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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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langsameren Verlauf schon gefallen, aber doch nur um des beigemischten pwa_123.002
unlyrischen Elementes willen, um der Epik willen, die eine Reihe pwa_123.003
von Thatsachen, um der Didactik willen, die eine logisch geordnete pwa_123.004
und ausgesponnene Deduction mit sich führt. Die Elegien des Kallimachus pwa_123.005
können deshalb so viel länger und breiter sein als die Oden pwa_123.006
der Sappho, weil jene episch-lyrisch, diese rein lyrisch sind; und pwa_123.007
eben deshalb ist die Eine Urania von Tiedge so lang, ja noch länger pwa_123.008
als alle Lieder von Uhland zusammengenommen, denn sie ist didactischlyrisch, pwa_123.009
diese meist rein lyrisch.

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Die gedrängte Kürze der Lyrik war ursprünglich auch durch ein pwa_123.011
Mittel ihrer Darstellung motiviert, den musikalischen Vortrag, von pwa_123.012
welchem sie auch ihren Namen empfangen hat: als die epischen pwa_123.013
Dichtungen längst schon nicht mehr gesungen, sondern nur noch gelesen pwa_123.014
wurden, da galt für die Lyrik immerfort noch der Gesang, bei uns pwa_123.015
wie bei den Griechen und bei andern Völkern, bei den Griechen pwa_123.016
bis in die spätesten Zeiten, bei uns bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst: pwa_123.017
erst diess neue Mittel der Verbreitung und Erhaltung pwa_123.018
poetischer Werke hat das Singen wie das Sagen mit Einem Male wo pwa_123.019
nicht gänzlich verdrängt, doch vielfach entbehrlich gemacht. Der pwa_123.020
Gesang aber ward meist mit Saitenspiel begleitet, im Mittelalter mit pwa_123.021
der Harfe und der Geige und andern ähnlichen Instrumenten, bei den pwa_123.022
Griechen meist mit der Lyra, die als vollkommeneres Tonwerkzeug an pwa_123.023
die Stelle der epischen Kitharis oder Kithara getreten war. Daher pwa_123.024
der Name, wie denn schon das griechische lura auch zur Bezeichnung pwa_123.025
der lyrischen Poesie gebraucht wurde. Dieses Vortrages durch pwa_123.026
den lebendigen Gesang und das kunstreiche Saitenspiel waren aber pwa_123.027
natürlich nur solche Dichtungen fähig, die in ihrem Umfange der pwa_123.028
Kraft des Sängers und der Aufmerksamkeit des Zuhörers nicht zu pwa_123.029
viel zumutheten, so dass in diesem Darstellungsmittel eine neue Bedingung pwa_123.030
zur Kürze vorhanden war. Obgleich wir zwar jetzt unsre lyrischen pwa_123.031
Gedichte nur noch zu lesen pflegen, so ist doch diejenige Art pwa_123.032
der metrischen Form, welche durch den Gesang bedingt ist, die strophische, pwa_123.033
bestehn geblieben. Die strophische Abfassung überkam aber pwa_123.034
unsre deutsche Lyrik von der Epik, wie das die ältesten lyrischen pwa_123.035
Gedichte unverkennbar zeigen, deren Form ganz oder beinahe ganz pwa_123.036
die altepische ist; nur hat sich die Strophe, welche in der Epik überaus pwa_123.037
einfach gewesen war, nun in der Lyrik alsbald zu grösserer pwa_123.038
Künstlichkeit und Mannigfaltigkeit ausgebildet: beides war an seinem pwa_123.039
Orte durchaus angemessen, die einfache Strophe passte ebensowohl pwa_123.040
zu dem gleichmässigen Fortschritt der Epik, als die reich und mannigfaltig pwa_123.041
gegliederte zu der leidenschaftlichen Aufregung der Lyrik.

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langsameren Verlauf schon gefallen, aber doch nur um des beigemischten pwa_123.002
unlyrischen Elementes willen, um der Epik willen, die eine Reihe pwa_123.003
von Thatsachen, um der Didactik willen, die eine logisch geordnete pwa_123.004
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können deshalb so viel länger und breiter sein als die Oden pwa_123.006
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diese meist rein lyrisch.

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Die gedrängte Kürze der Lyrik war ursprünglich auch durch ein pwa_123.011
Mittel ihrer Darstellung motiviert, den musikalischen Vortrag, von pwa_123.012
welchem sie auch ihren Namen empfangen hat: als die epischen pwa_123.013
Dichtungen längst schon nicht mehr gesungen, sondern nur noch gelesen pwa_123.014
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wie bei den Griechen und bei andern Völkern, bei den Griechen pwa_123.016
bis in die spätesten Zeiten, bei uns bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst: pwa_123.017
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poetischer Werke hat das Singen wie das Sagen mit Einem Male wo pwa_123.019
nicht gänzlich verdrängt, doch vielfach entbehrlich gemacht. Der pwa_123.020
Gesang aber ward meist mit Saitenspiel begleitet, im Mittelalter mit pwa_123.021
der Harfe und der Geige und andern ähnlichen Instrumenten, bei den pwa_123.022
Griechen meist mit der Lyra, die als vollkommeneres Tonwerkzeug an pwa_123.023
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der Name, wie denn schon das griechische λύρα auch zur Bezeichnung pwa_123.025
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Gedichte nur noch zu lesen pflegen, so ist doch diejenige Art pwa_123.032
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bestehn geblieben. Die strophische Abfassung überkam aber pwa_123.034
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/141>, abgerufen am 21.11.2024.