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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Wie bei einzelnen Worten, so gilt nun das Gesetz der Formveränderung pwa_354.002
auch bei einer stufenweise immer tiefer steigenden pwa_354.003
Unterordnung ganzer Sätze; Formgleichheit ist auch hier ein Fehler: pwa_354.004
jeder untergeordnete Satz soll, wenn auch gleichartig, doch anders pwa_354.005
gebaut sein als der ihm zunächst übergeordnete. Wenn also z. B. pwa_354.006
ein indirect angeführter Gedanke von einem gleichfalls indirecten Satze pwa_354.007
abhängig ist, so wird man den einen mit dem blossen Conjunctiv, pwa_354.008
den andern mit dass bilden. Richtig sagt daher Forster: "Man sollte pwa_354.009
denken, es verstünde sich von selbst, dass die Fähigkeit zu geniessen pwa_354.010
auch eine Bestimmung dazu mit in sich schliesse." Fehlerhaft ist pwa_354.011
dagegen der folgende Satz Wilh. von Humboldts: "Ich habe mich pwa_354.012
bemüht zu zeigen, dass der Character der vollkommen gebildeten pwa_354.013
Sprachen dadurch bestimmt wird, dass die Natur ihres Baues beweist, pwa_354.014
dass es dem Geist nicht bloss auf den Inhalt, sondern vorzüglich auf pwa_354.015
die Form der Gedanken ankommt."

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Wie hier bei Substantivsätzen, ebenso wird auch bei Adjectivsätzen pwa_354.017
verfahren: von zwei einander untergeordneten Sätzen dieser pwa_354.018
Art wird der obere mit welcher, der untere mit der eingeleitet oder pwa_354.019
umgekehrt: z. B. "Wer kann die Zahl der Jahre berechnen, welche pwa_354.020
die zahllosen Sonnen, die wir durch die Räume des Himmels verbreitet pwa_354.021
sehen, bereits vollendet haben." Weicht man von dieser Regel pwa_354.022
ab, so kann der Fehler leicht zum Unsinn werden, namentlich wenn pwa_354.023
beide Relativpronomen auch noch im gleichen Casus stehn, wie in pwa_354.024
der folgenden Zeitungsanzeige: "Ein Bedienter, der lange Zeit treu pwa_354.025
und redlich einem Herrn gedient, der aber nun gestorben ist, sucht pwa_354.026
ein anderweitiges Unterkommen."

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Auch bei gleichartigen Adverbialsätzen wird die Unterordnung pwa_354.028
und Abstufung durch verschiedene, natürlich aber synonyme Fügewörter pwa_354.029
oder sonst durch den Wechsel der Form bezeichnet; von zwei einander pwa_354.030
untergeordneten Conditionalsätzen leitet man den einen mit wenn, pwa_354.031
den andern mit falls ein, oder man braucht etwa auch die Form der pwa_354.032
Frage oder des Befehls. So sagt z. B. Lessing: "Es ist immer rührend, pwa_354.033
wenn auch der schwache abgelebte Nestor sich dem ausfordernden pwa_354.034
Hector stellen will, falls kein jüngerer und stärkerer Grieche pwa_354.035
mit ihm anzubinden sich getraut." Fienge hier der zweite Bedingungssatz pwa_354.036
auch mit wenn an, so wäre die Ueberschaulichkeit gestört. pwa_354.037
Fehlerhaft sagt also Jacobi: "Ich kann dir deine Frage beantworten, pwa_354.038
wenn du glauben willst, dass ich es gut mit dir meine, wenn ich pwa_354.039
dir einige unangenehme Wahrheiten sage." Hier war abzuwechseln pwa_354.040
und das zweite wenn gegen indem zu vertauschen.

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Wie bei einzelnen Worten, so gilt nun das Gesetz der Formveränderung pwa_354.002
auch bei einer stufenweise immer tiefer steigenden pwa_354.003
Unterordnung ganzer Sätze; Formgleichheit ist auch hier ein Fehler: pwa_354.004
jeder untergeordnete Satz soll, wenn auch gleichartig, doch anders pwa_354.005
gebaut sein als der ihm zunächst übergeordnete. Wenn also z. B. pwa_354.006
ein indirect angeführter Gedanke von einem gleichfalls indirecten Satze pwa_354.007
abhängig ist, so wird man den einen mit dem blossen Conjunctiv, pwa_354.008
den andern mit dass bilden. Richtig sagt daher Forster: „Man sollte pwa_354.009
denken, es verstünde sich von selbst, dass die Fähigkeit zu geniessen pwa_354.010
auch eine Bestimmung dazu mit in sich schliesse.“ Fehlerhaft ist pwa_354.011
dagegen der folgende Satz Wilh. von Humboldts: „Ich habe mich pwa_354.012
bemüht zu zeigen, dass der Character der vollkommen gebildeten pwa_354.013
Sprachen dadurch bestimmt wird, dass die Natur ihres Baues beweist, pwa_354.014
dass es dem Geist nicht bloss auf den Inhalt, sondern vorzüglich auf pwa_354.015
die Form der Gedanken ankommt.“

