Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_338.001 pwa_338.018 1 pwa_338.035
Zu diesem Schulmeisterbriefe macht Radlof S. 189 folgende Bemerkung: pwa_338.036 "Sollten gewisse sehr gelahrte Kanzeleystylisten, und mit ihnen ein nur viertelsteutscher pwa_338.037 Zeitungsschreiber, Einem hochangesehenen Publikum vornebeln wollen, pwa_338.038 solches aberwitzige Sprachgemengsel, und solches Afterlatein, wie vorgeblich dieser pwa_338.039 wohlehrsame Schulhalter, habe niemals ein vernünftiger Teutscher geschrieben, so pwa_338.040 würde Verfasser durch unleugbare Beweisstücke darthun, dass eben diese Herren in pwa_338.041 unsern Zeitungen alltäglich kein besseres Teutsch schreiben; wodurch sie denn also pwa_338.042 die Aechtheit der obigen Urkunde unwidersprechlich bestätigen." pwa_338.001 pwa_338.018 1 pwa_338.035
Zu diesem Schulmeisterbriefe macht Radlof S. 189 folgende Bemerkung: pwa_338.036 „Sollten gewisse sehr gelahrte Kanzeleystylisten, und mit ihnen ein nur viertelsteutscher pwa_338.037 Zeitungsschreiber, Einem hochangesehenen Publikum vornebeln wollen, pwa_338.038 solches aberwitzige Sprachgemengsel, und solches Afterlatein, wie vorgeblich dieser pwa_338.039 wohlehrsame Schulhalter, habe niemals ein vernünftiger Teutscher geschrieben, so pwa_338.040 würde Verfasser durch unleugbare Beweisstücke darthun, dass eben diese Herren in pwa_338.041 unsern Zeitungen alltäglich kein besseres Teutsch schreiben; wodurch sie denn also pwa_338.042 die Aechtheit der obigen Urkunde unwidersprechlich bestätigen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0356" n="338"/><lb n="pwa_338.001"/> die <hi rendition="#i">Vesica</hi> ist fort; die Studir-<hi rendition="#i">mensa</hi> ist <hi rendition="#i">grambosuirt;</hi> die <hi rendition="#i">magna</hi> schwarze <hi rendition="#i">Tabula,</hi> <lb n="pwa_338.002"/> darauf ich meine <hi rendition="#i">Adjuvanten</hi> das <hi rendition="#i">Core informalia</hi> geschrieben, haben sie be<hi rendition="#i">maculare,</hi> <lb n="pwa_338.003"/> und Federn darein gesteckt, siehet aus als der lebendige <hi rendition="#i">Diabolus.</hi> Mein <lb n="pwa_338.004"/> <hi rendition="#i">Atramentum Dolium,</hi> alle meine <hi rendition="#i">Penna</hi> mit dem <hi rendition="#i">Pennal</hi> und anderthalb Bogen <lb n="pwa_338.005"/> Papier haben sie mir ge<hi rendition="#i">furraverunt.</hi> Es muss <hi rendition="#i">certissime</hi> ein Gelehrter darunter <lb n="pwa_338.006"/> gewesen seyn. Mein <hi rendition="#i">Cubile</hi> hat ein Korporal <hi rendition="#i">dehonestrirt. Hoc dicit noster</hi> Schulze, <lb n="pwa_338.007"/> der hat solches ge<hi rendition="#i">vidit,</hi> und müssen leiden. Mein <hi rendition="#i">Pecuniam numeratam</hi> ist auch <lb n="pwa_338.008"/> <hi rendition="#i">allo.</hi> Ach es war solch' schön Geld; es waren lauter <hi rendition="#i">Bohemios Grossos,</hi> die hatte <lb n="pwa_338.009"/> ich in meinem <hi rendition="#i">Vacca Stabulum,</hi> unter dem grossen <hi rendition="#i">Lapis</hi> verstecket. Dennoch <lb n="pwa_338.010"/> habens die <hi rendition="#i">Bello Servi</hi> gefunden. .... Unserm <hi rendition="#i">Dominus Pastor</hi> ist es auch nicht <lb n="pwa_338.011"/> viel <hi rendition="#i">melius</hi> ergangen. Denn alle seine <hi rendition="#i">Res</hi> seynd <hi rendition="#i">port.</hi> Sie haben ihm seinen <lb n="pwa_338.012"/> schönen <hi rendition="#i">longam Barbam</hi> ausgerauft, und seine <hi rendition="#i">formosa Spons,</hi> des Schulzens <lb n="pwa_338.013"/> <hi rendition="#i">Filia</hi> sehr <hi rendition="#i">turbirt.</hi> Es ist <hi rendition="#i">non</hi> alles zu <hi rendition="#i">describendi,</hi> wie sie mit uns <hi rendition="#i">Domus</hi> gehalten <lb n="pwa_338.014"/> haben, welches ich dem <hi rendition="#i">Dominus Frater</hi> zu <hi rendition="#i">avisiren</hi> nicht vorbey gekunnt, <lb n="pwa_338.015"/> und befehle ihn hiernechst göttlicher <hi rendition="#i">Protection,</hi> verbleibe auch sein lieber treuer <lb n="pwa_338.016"/> <hi rendition="#i">Frater in aeternum etc.,</hi> <lb n="pwa_338.017"/> <hi rendition="#i #right">Jo. 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die Vesica ist fort; die Studir-mensa ist grambosuirt; die magna schwarze Tabula, pwa_338.002
