pwa_241.001 des Einen in das Andere nicht urplötzlich und ohne alle Vermittelung pwa_241.002 stattgefunden haben, so wenig als innerhalb der Poesie eine pwa_241.003 Dichtungsart unmittelbar auf die andere gefolgt und gleich in ihrer pwa_241.004 reinsten Ausbildung aus derselben und hinter derselben hervorgesprungen pwa_241.005 ist. Sondern wie schon in der Poesie selbst, so giebt es auch zwischen pwa_241.006 der Poesie und der Prosa, hier also zwischen der erzählenden pwa_241.007 Poesie und der erzählenden Prosa Mittelarten und Uebergangsstufen. pwa_241.008 Besonders klar ist diess nachzuweisen in der deutschen Litteratur, pwa_241.009 wo einmal die Geschichtsschreibung schon innerhalb der Epik beginnt, pwa_241.010 und dann wieder die Epik noch fortreicht bis in die Geschichtsschreibung. pwa_241.011 Nämlich so: der Verfall der epischen Poesie wird in Deutschland pwa_241.012 dadurch bezeichnet, dass ziemlich zahlreiche Werke entstehn, pwa_241.013 die mit der epischen Poesie zwar die Form, aber sonst nicht viel pwa_241.014 gemein haben, indem ihren Inhalt baare, unpoetische Geschichte bildet: pwa_241.015 seit dem Ende des elften Jahrhunderts gab es zahlreiche Chronikwerke pwa_241.016 in Versen und Reimen. Auf der andern Seite aber beginnt die erzählende pwa_241.017 Prosa mit Schriften, die wiederum mehr nur der Form nach pwa_241.018 als durch ihren Inhalt der Prosa angehören: denn auch die Geschichtsschreibung pwa_241.019 kennt in ihren Anfängen noch beinahe ebenso wenig als pwa_241.020 vorher die epische Poesie einen Unterschied zwischen Geschichte und pwa_241.021 Sage, und an ihren Productionen haben Phantasie und Gemüth noch pwa_241.022 reichlichen Antheil neben dem Verstand; und ausser der eigentlichen pwa_241.023 Geschichtsschreibung entwickelt sich noch eine Art von erzählender pwa_241.024 Prosa, in der gradezu und absichtlich Phantasie und Gemüth denselben pwa_241.025 Rang einnehmen und einnehmen sollten als im Epos, so dass, streng pwa_241.026 genommen, die prosaische Form hier durchaus eine Ungehörigkeit ist: pwa_241.027 das ist der Roman. Der Roman ist im Grunde nur ein prosaisches pwa_241.028 Epos, wie denn auch die ältesten Romane sowohl bei uns als bei pwa_241.029 anderen Völkern des Mittelalters wirklich nichts weiter sind als prosaische pwa_241.030 Umgestaltungen älterer Heldengedichte, und in so fern bezeichnet pwa_241.031 der Roman noch viel mehr den Untergang der epischen Poesie als den pwa_241.032 Beginn der erzählenden Prosa.
pwa_241.033 Bei den Griechen lässt sich ein solches Vorahnen der historischen pwa_241.034 Prosa und solch nachhaltiges Fortwirken der epischen Poesie nicht pwa_241.035 so deutlich nachweisen, wie bei uns und wie sonst bei den neuern pwa_241.036 Völkern am Ende des Mittelalters. Es giebt nicht genug Documente. pwa_241.037 Indessen so viel weiss man doch, dass Herodot zwar der Vater der pwa_241.038 griechischen Historiographie gewesen, dass er aber doch seine Vorgänger pwa_241.039 hatte, die nach Allem, was man von ihnen kennt, an Phantasie und pwa_241.040 an gläubigem Auffassen von Mythen und Sagen noch nicht weit über pwa_241.041 die epische Poesie hinaus waren, Pherecydes, Hecataeus u. a. Die
pwa_241.001 des Einen in das Andere nicht urplötzlich und ohne alle Vermittelung pwa_241.002 stattgefunden haben, so wenig als innerhalb der Poesie eine pwa_241.003 Dichtungsart unmittelbar auf die andere gefolgt und gleich in ihrer pwa_241.004 reinsten Ausbildung aus derselben und hinter derselben hervorgesprungen pwa_241.005 ist. Sondern wie schon in der Poesie selbst, so giebt es auch zwischen pwa_241.006 der Poesie und der Prosa, hier also zwischen der erzählenden pwa_241.007 Poesie und der erzählenden Prosa Mittelarten und Uebergangsstufen. pwa_241.008 Besonders klar ist diess nachzuweisen in der deutschen Litteratur, pwa_241.009 wo einmal die Geschichtsschreibung schon innerhalb der Epik beginnt, pwa_241.010 und dann wieder die Epik noch fortreicht bis in die Geschichtsschreibung. pwa_241.011 Nämlich so: der Verfall der epischen Poesie wird in Deutschland pwa_241.012 dadurch bezeichnet, dass ziemlich zahlreiche Werke entstehn, pwa_241.013 die mit der epischen Poesie zwar die Form, aber sonst nicht viel pwa_241.014 gemein haben, indem ihren Inhalt baare, unpoetische Geschichte bildet: pwa_241.015 seit dem Ende des elften Jahrhunderts gab es zahlreiche Chronikwerke pwa_241.016 in Versen und Reimen. Auf der andern Seite aber beginnt die erzählende pwa_241.017 Prosa mit Schriften, die wiederum mehr nur der Form nach pwa_241.018 als durch ihren Inhalt der Prosa angehören: denn auch die Geschichtsschreibung pwa_241.019 kennt in ihren Anfängen noch beinahe ebenso wenig als pwa_241.020 vorher die epische Poesie einen Unterschied zwischen Geschichte und pwa_241.021 Sage, und an ihren Productionen haben Phantasie und Gemüth noch pwa_241.022 reichlichen Antheil neben dem Verstand; und ausser der eigentlichen pwa_241.023 Geschichtsschreibung entwickelt sich noch eine Art von erzählender pwa_241.024 Prosa, in der gradezu und absichtlich Phantasie und Gemüth denselben pwa_241.025 Rang einnehmen und einnehmen sollten als im Epos, so dass, streng pwa_241.026 genommen, die prosaische Form hier durchaus eine Ungehörigkeit ist: pwa_241.027 das ist der Roman. Der Roman ist im Grunde nur ein prosaisches pwa_241.028 Epos, wie denn auch die ältesten Romane sowohl bei uns als bei pwa_241.029 anderen Völkern des Mittelalters wirklich nichts weiter sind als prosaische pwa_241.030 Umgestaltungen älterer Heldengedichte, und in so fern bezeichnet pwa_241.031 der Roman noch viel mehr den Untergang der epischen Poesie als den pwa_241.032 Beginn der erzählenden Prosa.
pwa_241.033 Bei den Griechen lässt sich ein solches Vorahnen der historischen pwa_241.034 Prosa und solch nachhaltiges Fortwirken der epischen Poesie nicht pwa_241.035 so deutlich nachweisen, wie bei uns und wie sonst bei den neuern pwa_241.036 Völkern am Ende des Mittelalters. Es giebt nicht genug Documente. pwa_241.037 Indessen so viel weiss man doch, dass Herodot zwar der Vater der pwa_241.038 griechischen Historiographie gewesen, dass er aber doch seine Vorgänger pwa_241.039 hatte, die nach Allem, was man von ihnen kennt, an Phantasie und pwa_241.040 an gläubigem Auffassen von Mythen und Sagen noch nicht weit über pwa_241.041 die epische Poesie hinaus waren, Pherecydes, Hecataeus u. a. Die
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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