Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_327.001 pwa_327.016 pwa_327.028 pwa_327.031 pwa_327.001 pwa_327.016 pwa_327.028 pwa_327.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0345" n="327"/><lb n="pwa_327.001"/> Sache tiefer zu erschöpfen, einige Synonyma und sagen, es sei vom <lb n="pwa_327.002"/> niedern Stil zu verlangen: Klarheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit. <lb n="pwa_327.003"/> Diese drei Begriffe verhalten sich aber zu einander nur wie verschiedene <lb n="pwa_327.004"/> Grade eines und desselben Begriffes. Klarheit ist der erste Grad <lb n="pwa_327.005"/> der Erkenntniss, wo man sich der Vorstellung nicht bloss im Ganzen, <lb n="pwa_327.006"/> sondern bereits auch in ihren Theilen bewusst wird. Deutlich wird <lb n="pwa_327.007"/> sodann der Begriff, wenn wir wesentliche Merkmale anzugeben wissen, <lb n="pwa_327.008"/> wodurch er sich von andern ungleichartigen unterscheidet. Bestimmt <lb n="pwa_327.009"/> endlich, wenn wir auch die Nebenmerkmale so ins Auge fassen und <lb n="pwa_327.010"/> vor Augen stellen, dass dieser Begriff nicht mit ähnlichen kann verwechselt <lb n="pwa_327.011"/> werden. Bei diesem Verhältnisse der drei Worte wird es <lb n="pwa_327.012"/> kein grosser Fehler sein, wenn wir der Kürze wegen bloss das mitten <lb n="pwa_327.013"/> inne liegende, die Deutlichkeit festhalten, den Grad, der die Klarheit <lb n="pwa_327.014"/> bereits in sich enthält und auch den höhern Grad, die Bestimmtheit <lb n="pwa_327.015"/> ganz wohl in sich aufnehmen mag.</p> <p><lb n="pwa_327.016"/> Also Deutlichkeit wird gefordert, und zwar sowohl in der Wahl <lb n="pwa_327.017"/> der einzelnen Worte und ihrer Formen, als in der Anordnung und <lb n="pwa_327.018"/> Verknüpfung derselben. Das haben wir nun des Näheren und Genaueren <lb n="pwa_327.019"/> auszuführen. Es können dafür einige Worte Ciceros (de oratore 3, 13) <lb n="pwa_327.020"/> als Inhaltsangabe und gleichsam als Motto dienen. Wir haben hier <lb n="pwa_327.021"/> nämlich zu erörtern, „quibus rebus assequi possimus, ut ea, quae dicamus, <lb n="pwa_327.022"/> intelligantur: latine scilicet dicendo, verbis usitatis ac proprie <lb n="pwa_327.023"/> demonstrantibus ea, quae significari ac declarari volemus, sine ambiguo <lb n="pwa_327.024"/> verbo aut sermone, non nimis longa continuatione verborum, non valde <lb n="pwa_327.025"/> productis iis, quae similitudinis causa ex aliis rebus transferuntur, non <lb n="pwa_327.026"/> discerptis sententiis, non praeposteris temporibus, non confusis personis, <lb n="pwa_327.027"/> non perturbato ordine.“</p> <p><lb n="pwa_327.028"/> Wir sprechen zuerst von der Deutlichkeit der Darstellung, insofern <lb n="pwa_327.029"/> sie beruht und sich zeigt in der <hi rendition="#b">Wahl der Worte</hi> und ihrer <lb n="pwa_327.030"/> Formen.</p> <p><lb n="pwa_327.031"/> Hier gilt nun als vorderste und allgemeinste Regel die Regel der <lb n="pwa_327.032"/> <hi rendition="#b">Reinheit</hi> und der <hi rendition="#b">Richtigkeit.</hi> „Sermo purus erit et latinus“, sagt <lb n="pwa_327.033"/> Cicero (Orat. 23) von der niederen Art der Rede, also eben dieser <lb n="pwa_327.034"/> Stilgattung. <hi rendition="#i">Rein</hi> nennt man den Ausdruck, wenn er sich nur an <lb n="pwa_327.035"/> solche Worte und Redensarten hält, die grade dieser bestimmten <lb n="pwa_327.036"/> Sprache wirklich angehören und grade in der Zeit des Schreibenden <lb n="pwa_327.037"/> selbst, und zwar bei dem gebildeten Theile der Nation üblich und <lb n="pwa_327.038"/> gültig sind; <hi rendition="#i">richtig,</hi> wenn er die Gesetze der Sprache in Betreff der <lb n="pwa_327.039"/> Wortbildung und Wortbiegung beobachtet. Man sieht, die Forderung <lb n="pwa_327.040"/> der Reinheit geht auf die lexicalische, die der Richtigkeit auf die <lb n="pwa_327.041"/> grammatische Seite der Sprache, beide gehören aber so nah zusammen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0345]