darauf ich meine Adjuvanten das Core informalia geschrieben, haben sie bemaculare, pwa_338.003
und Federn darein gesteckt, siehet aus als der lebendige Diabolus. Mein pwa_338.004
Atramentum Dolium, alle meine Penna mit dem Pennal und anderthalb Bogen pwa_338.005
Papier haben sie mir gefurraverunt. Es muss certissime ein Gelehrter darunter pwa_338.006
gewesen seyn. Mein Cubile hat ein Korporal dehonestrirt. Hoc dicit noster Schulze, pwa_338.007
der hat solches gevidit, und müssen leiden. Mein Pecuniam numeratam ist auch pwa_338.008
allo. Ach es war solch' schön Geld; es waren lauter Bohemios Grossos, die hatte pwa_338.009
ich in meinem Vacca Stabulum, unter dem grossen Lapis verstecket. Dennoch pwa_338.010
habens die Bello Servi gefunden. .... Unserm Dominus Pastor ist es auch nicht pwa_338.011
viel melius ergangen. Denn alle seine Res seynd port. Sie haben ihm seinen pwa_338.012
schönen longam Barbam ausgerauft, und seine formosa Spons, des Schulzens pwa_338.013
Filia sehr turbirt. Es ist non alles zu describendi, wie sie mit uns Domus gehalten pwa_338.014
haben, welches ich dem Dominus Frater zu avisiren nicht vorbey gekunnt, pwa_338.015
und befehle ihn hiernechst göttlicher Protection, verbleibe auch sein lieber treuer pwa_338.016
Frater in aeternum etc., pwa_338.017
Jo. Felix Schusterus. 1
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4) Der Neologismus ist das fehlerhafte Widerspiel des Archaismus. pwa_338.019
Beide rühren her von einem Auflehnen gegen die Selbstkräftigkeit der pwa_338.020
Sprache; beide entspringen aus dem dünkelhaften Wahn, es stehe pwa_338.021
nur bei der Willkür des Einzelnen, die Sprache an seinem Gängelbande pwa_338.022
zu leiten, wie und wohin er wolle; nur dass der Archaist sie pwa_338.023
zurück, der Neologist gar zu hastig vorwärts schiebt, dass der Archaist pwa_338.024
sie wieder auf einen Punct bringen will, den sie längst verlassen hat, pwa_338.025
der Neologist aber sie mit Einem Sprunge dahin zu führen denkt, bis pwa_338.026
wohin sie doch von Rechts wegen viele Schritte brauchen würde: der pwa_338.027
Archaist gleicht dem Reactionär, der Neologist dem Revolutionär. pwa_338.028
Allerdings bedarf eine Sprache, wenn sie nicht abstehn und verdorren pwa_338.029
soll, eines beständigen frischen Nachwuchses neuer Worte: aber es pwa_338.030
muss auch ein wirklicher Nachwuchs sein, das neue Wort muss aus pwa_338.031
dem Grund und Boden, muss aus den alten und noch lebendigen pwa_338.032
Wurzeln der Sprache heraus durch eine innere Naturnothwendigkeit pwa_338.033
getrieben werden: kommt ein neues Wort so zur rechten Zeit und in pwa_338.034
der rechten Gestalt, kommt es hervor, weil auch sein Begriff jetzt
1 pwa_338.035
Zu diesem Schulmeisterbriefe macht Radlof S. 189 folgende Bemerkung: pwa_338.036
„Sollten gewisse sehr gelahrte Kanzeleystylisten, und mit ihnen ein nur viertelsteutscher pwa_338.037
Zeitungsschreiber, Einem hochangesehenen Publikum vornebeln wollen, pwa_338.038
solches aberwitzige Sprachgemengsel, und solches Afterlatein, wie vorgeblich dieser pwa_338.039
wohlehrsame Schulhalter, habe niemals ein vernünftiger Teutscher geschrieben, so pwa_338.040
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unsern Zeitungen alltäglich kein besseres Teutsch schreiben; wodurch sie denn also pwa_338.042
die Aechtheit der obigen Urkunde unwidersprechlich bestätigen.“
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