.002
vertriebenen Protestanten erzählt: indess davon müssen wir absehen; pwa_090.003
denn diess ältere Buch kennt so gut wie Niemand, so dass für uns pwa_090.004
das alles die Bedeutung des neu Erfundenen besitzt. Aber es kommt pwa_090.005
hier auch noch der Hintergrund in Betracht, der jene Darstellung pwa_090.006
hält und trägt und ihr die Localfarbe giebt, die historischen Ereignisse, pwa_090.007
aus denen jene poetischen sich als einzelne Gruppe herauslösen. pwa_090.008
Und diesen historischen Hintergrund, welcher der ganzen Dichtung pwa_090.009
so wesentlich ist, hat der Dichter nicht erfunden, sondern der lebendigen pwa_090.010
Wirklichkeit seiner Zeit, der französischen Revolution, nachgestaltet.

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Jetzt bleibt uns noch von den komischen Epopöien zu sprechen. pwa_090.013
Schon oben (S. 80) ist erwähnt worden, wie die alte Poesie sich die pwa_090.014
Einmischung des Komischen in umfassende Epen wo nicht versage, pwa_090.015
doch aus guten Gründen nur höchst selten gestatte und dabei jedesmal pwa_090.016
mit behutsamer Schonung verfahre; wie aber eine eigentliche pwa_090.017
Durchführung desselben bloss in solchen Dichtungen vorkomme, die pwa_090.018
bei ihrem geringeren Umfange die Reproductionslust des Lesers nur pwa_090.019
für kurze Zeit in Anspruch nehmen, also nicht in Epopöien, sondern pwa_090.020
bloss in Erzählungen. Anders ists in der neuern Epik, aber darum pwa_090.021
nicht besser. Nicht bloss, dass es Dichter giebt, welche ihrem Stoff pwa_090.022
die ernste Behandlung, die ihm eigentlich gebührte, immer und immer pwa_090.023
wieder entziehen, wie Pulci im Morgante und Wieland im Oberon, pwa_090.024
wo der Leser einmal übers andremal denselben Helden belachen soll, pwa_090.025
für den doch sonst die ernsteste und innigste Theilnahme angesprochen pwa_090.026
wird: nicht bloss also, dass es epische Dichter giebt, welche sich pwa_090.027
die unstatthafteste Einmischung des Lächerlichen dennoch gestatten, pwa_090.028
giebt es sogar noch solche, die überhaupt nur auf das Lächerliche pwa_090.029
ausgehen, deren Helden nicht bloss vorübergehend thöricht erscheinen, pwa_090.030
wie Wielands Hüon, sondern von Anfang bis zu Ende die ganze pwa_090.031
Epopöie hindurch nichts anrichten als Thorheiten und Narrheiten. pwa_090.032
Deutschland besitzt dergleichen Gedichte seit Friedrich Wilhelm Zachariä, pwa_090.033
der 1742 ein komisches Epos, der Renommist betitelt, dichtete pwa_090.034
(LB. 2, 649). Das grosse Verdienst jedoch, diese neue Richtung überhaupt pwa_090.035
aufgebracht zu haben, muss man andern Nationen lassen, zuerst pwa_090.036
wohl den Italiänern: unter diesen ist besonders Francesco Berni hervorzuheben, pwa_090.037
der im sechzehnten Jahrhundert Bojardos Orlando innamorato pwa_090.038
travestierte. Den nächsten Anstoss erhielt Deutschland durch pwa_090.039
den Lockenraub (1711) des Engländers Alexander Pope. Gewöhnlich pwa_090.040
steht die komische Epik zu der ernsthaften näher oder entfernter noch pwa_090.041
in dem Verhältniss der Parodie: sie sucht deren Art und Weise in

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das die Geschichte der im Jahre 1732 vom Erzbischof in Salzburg pwa_090.002
vertriebenen Protestanten erzählt: indess davon müssen wir absehen; pwa_090.003
denn diess ältere Buch kennt so gut wie Niemand, so dass für uns pwa_090.004
das alles die Bedeutung des neu Erfundenen besitzt. Aber es kommt pwa_090.005
hier auch noch der Hintergrund in Betracht, der jene Darstellung pwa_090.006
hält und trägt und ihr die Localfarbe giebt, die historischen Ereignisse, pwa_090.007
aus denen jene poetischen sich als einzelne Gruppe herauslösen. pwa_090.008
Und diesen historischen Hintergrund, welcher der ganzen Dichtung pwa_090.009
so wesentlich ist, hat der Dichter nicht erfunden, sondern der lebendigen pwa_090.010
Wirklichkeit seiner Zeit, der französischen Revolution, nachgestaltet.

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Jetzt bleibt uns noch von den komischen Epopöien zu sprechen. pwa_090.013
Schon oben (S. 80) ist erwähnt worden, wie die alte Poesie sich die pwa_090.014
Einmischung des Komischen in umfassende Epen wo nicht versage, pwa_090.015
doch aus guten Gründen nur höchst selten gestatte und dabei jedesmal pwa_090.016
mit behutsamer Schonung verfahre; wie aber eine eigentliche pwa_090.017
Durchführung desselben bloss in solchen Dichtungen vorkomme, die pwa_090.018
bei ihrem geringeren Umfange die Reproductionslust des Lesers nur pwa_090.019
für kurze Zeit in Anspruch nehmen, also nicht in Epopöien, sondern pwa_090.020
bloss in Erzählungen. Anders ists in der neuern Epik, aber darum pwa_090.021
nicht besser. Nicht bloss, dass es Dichter giebt, welche ihrem Stoff pwa_090.022
die ernste Behandlung, die ihm eigentlich gebührte, immer und immer pwa_090.023
wieder entziehen, wie Pulci im Morgante und Wieland im Oberon, pwa_090.024
wo der Leser einmal übers andremal denselben Helden belachen soll, pwa_090.025
für den doch sonst die ernsteste und innigste Theilnahme angesprochen pwa_090.026
wird: nicht bloss also, dass es epische Dichter giebt, welche sich pwa_090.027
die unstatthafteste Einmischung des Lächerlichen dennoch gestatten, pwa_090.028
giebt es sogar noch solche, die überhaupt nur auf das Lächerliche pwa_090.029
ausgehen, deren Helden nicht bloss vorübergehend thöricht erscheinen, pwa_090.030
wie Wielands Hüon, sondern von Anfang bis zu Ende die ganze pwa_090.031
Epopöie hindurch nichts anrichten als Thorheiten und Narrheiten. pwa_090.032
Deutschland besitzt dergleichen Gedichte seit Friedrich Wilhelm Zachariä, pwa_090.033
der 1742 ein komisches Epos, der Renommist betitelt, dichtete pwa_090.034
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aufgebracht zu haben, muss man andern Nationen lassen, zuerst pwa_090.036
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/108>, abgerufen am 24.11.2024.