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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Anschauung und Darstellung lächerlich zu machen, indem sie dieselbe pwa_091.002
als Mittel zu den nichtsnutzigsten Zwecken gebraucht: um eines Zopfbandes pwa_091.003
willen wird der ganze Olymp aufgeboten, und in eben derselben pwa_091.004
pomphaften Breite, womit Homer die Kämpfe Hectors erzählt, pwa_091.005
wird nun eine Studentenschlägerei berichtet. Manche gehn in der pwa_091.006
Parodie noch weiter und schliessen sich damit enge an ein einzelnes pwa_091.007
älteres Epos an, aus all dessen grossen Ereignissen sie nun nichts pwa_091.008
als lächerliche Lumpereien machen: so Aloys Blumauer in seiner pwa_091.009
Travestie der Aeneide. Ein komisches Epos der deutschen Litteratur, pwa_091.010
dem diese parodische Beziehung durchaus fehlt, und das insofern den pwa_091.011
Vorzug vor Allen verdienen möchte, weil es nun eine Dissonanz weniger pwa_091.012
hat, ist die 1784 erschienene Jobsiade von Karl Arnold Kortüm. pwa_091.013
Aber es hat doch nur eine Dissonanz weniger: denn eine andre pwa_091.014
unaufgelöste bleibt, und diese theilen alle komischen Epopöien mit pwa_091.015
einander, dass man nämlich Tausende von Versen, dass man eine pwa_091.016
ganze Reihe von Gesängen hindurch zu Reproductionen genöthigt wird pwa_091.017
oder soll genöthigt werden, bei denen Verstand und Gefühl mit der pwa_091.018
angeschauten Wirklichkeit sich in Widerspruch befinden. Der letzte pwa_091.019
Erfolg einer solchen Dichtung ist der, aus der Seele des Lesers eine pwa_091.020
dumpfe Leere gemacht zu haben: denn in dem langen Conflicte reibt pwa_091.021
sich endlich eine Kraft an der andern auf. Zum Glück gelingt es pwa_091.022
aber unsern komischen Epikern nur selten, uns so zur Reproduction pwa_091.023
hinzureissen.

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Von der Epopöie haben wir die Erzählung unterschieden. Da pwa_091.025
bei dem einfacheren Inhalt und dem kleinern Umfange einer solchen pwa_091.026
die reproducierende Thätigkeit des Lesers nicht für so lange Zeit und pwa_091.027
auf so mannigfaltige Weise beschäftigt wird, als bei der reicheren, pwa_091.028
weiter hin sich ausdehnenden Fülle von Ereignissen, die der Epopöie pwa_091.029
eigen ist, so steht hier auch dem Dichter Manches frei, was ihm in pwa_091.030
einer Epopöie entweder gar nicht oder nur in sehr beschränkter pwa_091.031
Weise gestattet wäre. Hier genügt allenfalls auch ein geringerer pwa_091.032
Grad von Objectivität: denn der Leser kann die Anschauung doch pwa_091.033
bewältigen; er lässt sich willig zu Spott und Laune verleiten: denn pwa_091.034
die Dissonanz dauert nicht gar zu lange; er nimmt mit Anschauungen pwa_091.035
vorlieb, die der Dichter aus der nächsten Wirklichkeit oder gar aus pwa_091.036
seiner Phantasie geschöpft hat, denen es daher an ausgereifter Kraft pwa_091.037
der Idee gebricht: um so schneller kann er daran vorübergehn. Alles pwa_091.038
das ist dem Dichter einer Erzählung erlaubt: aber es gehört nicht pwa_091.039
grade zum Wesen derselben: sie kann eben so wohl ernst und tief pwa_091.040
idealisch sein, wie namentlich da, wo sie ihre Anschauungen aus der pwa_091.041
christlichen Mythologie entlehnt, wo sie Legende ist, oder sich Legende

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Anschauung und Darstellung lächerlich zu machen, indem sie dieselbe pwa_091.002
als Mittel zu den nichtsnutzigsten Zwecken gebraucht: um eines Zopfbandes pwa_091.003
willen wird der ganze Olymp aufgeboten, und in eben derselben pwa_091.004
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wird nun eine Studentenschlägerei berichtet. Manche gehn in der pwa_091.006
Parodie noch weiter und schliessen sich damit enge an ein einzelnes pwa_091.007
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Travestie der Aeneide. Ein komisches Epos der deutschen Litteratur, pwa_091.010
dem diese parodische Beziehung durchaus fehlt, und das insofern den pwa_091.011
Vorzug vor Allen verdienen möchte, weil es nun eine Dissonanz weniger pwa_091.012
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Aber es hat doch nur eine Dissonanz weniger: denn eine andre pwa_091.014
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einander, dass man nämlich Tausende von Versen, dass man eine pwa_091.016
ganze Reihe von Gesängen hindurch zu Reproductionen genöthigt wird pwa_091.017
oder soll genöthigt werden, bei denen Verstand und Gefühl mit der pwa_091.018
angeschauten Wirklichkeit sich in Widerspruch befinden. Der letzte pwa_091.019
Erfolg einer solchen Dichtung ist der, aus der Seele des Lesers eine pwa_091.020
dumpfe Leere gemacht zu haben: denn in dem langen Conflicte reibt pwa_091.021
sich endlich eine Kraft an der andern auf. Zum Glück gelingt es pwa_091.022
aber unsern komischen Epikern nur selten, uns so zur Reproduction pwa_091.023
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Von der Epopöie haben wir die Erzählung unterschieden. Da pwa_091.025
bei dem einfacheren Inhalt und dem kleinern Umfange einer solchen pwa_091.026
die reproducierende Thätigkeit des Lesers nicht für so lange Zeit und pwa_091.027
auf so mannigfaltige Weise beschäftigt wird, als bei der reicheren, pwa_091.028
weiter hin sich ausdehnenden Fülle von Ereignissen, die der Epopöie pwa_091.029
eigen ist, so steht hier auch dem Dichter Manches frei, was ihm in pwa_091.030
einer Epopöie entweder gar nicht oder nur in sehr beschränkter pwa_091.031
Weise gestattet wäre. Hier genügt allenfalls auch ein geringerer pwa_091.032
Grad von Objectivität: denn der Leser kann die Anschauung doch pwa_091.033
bewältigen; er lässt sich willig zu Spott und Laune verleiten: denn pwa_091.034
die Dissonanz dauert nicht gar zu lange; er nimmt mit Anschauungen pwa_091.035
vorlieb, die der Dichter aus der nächsten Wirklichkeit oder gar aus pwa_091.036
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das ist dem Dichter einer Erzählung erlaubt: aber es gehört nicht pwa_091.039
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/109>, abgerufen am 21.11.2024.