Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_375.001 pwa_375.017 pwa_375.001 pwa_375.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0393" n="375"/><lb n="pwa_375.001"/> um eine Gabe zu erhalten, vgl. LB. 2, 131. 133. 224. Namentlich sind <lb n="pwa_375.002"/> von solcher Art die meisten unter den älteren Versuchen, die Hexameter <lb n="pwa_375.003"/> und Pentameter auch im Deutschen nachzubilden: allerdings <lb n="pwa_375.004"/> erleichterte man sich die Germanisierung der lateinischen Masse, indem <lb n="pwa_375.005"/> man dabei zahlreiche lateinische Worte brauchte; ausserdem that man <lb n="pwa_375.006"/> das auch und zuvörderst aus scherzhafter Absicht, wie nirgend zu <lb n="pwa_375.007"/> verkennen ist: z. B. die Unterschrift einer Strassburger Handschrift: <lb n="pwa_375.008"/> „Est pretium mihi krank, cum nihil (statt nil) dabitur nisi habdank.“ <lb n="pwa_375.009"/> Oder: „Pringet humores Baccharach vinum meliores“, wie Fischart im <lb n="pwa_375.010"/> Gargantua (cap. 24) den medicinischen Denkspruch der Schola Salernitana <lb n="pwa_375.011"/> verarbeitet: „Gignit et humores melius vinum meliores“ (Regimen <lb n="pwa_375.012"/> sanitat. v. 47). Anderswo überwiegen in dergleichen Versen die deutschen <lb n="pwa_375.013"/> Worte; so z. B. wiederum bei Fischart: „Vier ding auss winden <lb n="pwa_375.014"/> veniunt, so ventre verschwinden (quatuor ex vento veniunt in ventre <lb n="pwa_375.015"/> retento, regim. sanit. v. 18); dan vinum saure klinglitum machet in <lb n="pwa_375.016"/> aure“ (ebrietas, frigus tinnitum causat in aure, reg. sanit. v. 234).</p> <p><lb n="pwa_375.017"/> Die andere Art des Barbarismus führte diesen Muthwillen noch <lb n="pwa_375.018"/> um einige Schritte weiter. Nicht bloss fremde Worte und einzelne <lb n="pwa_375.019"/> Verse in fremder Sprache werden eingemischt, sondern die Worte der <lb n="pwa_375.020"/> Nationalsprache selbst werden mit ausländischen, z. B. die der deutschen <lb n="pwa_375.021"/> mit lateinischen Endungen versehen, so dass sie nun nach lateinischer <lb n="pwa_375.022"/> Weise abgeleitet erscheinen und nach lateinischer Weise decliniert <lb n="pwa_375.023"/> und conjugiert werden. Die ältesten Scherze der Art finden <lb n="pwa_375.024"/> wir wiederum bei Ausonius in derselben zwölften Epistel, wo lateinische <lb n="pwa_375.025"/> Wörter griechisch flectiert werden, z. B. V. 28: „<foreign xml:lang="grc">ἔν τε φορῷ</foreign> <lb n="pwa_375.026"/> caus<foreign xml:lang="grc">αῖς τε καὶ</foreign> ingrat<foreign xml:lang="grc">αῖσι καθέδραις</foreign>“ u. dgl. Späterhin taucht diese <lb n="pwa_375.027"/> Art erst in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wieder <lb n="pwa_375.028"/> auf, in Italien und in Frankreich; dort zeichnete sich besonders Teofilo <lb n="pwa_375.029"/> de' Folenghi oder Folengo aus, oder wie er sich als Dichter zu nennen <lb n="pwa_375.030"/> pflegte, Merlinus Cocajus (1491–1544), hier Antonius de Arena. <lb n="pwa_375.031"/> Jener schrieb in latinisiertem Italiänisch, dieser in latinisiertem Französisch <lb n="pwa_375.032"/> allerlei komische, meist satirische Gedichte. Nun empfieng <lb n="pwa_375.033"/> diese Stilart auch ihren besondern Namen: nach dem Lieblingsgericht <lb n="pwa_375.034"/> der Italiäner <hi rendition="#i">macaronische Poesie.