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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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beinahe alle Lyrik in die Didactik hineinzutreiben, braucht nach dem, pwa_165.002
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weiter ausgeführt zu werden.

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Jetzt ist endlich noch von einer Gattung didactischer Lyrik zu pwa_165.005
sprechen, dem eigentlichen Lehrgedichte. Das Lehrgedicht im besonderen pwa_165.006
Sinne dieses Wortes verhält sich zu den so eben behandelten pwa_165.007
Sprüchen des Mittelalters, wie sich die Epopöie zum altepischen Liede pwa_165.008
verhält, d. h. während der Spruch nur Eine hauptsächliche Lehre nebst pwa_165.009
den dazu gehörigen Empfindungen enthält, umfasst das Lehrgedicht pwa_165.010
einen ganzen, um einen gemeinsamen Mittelpunct vereinigten Cyclus pwa_165.011
von Lehren, ein ganzes System von didactischen Einzelheiten. Und pwa_165.012
wie die Epopöie, um die grade Linie des historischen Verlaufes pwa_165.013
scheinbar abzukürzen, seitwärts gehende Episoden liebt, so auch das pwa_165.014
Lehrgedicht, damit man nicht an dem fortgesponnenen Faden verständiger pwa_165.015
Deductionen ermüde. Wir haben schon zu Anfange dieses pwa_165.016
Abschnittes (S. 153) eine Art von Lehrgedichten, die sogenannten reinen pwa_165.017
Lehrgedichte, berührt, denen man nur um der metrischen Form willen pwa_165.018
den Namen von Gedichten geben kann, die sonst aber, da sie lediglich pwa_165.019
Producte des Verstandes sind und auch nur vom Verstande können pwa_165.020
reproduciert werden, durchaus zur Prosa gehören. Mithin verbleibt pwa_165.021
jetzt dieser Name lediglich solchen umfangreichen, systematisch pwa_165.022
lehrenden Gedichten, in denen es auf Belebung des Gefühles abgesehen pwa_165.023
ist, in denen mithin nothwendiger Weise auch die Einbildungskraft pwa_165.024
zu schaffen hat. Obschon nun solchen Dichtungen der Anspruch pwa_165.025
auf den Namen von Dichtungen weniger zu verweigern wäre, so sind pwa_165.026
doch auch gegen sie allerlei gerechte Bedenklichkeiten vorzubringen. pwa_165.027
Die systematische Klarheit auf der einen Seite wird fort und fort verlieren pwa_165.028
durch die Empfindungen, die sich zwischen die Deductionen drängen, pwa_165.029
und durch die Einbildungskraft, die mit ihren concreten Wirklichkeiten pwa_165.030
hineinspielt; und doch werden sich wieder auf der andern pwa_165.031
Seite Einbildung und Gefühl in ihrer Thätigkeit fortwährend gehemmt pwa_165.032
und gehindert finden durch die Kettenglieder der Lehre. Sodann pwa_165.033
wenn der Gegenstand des Lehrgedichtes der menschlichen Wissenschaft pwa_165.034
angehört, wenn es ein s. g. scientifisches Lehrgedicht ist, wie pwa_165.035
die Einen sagen, oder wie die Andern, ein niederes, so kann das pwa_165.036
Gedicht beinahe über Nacht um seine Existenz kommen: es braucht pwa_165.037
nur heut Jemand ein neues und besseres System z. B. der Physiologie pwa_165.038
oder der Psychologie aufzustellen, so hat das Lehrgedicht, das noch pwa_165.039
dem System von gestern folgt, keine Wahrheit mehr. Ein solches pwa_165.040
vergängliches und vergangenes Lehrgedicht sind Die fünf Sinne von pwa_165.041
Barthold Heinrich Brockes (1680-1747); und je weitere Fortschritte

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beinahe alle Lyrik in die Didactik hineinzutreiben, braucht nach dem, pwa_165.002
was schon früher über dieselbe ist bemerkt worden (S. 150), hier nicht pwa_165.003
weiter ausgeführt zu werden.

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Jetzt ist endlich noch von einer Gattung didactischer Lyrik zu pwa_165.005
sprechen, dem eigentlichen Lehrgedichte. Das Lehrgedicht im besonderen pwa_165.006
Sinne dieses Wortes verhält sich zu den so eben behandelten pwa_165.007
Sprüchen des Mittelalters, wie sich die Epopöie zum altepischen Liede pwa_165.008
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den dazu gehörigen Empfindungen enthält, umfasst das Lehrgedicht pwa_165.010
einen ganzen, um einen gemeinsamen Mittelpunct vereinigten Cyclus pwa_165.011
von Lehren, ein ganzes System von didactischen Einzelheiten. Und pwa_165.012
wie die Epopöie, um die grade Linie des historischen Verlaufes pwa_165.013
scheinbar abzukürzen, seitwärts gehende Episoden liebt, so auch das pwa_165.014
Lehrgedicht, damit man nicht an dem fortgesponnenen Faden verständiger pwa_165.015
Deductionen ermüde. Wir haben schon zu Anfange dieses pwa_165.016
Abschnittes (S. 153) eine Art von Lehrgedichten, die sogenannten reinen pwa_165.017
Lehrgedichte, berührt, denen man nur um der metrischen Form willen pwa_165.018
den Namen von Gedichten geben kann, die sonst aber, da sie lediglich pwa_165.019
Producte des Verstandes sind und auch nur vom Verstande können pwa_165.020
reproduciert werden, durchaus zur Prosa gehören. Mithin verbleibt pwa_165.021
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zu schaffen hat. Obschon nun solchen Dichtungen der Anspruch pwa_165.025
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doch auch gegen sie allerlei gerechte Bedenklichkeiten vorzubringen. pwa_165.027
Die systematische Klarheit auf der einen Seite wird fort und fort verlieren pwa_165.028
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Seite Einbildung und Gefühl in ihrer Thätigkeit fortwährend gehemmt pwa_165.032
und gehindert finden durch die Kettenglieder der Lehre. Sodann pwa_165.033
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oder der Psychologie aufzustellen, so hat das Lehrgedicht, das noch pwa_165.039
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Barthold Heinrich Brockes (1680–1747); und je weitere Fortschritte

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/183>, abgerufen am 21.11.2024.