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Sache tiefer zu erschöpfen, einige Synonyma und sagen, es sei vom pwa_327.002
niedern Stil zu verlangen: Klarheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit. pwa_327.003
Diese drei Begriffe verhalten sich aber zu einander nur wie verschiedene pwa_327.004
Grade eines und desselben Begriffes. Klarheit ist der erste Grad pwa_327.005
der Erkenntniss, wo man sich der Vorstellung nicht bloss im Ganzen, pwa_327.006
sondern bereits auch in ihren Theilen bewusst wird. Deutlich wird pwa_327.007
sodann der Begriff, wenn wir wesentliche Merkmale anzugeben wissen, pwa_327.008
wodurch er sich von andern ungleichartigen unterscheidet. Bestimmt pwa_327.009
endlich, wenn wir auch die Nebenmerkmale so ins Auge fassen und pwa_327.010
vor Augen stellen, dass dieser Begriff nicht mit ähnlichen kann verwechselt pwa_327.011
werden. Bei diesem Verhältnisse der drei Worte wird es pwa_327.012
kein grosser Fehler sein, wenn wir der Kürze wegen bloss das mitten pwa_327.013
inne liegende, die Deutlichkeit festhalten, den Grad, der die Klarheit pwa_327.014
bereits in sich enthält und auch den höhern Grad, die Bestimmtheit pwa_327.015
ganz wohl in sich aufnehmen mag.
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Also Deutlichkeit wird gefordert, und zwar sowohl in der Wahl pwa_327.017
der einzelnen Worte und ihrer Formen, als in der Anordnung und pwa_327.018
Verknüpfung derselben. Das haben wir nun des Näheren und Genaueren pwa_327.019
auszuführen. Es können dafür einige Worte Ciceros (de oratore 3, 13) pwa_327.020
als Inhaltsangabe und gleichsam als Motto dienen. Wir haben hier pwa_327.021
nämlich zu erörtern, „quibus rebus assequi possimus, ut ea, quae dicamus, pwa_327.022
intelligantur: latine scilicet dicendo, verbis usitatis ac proprie pwa_327.023
demonstrantibus ea, quae significari ac declarari volemus, sine ambiguo pwa_327.024
verbo aut sermone, non nimis longa continuatione verborum, non valde pwa_327.025
productis iis, quae similitudinis causa ex aliis rebus transferuntur, non pwa_327.026
discerptis sententiis, non praeposteris temporibus, non confusis personis, pwa_327.027
non perturbato ordine.“
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Wir sprechen zuerst von der Deutlichkeit der Darstellung, insofern pwa_327.029
sie beruht und sich zeigt in der Wahl der Worte und ihrer pwa_327.030
Formen.
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Hier gilt nun als vorderste und allgemeinste Regel die Regel der pwa_327.032
Reinheit und der Richtigkeit. „Sermo purus erit et latinus“, sagt pwa_327.033
Cicero (Orat. 23) von der niederen Art der Rede, also eben dieser pwa_327.034
Stilgattung. Rein nennt man den Ausdruck, wenn er sich nur an pwa_327.035
solche Worte und Redensarten hält, die grade dieser bestimmten pwa_327.036
Sprache wirklich angehören und grade in der Zeit des Schreibenden pwa_327.037
selbst, und zwar bei dem gebildeten Theile der Nation üblich und pwa_327.038
gültig sind; richtig, wenn er die Gesetze der Sprache in Betreff der pwa_327.039
Wortbildung und Wortbiegung beobachtet. Man sieht, die Forderung pwa_327.040
der Reinheit geht auf die lexicalische, die der Richtigkeit auf die pwa_327.041
grammatische Seite der Sprache, beide gehören aber so nah zusammen
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