Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_105.001 1 pwa_105.038 Satira quidem tota nostra est, sagt Quintilian 10, 1, 93. 2 pwa_105.039
Vgl. übrigens auch das französische Wort farce bei Diez, Etym. Wörterb. pwa_105.040 d. roman. Sprachen 13, 173. pwa_105.001 1 pwa_105.038 Satira quidem tota nostra est, sagt Quintilian 10, 1, 93. 2 pwa_105.039
Vgl. übrigens auch das französische Wort farce bei Diez, Etym. Wörterb. pwa_105.040 d. roman. Sprachen 13, 173. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0123" n="105"/> <p><lb n="pwa_105.001"/> Die <hi rendition="#b">Satire</hi> ist eine durchaus den Römern eigenthümliche Gattung <lb n="pwa_105.002"/> didactischer Epik<note xml:id="pwa_105_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_105.038"/> Satira quidem tota nostra est, sagt Quintilian 10, 1, 93.</note>: hier allein haben sie von den Griechen nur Einzelheiten <lb n="pwa_105.003"/> lernen können, da den Griechen wohl eine satirische Lyrik, eine <lb n="pwa_105.004"/> satirische Komödiendichtung, aber keine Satire als Form der Epik <lb n="pwa_105.005"/> bekannt war. Und wie die Satire den Römern eigenthümlich ist, so <lb n="pwa_105.006"/> gehört sie auch zu den ältesten Formen der römischen Poesie, deren <lb n="pwa_105.007"/> Erwähnung geschieht. Beweis hiefür ist jene wichtige Stelle bei <lb n="pwa_105.008"/> Livius 7, 2, 7, wo zum Jahre 361 v. Chr. einheimischer Schauspieler <lb n="pwa_105.009"/> gedacht wird, die unter Flötenspiel und Gesang mit entsprechenden <lb n="pwa_105.010"/> Gebärden allerlei Schwänke, Saturas, aufführten (vernaculis artificibus <lb n="pwa_105.011"/> nomen histrionibus inditum, qui impletas modis saturas descripto iam <lb n="pwa_105.012"/> ad tibicinem cantu modoque congruenti peragebant). Der unzweifelhaft <lb n="pwa_105.013"/> nationale Ursprung der Satire giebt uns auch die rechte Erklärung <lb n="pwa_105.014"/> des Namens an die Hand. Das Wort ist nämlich nicht <hi rendition="#i">satyra</hi> <lb n="pwa_105.015"/> zu schreiben: denn mit den halbgöttlichen und halbthierischen Satyrn <lb n="pwa_105.016"/> hat die Satire ebensowenig zu schaffen als mit den Satyrspielen, neben <lb n="pwa_105.017"/> Tragödie und Komödie einer Gattung des griechischen Dramas; die <lb n="pwa_105.018"/> allein richtige Form ist <hi rendition="#i">satira</hi> oder alterthümlicher <hi rendition="#i">satura,</hi> woher wohl <lb n="pwa_105.019"/> auch der versus saturnius seinen Namen hat. <hi rendition="#i">Satura</hi> aber stammt <lb n="pwa_105.020"/> von dem Adjectiv <hi rendition="#i">satur</hi> und bedeutet zunächst, mit Ergänzung etwa <lb n="pwa_105.021"/> von <hi rendition="#i">lanx,</hi> eine Schale, die voll und breit mit allerlei Früchten angefüllt <lb n="pwa_105.022"/> ist; dann, mit Ergänzung von <hi rendition="#i">esca</hi> oder dgl. eine Art Wurst, <lb n="pwa_105.023"/> aus allerlei Stoffen bereitet (satura et cibi genus dicitur ex variis <lb n="pwa_105.024"/> rebus conditum: Paul. Diac. 315); dann mit bildlicher Uebertragung <lb n="pwa_105.025"/> auf geistige Dinge, unter Ergänzung von <hi rendition="#i">lex,</hi> ein Gesetz, welches <lb n="pwa_105.026"/> eine Menge eigentlich für sich bestehender gesetzlicher Bestimmungen <lb n="pwa_105.027"/> in sich vereinigt (lex multis aliis conferta legibus: Paul. Diac. l. l.). <lb n="pwa_105.028"/> So bezeichnet <hi rendition="#i">satura</hi> nun auch, indem <hi rendition="#i">fabula</hi> oder dgl. ergänzt wird, <lb n="pwa_105.029"/> ein Gedicht von bunt gemischtem Inhalt, einen Inbegriff gleichsam mehrerer <lb n="pwa_105.030"/> kleinerer Gedichte, auch von wechselnder metrischer Form, eine <lb n="pwa_105.031"/> Mischung vielleicht auch von Poesie und Prosa (genus carminis, ubi <lb n="pwa_105.032"/> de multis rebus disputatur: Paul. Diac. l. l.). Demgemäss definiert <lb n="pwa_105.033"/> denn auch der Grammatiker Diomedes (Grammatici latini ed. Keil <lb n="pwa_105.034"/> 1, 485) die Satire in seiner ars grammatica also: Olim carmen, quod <lb n="pwa_105.035"/> ex variis poematibus constabat, satira vocabatur, und auf diese Vermischung <lb n="pwa_105.036"/> verschiedener Elemente bezieht sich wohl auch bei Livius <lb n="pwa_105.037"/> der erwähnte, eigenthümliche Ausdruck impletas modis saturas<note xml:id="pwa_105_2" place="foot" n="2"><lb n="pwa_105.039"/> Vgl. übrigens auch das französische Wort <hi rendition="#i">farce</hi> bei Diez, Etym. Wörterb. <lb n="pwa_105.040"/> d. roman. Sprachen 1<hi rendition="#sup">3</hi>, 173.</note>. Leider </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0123]
pwa_105.001
Die Satire ist eine durchaus den Römern eigenthümliche Gattung pwa_105.002
didactischer Epik 1: hier allein haben sie von den Griechen nur Einzelheiten pwa_105.003
lernen können, da den Griechen wohl eine satirische Lyrik, eine pwa_105.004
satirische Komödiendichtung, aber keine Satire als Form der Epik pwa_105.005
bekannt war. Und wie die Satire den Römern eigenthümlich ist, so pwa_105.006
gehört sie auch zu den ältesten Formen der römischen Poesie, deren pwa_105.007
Erwähnung geschieht. Beweis hiefür ist jene wichtige Stelle bei pwa_105.008
Livius 7, 2, 7, wo zum Jahre 361 v. Chr. einheimischer Schauspieler pwa_105.009
gedacht wird, die unter Flötenspiel und Gesang mit entsprechenden pwa_105.010
Gebärden allerlei Schwänke, Saturas, aufführten (vernaculis artificibus pwa_105.011
nomen histrionibus inditum, qui impletas modis saturas descripto iam pwa_105.012
ad tibicinem cantu modoque congruenti peragebant). Der unzweifelhaft pwa_105.013
nationale Ursprung der Satire giebt uns auch die rechte Erklärung pwa_105.014
des Namens an die Hand. Das Wort ist nämlich nicht satyra pwa_105.015
zu schreiben: denn mit den halbgöttlichen und halbthierischen Satyrn pwa_105.016
hat die Satire ebensowenig zu schaffen als mit den Satyrspielen, neben pwa_105.017
Tragödie und Komödie einer Gattung des griechischen Dramas; die pwa_105.018
allein richtige Form ist satira oder alterthümlicher satura, woher wohl pwa_105.019
auch der versus saturnius seinen Namen hat. Satura aber stammt pwa_105.020
von dem Adjectiv satur und bedeutet zunächst, mit Ergänzung etwa pwa_105.021
von lanx, eine Schale, die voll und breit mit allerlei Früchten angefüllt pwa_105.022
ist; dann, mit Ergänzung von esca oder dgl. eine Art Wurst, pwa_105.023
aus allerlei Stoffen bereitet (satura et cibi genus dicitur ex variis pwa_105.024
rebus conditum: Paul. Diac. 315); dann mit bildlicher Uebertragung pwa_105.025
auf geistige Dinge, unter Ergänzung von lex, ein Gesetz, welches pwa_105.026
eine Menge eigentlich für sich bestehender gesetzlicher Bestimmungen pwa_105.027
in sich vereinigt (lex multis aliis conferta legibus: Paul. Diac. l. l.). pwa_105.028
So bezeichnet satura nun auch, indem fabula oder dgl. ergänzt wird, pwa_105.029
ein Gedicht von bunt gemischtem Inhalt, einen Inbegriff gleichsam mehrerer pwa_105.030
kleinerer Gedichte, auch von wechselnder metrischer Form, eine pwa_105.031
Mischung vielleicht auch von Poesie und Prosa (genus carminis, ubi pwa_105.032
de multis rebus disputatur: Paul. Diac. l. l.). Demgemäss definiert pwa_105.033
denn auch der Grammatiker Diomedes (Grammatici latini ed. Keil pwa_105.034
1, 485) die Satire in seiner ars grammatica also: Olim carmen, quod pwa_105.035
ex variis poematibus constabat, satira vocabatur, und auf diese Vermischung pwa_105.036
verschiedener Elemente bezieht sich wohl auch bei Livius pwa_105.037
der erwähnte, eigenthümliche Ausdruck impletas modis saturas 2. Leider
1 pwa_105.038
Satira quidem tota nostra est, sagt Quintilian 10, 1, 93.
2 pwa_105.039
Vgl. übrigens auch das französische Wort farce bei Diez, Etym. Wörterb. pwa_105.040
d. roman. Sprachen 13, 173.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |