Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_363.001 pwa_363.004 pwa_363.026 pwa_363.029 pwa_363.037 pwa_363.001 pwa_363.004 pwa_363.026 pwa_363.029 pwa_363.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0381" n="363"/><lb n="pwa_363.001"/> auch eine sprachliche Darstellung, welche dem Gehör wohlgethan hat, <lb n="pwa_363.002"/> leichter verstanden, leichter überschaut, leichter reproduciert wird als <lb n="pwa_363.003"/> eine, die das Gehör durch Missklang verletzt.</p> <p><lb n="pwa_363.004"/> Also auch Wohlklang wird von einer Periode gefordert, und auch <lb n="pwa_363.005"/> dieser nur um der Deutlichkeit willen. Dabei sind aber <hi rendition="#i">Wohlklang</hi> <lb n="pwa_363.006"/> und <hi rendition="#i">Wohllaut</hi> nicht zu verwechseln. Der Wohllaut beruht auf der <lb n="pwa_363.007"/> Wahl und der Mischung der einzelnen Vocale und Consonanten; darauf, <lb n="pwa_363.008"/> dass stärkere und schwächere, hellere und dunklere Vocale, härtere und <lb n="pwa_363.009"/> weichere, schwerere und leichtere Consonanten mit einander abwechseln; <lb n="pwa_363.010"/> dass sich nicht derselbe Laut zu viel Mal hinter einander wiederhole, <lb n="pwa_363.011"/> ausser wo es etwa ausdrückliche und wohlbegründete Absicht ist und <lb n="pwa_363.012"/> dergleichen. Indessen das sind Dinge, die den Bau der Periode gar <lb n="pwa_363.013"/> nichts angehn, sondern die nur bei der Wahl der einzelnen Ausdrücke <lb n="pwa_363.014"/> und zum Theil auch nur für den dichterischen Stil in Betracht kommen; <lb n="pwa_363.015"/> überhaupt aber möchte es schwer sein, und gradezu verwegen <lb n="pwa_363.016"/> wäre es, darüber umfassende Regeln geben zu wollen: denn wer <lb n="pwa_363.017"/> könnte dabei all die Besonderheiten der Sprechenden und der besprochenen <lb n="pwa_363.018"/> Gegenstände vorsehen, auf die doch nothwendig müsste Rücksicht <lb n="pwa_363.019"/> genommen werden? Will man hier eine Regel geben, so ist es <lb n="pwa_363.020"/> etwa nur diese ganz allgemeine: Denke richtig und gieb jedem Begriff <lb n="pwa_363.021"/> den angemessenen Ausdruck: es liegt in der Sprache eine solche <lb n="pwa_363.022"/> Nothwendigkeit der Form, eine so innige Beziehung zwischen Form <lb n="pwa_363.023"/> und Inhalt, dass alsdann die Worte sowohl für sich als in ihrer Verbindung <lb n="pwa_363.024"/> mit andern grade den rechten Laut und Wohllaut haben <lb n="pwa_363.025"/> werden.</p> <p><lb n="pwa_363.026"/> Vom Wohllaut also, der auf der Wahl und Anordnung der einzelnen <lb n="pwa_363.027"/> Vocale und Consonanten beruht, ist nicht weiter zu reden, <lb n="pwa_363.028"/> sondern vom Wohlklang.</p> <p><lb n="pwa_363.029"/> Der Grund des Wohlklangs aber liegt in einer anderen Seite der <lb n="pwa_363.030"/> sprachlichen Gestaltung, im Ton, im Accent; nicht in den Lauten, <lb n="pwa_363.031"/> sondern in der Betonung, welche sie begleitet; nicht in irgend einem <lb n="pwa_363.032"/> Wechsel vocalischer und consonantischer Laute, sondern in dem Wechsel <lb n="pwa_363.033"/> höherer und tieferer Töne, also in der rhythmischen Gliederung der <lb n="pwa_363.034"/> Accente. Und das geht wirklich die Periode in ihrer Gesammtheit, <lb n="pwa_363.035"/> geht wirklich den Bau derselben an und unterliegt auch sehr wohl <lb n="pwa_363.036"/> einer Berechnung und Bestimmung durch feste Regeln.</p> <p><lb n="pwa_363.037"/> Der Grundrythmus der deutschen Sprache ist der trochäische, er <lb n="pwa_363.038"/> besteht in dem Wechsel von betonten und unbetonten, von hochtonigen <lb n="pwa_363.039"/> und tieftonigen Silben, von Hebungen und Senkungen: das Wort <hi rendition="#i">rathen</hi> <lb n="pwa_363.040"/> z. B. enthält eine betonte und eine unbetonte Silbe, <hi rendition="#i">rathsam</hi> eine <lb n="pwa_363.041"/> stärker und eine schwächer betonte, eine hochtonige und eine tieftonige. </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [363/0381]
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auch eine sprachliche Darstellung, welche dem Gehör wohlgethan hat, pwa_363.002
leichter verstanden, leichter überschaut, leichter reproduciert wird als pwa_363.003
eine, die das Gehör durch Missklang verletzt.