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Wie hier bei Substantivsätzen, ebenso wird auch bei Adjectivsätzen pwa_354.017
verfahren: von zwei einander untergeordneten Sätzen dieser pwa_354.018
Art wird der obere mit welcher, der untere mit der eingeleitet oder pwa_354.019
umgekehrt: z. B. „Wer kann die Zahl der Jahre berechnen, welche pwa_354.020
die zahllosen Sonnen, die wir durch die Räume des Himmels verbreitet pwa_354.021
sehen, bereits vollendet haben.“ Weicht man von dieser Regel pwa_354.022
ab, so kann der Fehler leicht zum Unsinn werden, namentlich wenn pwa_354.023
beide Relativpronomen auch noch im gleichen Casus stehn, wie in pwa_354.024
der folgenden Zeitungsanzeige: „Ein Bedienter, der lange Zeit treu pwa_354.025
und redlich einem Herrn gedient, der aber nun gestorben ist, sucht pwa_354.026
ein anderweitiges Unterkommen.“

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Auch bei gleichartigen Adverbialsätzen wird die Unterordnung pwa_354.028
und Abstufung durch verschiedene, natürlich aber synonyme Fügewörter pwa_354.029
oder sonst durch den Wechsel der Form bezeichnet; von zwei einander pwa_354.030
untergeordneten Conditionalsätzen leitet man den einen mit wenn, pwa_354.031
den andern mit falls ein, oder man braucht etwa auch die Form der pwa_354.032
Frage oder des Befehls. So sagt z. B. Lessing: „Es ist immer rührend, pwa_354.033
wenn auch der schwache abgelebte Nestor sich dem ausfordernden pwa_354.034
Hector stellen will, falls kein jüngerer und stärkerer Grieche pwa_354.035
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auch mit wenn an, so wäre die Ueberschaulichkeit gestört. pwa_354.037
Fehlerhaft sagt also Jacobi: „Ich kann dir deine Frage beantworten, pwa_354.038
wenn du glauben willst, dass ich es gut mit dir meine, wenn ich pwa_354.039
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[354/0372] pwa_354.001 Wie bei einzelnen Worten, so gilt nun das Gesetz der Formveränderung pwa_354.002 auch bei einer stufenweise immer tiefer steigenden pwa_354.003 Unterordnung ganzer Sätze; Formgleichheit ist auch hier ein Fehler: pwa_354.004 jeder untergeordnete Satz soll, wenn auch gleichartig, doch anders pwa_354.005 gebaut sein als der ihm zunächst übergeordnete. Wenn also z. B. pwa_354.006 ein indirect angeführter Gedanke von einem gleichfalls indirecten Satze pwa_354.007 abhängig ist, so wird man den einen mit dem blossen Conjunctiv, pwa_354.008 den andern mit dass bilden. Richtig sagt daher Forster: „Man sollte pwa_354.009 denken, es verstünde sich von selbst, dass die Fähigkeit zu geniessen pwa_354.010 auch eine Bestimmung dazu mit in sich schliesse.“ Fehlerhaft ist pwa_354.011 dagegen der folgende Satz Wilh. von Humboldts: „Ich habe mich pwa_354.012 bemüht zu zeigen, dass der Character der vollkommen gebildeten pwa_354.013 Sprachen dadurch bestimmt wird, dass die Natur ihres Baues beweist, pwa_354.014 dass es dem Geist nicht bloss auf den Inhalt, sondern vorzüglich auf pwa_354.015 die Form der Gedanken ankommt.“ pwa_354.016 Wie hier bei Substantivsätzen, ebenso wird auch bei Adjectivsätzen pwa_354.017 verfahren: von zwei einander untergeordneten Sätzen dieser pwa_354.018 Art wird der obere mit welcher, der untere mit der eingeleitet oder pwa_354.019 umgekehrt: z. B. „Wer kann die Zahl der Jahre berechnen, welche pwa_354.020 die zahllosen Sonnen, die wir durch die Räume des Himmels verbreitet pwa_354.021 sehen, bereits vollendet haben.“ Weicht man von dieser Regel pwa_354.022 ab, so kann der Fehler leicht zum Unsinn werden, namentlich wenn pwa_354.023 beide Relativpronomen auch noch im gleichen Casus stehn, wie in pwa_354.024 der folgenden Zeitungsanzeige: „Ein Bedienter, der lange Zeit treu pwa_354.025 und redlich einem Herrn gedient, der aber nun gestorben ist, sucht pwa_354.026 ein anderweitiges Unterkommen.“ pwa_354.027 Auch bei gleichartigen Adverbialsätzen wird die Unterordnung pwa_354.028 und Abstufung durch verschiedene, natürlich aber synonyme Fügewörter pwa_354.029 oder sonst durch den Wechsel der Form bezeichnet; von zwei einander pwa_354.030 untergeordneten Conditionalsätzen leitet man den einen mit wenn, pwa_354.031 den andern mit falls ein, oder man braucht etwa auch die Form der pwa_354.032 Frage oder des Befehls. So sagt z. B. Lessing: „Es ist immer rührend, pwa_354.033 wenn auch der schwache abgelebte Nestor sich dem ausfordernden pwa_354.034 Hector stellen will, falls kein jüngerer und stärkerer Grieche pwa_354.035 mit ihm anzubinden sich getraut.“ Fienge hier der zweite Bedingungssatz pwa_354.036 auch mit wenn an, so wäre die Ueberschaulichkeit gestört. pwa_354.037 Fehlerhaft sagt also Jacobi: „Ich kann dir deine Frage beantworten, pwa_354.038 wenn du glauben willst, dass ich es gut mit dir meine, wenn ich pwa_354.039 dir einige unangenehme Wahrheiten sage.“ Hier war abzuwechseln pwa_354.040 und das zweite wenn gegen indem zu vertauschen.

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/372>, abgerufen am 22.11.2024.