Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_275.001 pwa_275.006 pwa_275.001 pwa_275.006 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0293" n="275"/><lb n="pwa_275.001"/> nicht ausreichen würde, für den auch der Wille muss angeregt <lb n="pwa_275.002"/> werden; auch hier eine Thatsache, nur keine momentan vergängliche; <lb n="pwa_275.003"/> auch hier eine Wirklichkeit, nur keine mit Auge und Ohr wahrnehmbare. <lb n="pwa_275.004"/> Und jeder Prediger will in jeder neuen Predigt keinen <lb n="pwa_275.005"/> anderen Zweck, als immer wieder diesen selben.</p> <p><lb n="pwa_275.006"/> Ausser diesen drei Arten von Reden, den politischen, den gerichtlichen <lb n="pwa_275.007"/> und den geistlichen, gab es schon im Alterthum und giebt es <lb n="pwa_275.008"/> namentlich in der neueren Zeit noch mancherlei Reden anderer Art, die <lb n="pwa_275.009"/> sich alle unter dem altherkömmlichen Namen des <hi rendition="#i">genus demonstrativum</hi> <lb n="pwa_275.010"/> (<foreign xml:lang="grc">γένος ἐπιδεικτικόν</foreign>) vereinigen lassen: dieser Name sagt so wenig <lb n="pwa_275.011"/> Bestimmtes aus, dass er zugleich sehr Vieles aussagen kann. Die <lb n="pwa_275.012"/> alten Rhetoriker belegen aber mit diesem Namen insbesondere die <lb n="pwa_275.013"/> <hi rendition="#b">Lobreden,</hi> Reden, die bestimmt sind, die Verdienste eines Lebenden <lb n="pwa_275.014"/> oder Todten zu verherrlichen, daher auch die Benennung <hi rendition="#i">genus laudatorium</hi> <lb n="pwa_275.015"/> (<foreign xml:lang="grc">λόγος πανηγυρικός</foreign>), womit zunächst eine in der allgemeinen <lb n="pwa_275.016"/> Volksversammlung (<foreign xml:lang="grc">πανήγυρις</foreign>) gehaltene Festrede, dann aber auch und <lb n="pwa_275.017"/> vorzugsweise eine Lobrede bezeichnet wird. Wir haben aus dem Alterthum <lb n="pwa_275.018"/> z. B. einen solchen Panegyricus vom jüngern Plinius, eine auf <lb n="pwa_275.019"/> Trajan im Senat gehaltene Lobrede, bei Trajans Lebzeiten und in <lb n="pwa_275.020"/> dessen Anwesenheit, deshalb auch in beständiger Anrede an Trajan <lb n="pwa_275.021"/> selbst gerichtet. Aus neuerer Zeit gehören dahin z. B. Engels noch <lb n="pwa_275.022"/> bei Friedrichs des Grossen Lebzeiten verfasste Lobrede auf diesen, <lb n="pwa_275.023"/> sodann die von Göthe am 18. Februar 1813 in der Freimauerloge zu <lb n="pwa_275.024"/> Weimar gehaltene Gedächtnissrede Zu brüderlichem Andenken Wielands <lb n="pwa_275.025"/> (LB. 3, 2, 647); dahin auch die schon früher (S. 263) genannten academischen <lb n="pwa_275.026"/> Eloges der Franzosen. Indessen ob und inwiefern dergleichen <lb n="pwa_275.027"/> Reden eigentlich noch der Name von Reden gebühre, ist schon früher <lb n="pwa_275.028"/> angedeutet worden. Alle Reden dieser Art haben zuletzt mit den <lb n="pwa_275.029"/> eigentlichen Reden nur noch die Form gemein, und auch diese nur in <lb n="pwa_275.030"/> unvollkommener Weise, da ihnen zu viel von dem rechten Wesen der <lb n="pwa_275.031"/> Rede gebricht. Ihr Anlass ist häufig gar keine rechte Thatsächlichkeit, <lb n="pwa_275.032"/> weder eine momentane, noch eine beständig fortdauernde; einen practischen <lb n="pwa_275.033"/> Zweck haben sie auch nicht, da es keine allgemeinen Wahrheiten <lb n="pwa_275.034"/> sind, die hier sollen dargestellt und auf einen bestimmten Fall <lb n="pwa_275.035"/> angewendet werden. Sondern ein Panegyricus ist von Anfang bis zu <lb n="pwa_275.036"/> Ende eben weiter nichts als eine Characteristik, also eine historisch <lb n="pwa_275.037"/> didactische Darstellung, die aber an der characterisierten Person nur <lb n="pwa_275.038"/> die löblichen Seiten betrachtet und die tadelnswerthen überkleidet; um <lb n="pwa_275.039"/> jedoch diess zu können, müssen Verstand und Erinnerung noch die <lb n="pwa_275.040"/> Phantasie und die Sentimentalität zu Hilfe rufen, und damit ist es <lb n="pwa_275.041"/> denn dem Panegyricus erleichtert, seiner Beschreibung den Anschein </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [275/0293]
pwa_275.001
nicht ausreichen würde, für den auch der Wille muss angeregt pwa_275.002
werden; auch hier eine Thatsache, nur keine momentan vergängliche; pwa_275.003
auch hier eine Wirklichkeit, nur keine mit Auge und Ohr wahrnehmbare. pwa_275.004
Und jeder Prediger will in jeder neuen Predigt keinen pwa_275.005
anderen Zweck, als immer wieder diesen selben.
pwa_275.006
Ausser diesen drei Arten von Reden, den politischen, den gerichtlichen pwa_275.007
und den geistlichen, gab es schon im Alterthum und giebt es pwa_275.008
namentlich in der neueren Zeit noch mancherlei Reden anderer Art, die pwa_275.009
sich alle unter dem altherkömmlichen Namen des genus demonstrativum pwa_275.010
(γένος ἐπιδεικτικόν) vereinigen lassen: dieser Name sagt so wenig pwa_275.011
Bestimmtes aus, dass er zugleich sehr Vieles aussagen kann. Die pwa_275.012
alten Rhetoriker belegen aber mit diesem Namen insbesondere die pwa_275.013
Lobreden, Reden, die bestimmt sind, die Verdienste eines Lebenden pwa_275.014
oder Todten zu verherrlichen, daher auch die Benennung genus laudatorium pwa_275.015
(λόγος πανηγυρικός), womit zunächst eine in der allgemeinen pwa_275.016
Volksversammlung (πανήγυρις) gehaltene Festrede, dann aber auch und pwa_275.017
vorzugsweise eine Lobrede bezeichnet wird. Wir haben aus dem Alterthum pwa_275.018
z. B. einen solchen Panegyricus vom jüngern Plinius, eine auf pwa_275.019
Trajan im Senat gehaltene Lobrede, bei Trajans Lebzeiten und in pwa_275.020
dessen Anwesenheit, deshalb auch in beständiger Anrede an Trajan pwa_275.021
selbst gerichtet. Aus neuerer Zeit gehören dahin z. B. Engels noch pwa_275.022
bei Friedrichs des Grossen Lebzeiten verfasste Lobrede auf diesen, pwa_275.023
sodann die von Göthe am 18. Februar 1813 in der Freimauerloge zu pwa_275.024
Weimar gehaltene Gedächtnissrede Zu brüderlichem Andenken Wielands pwa_275.025
(LB. 3, 2, 647); dahin auch die schon früher (S. 263) genannten academischen pwa_275.026
Eloges der Franzosen. Indessen ob und inwiefern dergleichen pwa_275.027
Reden eigentlich noch der Name von Reden gebühre, ist schon früher pwa_275.028
angedeutet worden. Alle Reden dieser Art haben zuletzt mit den pwa_275.029
eigentlichen Reden nur noch die Form gemein, und auch diese nur in pwa_275.030
unvollkommener Weise, da ihnen zu viel von dem rechten Wesen der pwa_275.031
Rede gebricht. Ihr Anlass ist häufig gar keine rechte Thatsächlichkeit, pwa_275.032
weder eine momentane, noch eine beständig fortdauernde; einen practischen pwa_275.033
Zweck haben sie auch nicht, da es keine allgemeinen Wahrheiten pwa_275.034
sind, die hier sollen dargestellt und auf einen bestimmten Fall pwa_275.035
angewendet werden. Sondern ein Panegyricus ist von Anfang bis zu pwa_275.036
Ende eben weiter nichts als eine Characteristik, also eine historisch pwa_275.037
didactische Darstellung, die aber an der characterisierten Person nur pwa_275.038
die löblichen Seiten betrachtet und die tadelnswerthen überkleidet; um pwa_275.039
jedoch diess zu können, müssen Verstand und Erinnerung noch die pwa_275.040
Phantasie und die Sentimentalität zu Hilfe rufen, und damit ist es pwa_275.041
denn dem Panegyricus erleichtert, seiner Beschreibung den Anschein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |