Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_352.001 pwa_352.026 pwa_352.001 pwa_352.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0370" n="352"/><lb n="pwa_352.001"/> seinem Herrn ist angesagt, und er ihn nicht verwahret hat, und tödtet <lb n="pwa_352.002"/> darüber einen Mann oder Weib, so soll man den Ochsen steinigen, <lb n="pwa_352.003"/> und sein Herr soll sterben,“ 2. Mos. 21, 29. Oder: „Werdet ihr euch <lb n="pwa_352.004"/> aber von mir hinten abwenden, und nicht halten meine Gebote und <lb n="pwa_352.005"/> Rechte, die ich euch vorgelegt habe, und hingehet und anderen Göttern <lb n="pwa_352.006"/> dienet und sie anbetet, so werde ich Israel ausrotten von dem Lande,“ <lb n="pwa_352.007"/> 1. Könige 9, 6. Die neuere Sprache aber ist darin einmal sehr streng <lb n="pwa_352.008"/> geworden, und wir dürfen die Regeln, so hemmend sie auch in vielen <lb n="pwa_352.009"/> Fällen sein mögen, nicht mehr wohl bei Seite setzen. So darf man <lb n="pwa_352.010"/> denn auch vollständige und zu Appositionen verkürzte Nebensätze einander <lb n="pwa_352.011"/> nicht beiordnen: entweder sind beide vollständig oder beide <lb n="pwa_352.012"/> verkürzt zu bilden. Es ist z. B. nicht erlaubt zu sagen: „Dem Könige <lb n="pwa_352.013"/> war von seiner Gattin ein Kind hinterlassen, so schön, so sanft wie <lb n="pwa_352.014"/> sie, und in welchem er sich wieder aufleben sah.“ Ebenso unrichtig <lb n="pwa_352.015"/> ist es, zwei Substantivsätze zu coordinieren, von denen der eine mit <lb n="pwa_352.016"/> <hi rendition="#i">dass</hi> gebildet ist, der andere bloss die conjunctivische Form der indirecten <lb n="pwa_352.017"/> Rede hat. Ferner darf von zwei beigeordneten Adjectivsätzen <lb n="pwa_352.018"/> nicht der eine mit <hi rendition="#i">welcher,</hi> der andere mit <hi rendition="#i">der</hi> eingeleitet werden. <lb n="pwa_352.019"/> Und diese Anforderung ist wohl nicht so ganz äusserlich; es ist wohl <lb n="pwa_352.020"/> nicht bloss der verschiedene Laut, der die beiden Ausdrucksarten <lb n="pwa_352.021"/> mit <hi rendition="#i">der</hi> und mit <hi rendition="#i">welcher</hi> verschieden erscheinen lässt, sondern wohl <lb n="pwa_352.022"/> noch ein Ueberrest von dem etymologischen und lexicalischen Unterschiede <lb n="pwa_352.023"/> beider Wörter, die sich zu einander verhalten wie <hi rendition="#i">qui</hi> zu <lb n="pwa_352.024"/> <hi rendition="#i">qualis;</hi> diess Bewusstsein wird stärker angeregt, sobald beide Worte <lb n="pwa_352.025"/> neben einander stehn.</p> <p><lb n="pwa_352.026"/> Während also für coordinierte Sätze Gleichheit der Form als <lb n="pwa_352.027"/> Regel gilt, wird als natürlicher Gegensatz die Verschiedenheit der <lb n="pwa_352.028"/> Form beobachtet, wo mehrere Nebensätze einer dem anderen untergeordnet <lb n="pwa_352.029"/> sind. Hier lässt sich wieder eine Parallele ziehen zwischen <lb n="pwa_352.030"/> der Behandlung einzelner Worte und ganzer Sätze. Auch gleiche <lb n="pwa_352.031"/> Wortformen ordnet man nicht gern eine der anderen unter: natürlich, <lb n="pwa_352.032"/> da es schwer fällt, wenn die Wortformen gleich sind, dennoch die <lb n="pwa_352.033"/> Verschiedenheit der Beziehung zu erkennen; man lässt z. B. nicht <lb n="pwa_352.034"/> gern einen Genitiv von einem andern abhangen, namentlich nicht, <lb n="pwa_352.035"/> wenn die Genitive von gleicher Flexionsart, gleichem numerus und <lb n="pwa_352.036"/> gleichem genus sind. Als Beispiel kann hier der bekannte Ausdruck <lb n="pwa_352.037"/> eines Exegeten dienen: „Das Verführerische des Genusses der Frucht <lb n="pwa_352.038"/> des Baumes der Erkenntniss des Guten und des Bösen verleitete <lb n="pwa_352.039"/> Adam und Eva zum ersten Sündenfall.“ Ebenso falsch und übellautend <lb n="pwa_352.040"/> ist folgendes Beispiel: „Der Präsident des Ministerrathes brachte folgenden <lb n="pwa_352.041"/> Trinkspruch aus: Auf das Wohl der Armee, des Stolzes des </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0370]
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seinem Herrn ist angesagt, und er ihn nicht verwahret hat, und tödtet pwa_352.002
darüber einen Mann oder Weib, so soll man den Ochsen steinigen, pwa_352.003
und sein Herr soll sterben,“ 2. Mos. 21, 29. Oder: „Werdet ihr euch pwa_352.004
aber von mir hinten abwenden, und nicht halten meine Gebote und pwa_352.005
Rechte, die ich euch vorgelegt habe, und hingehet und anderen Göttern pwa_352.006
dienet und sie anbetet, so werde ich Israel ausrotten von dem Lande,“ pwa_352.007
1. Könige 9, 6. Die neuere Sprache aber ist darin einmal sehr streng pwa_352.008
geworden, und wir dürfen die Regeln, so hemmend sie auch in vielen pwa_352.009
Fällen sein mögen, nicht mehr wohl bei Seite setzen. So darf man pwa_352.010
denn auch vollständige und zu Appositionen verkürzte Nebensätze einander pwa_352.011
nicht beiordnen: entweder sind beide vollständig oder beide pwa_352.012
verkürzt zu bilden. Es ist z. B. nicht erlaubt zu sagen: „Dem Könige pwa_352.013
war von seiner Gattin ein Kind hinterlassen, so schön, so sanft wie pwa_352.014
sie, und in welchem er sich wieder aufleben sah.“ Ebenso unrichtig pwa_352.015
ist es, zwei Substantivsätze zu coordinieren, von denen der eine mit pwa_352.016
dass gebildet ist, der andere bloss die conjunctivische Form der indirecten pwa_352.017
Rede hat. Ferner darf von zwei beigeordneten Adjectivsätzen pwa_352.018
nicht der eine mit welcher, der andere mit der eingeleitet werden. pwa_352.019
Und diese Anforderung ist wohl nicht so ganz äusserlich; es ist wohl pwa_352.020
nicht bloss der verschiedene Laut, der die beiden Ausdrucksarten pwa_352.021
mit der und mit welcher verschieden erscheinen lässt, sondern wohl pwa_352.022
noch ein Ueberrest von dem etymologischen und lexicalischen Unterschiede pwa_352.023
beider Wörter, die sich zu einander verhalten wie qui zu pwa_352.024
qualis; diess Bewusstsein wird stärker angeregt, sobald beide Worte pwa_352.025
neben einander stehn.
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Während also für coordinierte Sätze Gleichheit der Form als pwa_352.027
Regel gilt, wird als natürlicher Gegensatz die Verschiedenheit der pwa_352.028
Form beobachtet, wo mehrere Nebensätze einer dem anderen untergeordnet pwa_352.029
sind. Hier lässt sich wieder eine Parallele ziehen zwischen pwa_352.030
der Behandlung einzelner Worte und ganzer Sätze. Auch gleiche pwa_352.031
Wortformen ordnet man nicht gern eine der anderen unter: natürlich, pwa_352.032
da es schwer fällt, wenn die Wortformen gleich sind, dennoch die pwa_352.033
Verschiedenheit der Beziehung zu erkennen; man lässt z. B. nicht pwa_352.034
gern einen Genitiv von einem andern abhangen, namentlich nicht, pwa_352.035
wenn die Genitive von gleicher Flexionsart, gleichem numerus und pwa_352.036
gleichem genus sind. Als Beispiel kann hier der bekannte Ausdruck pwa_352.037
eines Exegeten dienen: „Das Verführerische des Genusses der Frucht pwa_352.038
des Baumes der Erkenntniss des Guten und des Bösen verleitete pwa_352.039
Adam und Eva zum ersten Sündenfall.“ Ebenso falsch und übellautend pwa_352.040
ist folgendes Beispiel: „Der Präsident des Ministerrathes brachte folgenden pwa_352.041
Trinkspruch aus: Auf das Wohl der Armee, des Stolzes des
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