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Also auch Wohlklang wird von einer Periode gefordert, und auch pwa_363.005
dieser nur um der Deutlichkeit willen. Dabei sind aber Wohlklang pwa_363.006
und Wohllaut nicht zu verwechseln. Der Wohllaut beruht auf der pwa_363.007
Wahl und der Mischung der einzelnen Vocale und Consonanten; darauf, pwa_363.008
dass stärkere und schwächere, hellere und dunklere Vocale, härtere und pwa_363.009
weichere, schwerere und leichtere Consonanten mit einander abwechseln; pwa_363.010
dass sich nicht derselbe Laut zu viel Mal hinter einander wiederhole, pwa_363.011
ausser wo es etwa ausdrückliche und wohlbegründete Absicht ist und pwa_363.012
dergleichen. Indessen das sind Dinge, die den Bau der Periode gar pwa_363.013
nichts angehn, sondern die nur bei der Wahl der einzelnen Ausdrücke pwa_363.014
und zum Theil auch nur für den dichterischen Stil in Betracht kommen; pwa_363.015
überhaupt aber möchte es schwer sein, und gradezu verwegen pwa_363.016
wäre es, darüber umfassende Regeln geben zu wollen: denn wer pwa_363.017
könnte dabei all die Besonderheiten der Sprechenden und der besprochenen pwa_363.018
Gegenstände vorsehen, auf die doch nothwendig müsste Rücksicht pwa_363.019
genommen werden? Will man hier eine Regel geben, so ist es pwa_363.020
etwa nur diese ganz allgemeine: Denke richtig und gieb jedem Begriff pwa_363.021
den angemessenen Ausdruck: es liegt in der Sprache eine solche pwa_363.022
Nothwendigkeit der Form, eine so innige Beziehung zwischen Form pwa_363.023
und Inhalt, dass alsdann die Worte sowohl für sich als in ihrer Verbindung pwa_363.024
mit andern grade den rechten Laut und Wohllaut haben pwa_363.025
werden.
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Vom Wohllaut also, der auf der Wahl und Anordnung der einzelnen pwa_363.027
Vocale und Consonanten beruht, ist nicht weiter zu reden, pwa_363.028
sondern vom Wohlklang.
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Der Grund des Wohlklangs aber liegt in einer anderen Seite der pwa_363.030
sprachlichen Gestaltung, im Ton, im Accent; nicht in den Lauten, pwa_363.031
sondern in der Betonung, welche sie begleitet; nicht in irgend einem pwa_363.032
Wechsel vocalischer und consonantischer Laute, sondern in dem Wechsel pwa_363.033
höherer und tieferer Töne, also in der rhythmischen Gliederung der pwa_363.034
Accente. Und das geht wirklich die Periode in ihrer Gesammtheit, pwa_363.035
geht wirklich den Bau derselben an und unterliegt auch sehr wohl pwa_363.036
einer Berechnung und Bestimmung durch feste Regeln.
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Der Grundrythmus der deutschen Sprache ist der trochäische, er pwa_363.038
besteht in dem Wechsel von betonten und unbetonten, von hochtonigen pwa_363.039
und tieftonigen Silben, von Hebungen und Senkungen: das Wort rathen pwa_363.040
z. B. enthält eine betonte und eine unbetonte Silbe, rathsam eine pwa_363.041
stärker und eine schwächer betonte, eine hochtonige und eine tieftonige.
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