</hi> Noch im sechzehnten Jahrhundert <lb n="pwa_375.035"/> und so fort bis gegen das Jahr 1700 gab es viel der Art auch in <lb n="pwa_375.036"/> Deutschland. Fischart verkehrte und übersetzte in solch latinisiertes <lb n="pwa_375.037"/> Deutsch manche arzneiliche Denksprüche der Schola Salernitana; eines <lb n="pwa_375.038"/> der ältesten und berühmtesten macaronischen Gedichte ist die 1593 <lb n="pwa_375.039"/> zuerst gedruckte <hi rendition="#i">Floia,</hi> die in latinisiertem Niederdeutsch abgefasst ist <lb n="pwa_375.040"/> und folgenden Titel führt: „Floia, cortum versicale, de flois schwartibus, <lb n="pwa_375.041"/> illis deiriculis, quae omnes fere Minschos, Nonnas, Weibras, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [375/0393]
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um eine Gabe zu erhalten, vgl. LB. 2, 131. 133. 224. Namentlich sind pwa_375.002
von solcher Art die meisten unter den älteren Versuchen, die Hexameter pwa_375.003
und Pentameter auch im Deutschen nachzubilden: allerdings pwa_375.004
erleichterte man sich die Germanisierung der lateinischen Masse, indem pwa_375.005
man dabei zahlreiche lateinische Worte brauchte; ausserdem that man pwa_375.006
das auch und zuvörderst aus scherzhafter Absicht, wie nirgend zu pwa_375.007
verkennen ist: z. B. die Unterschrift einer Strassburger Handschrift: pwa_375.008
„Est pretium mihi krank, cum nihil (statt nil) dabitur nisi habdank.“ pwa_375.009
Oder: „Pringet humores Baccharach vinum meliores“, wie Fischart im pwa_375.010
Gargantua (cap. 24) den medicinischen Denkspruch der Schola Salernitana pwa_375.011
verarbeitet: „Gignit et humores melius vinum meliores“ (Regimen pwa_375.012
sanitat. v. 47). Anderswo überwiegen in dergleichen Versen die deutschen pwa_375.013
Worte; so z. B. wiederum bei Fischart: „Vier ding auss winden pwa_375.014
veniunt, so ventre verschwinden (quatuor ex vento veniunt in ventre pwa_375.015
retento, regim. sanit. v. 18); dan vinum saure klinglitum machet in pwa_375.016
aure“ (ebrietas, frigus tinnitum causat in aure, reg. sanit. v. 234).
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Die andere Art des Barbarismus führte diesen Muthwillen noch pwa_375.018
um einige Schritte weiter. Nicht bloss fremde Worte und einzelne pwa_375.019
Verse in fremder Sprache werden eingemischt, sondern die Worte der pwa_375.020
Nationalsprache selbst werden mit ausländischen, z. B. die der deutschen pwa_375.021
mit lateinischen Endungen versehen, so dass sie nun nach lateinischer pwa_375.022
Weise abgeleitet erscheinen und nach lateinischer Weise decliniert pwa_375.023
und conjugiert werden. Die ältesten Scherze der Art finden pwa_375.024
wir wiederum bei Ausonius in derselben zwölften Epistel, wo lateinische pwa_375.025
Wörter griechisch flectiert werden, z. B. V. 28: „ἔν τε φορῷ pwa_375.026
causαῖς τε καὶ ingratαῖσι καθέδραις“ u. dgl. Späterhin taucht diese pwa_375.027
Art erst in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wieder pwa_375.028
auf, in Italien und in Frankreich; dort zeichnete sich besonders Teofilo pwa_375.029
de' Folenghi oder Folengo aus, oder wie er sich als Dichter zu nennen pwa_375.030
pflegte, Merlinus Cocajus (1491–1544), hier Antonius de Arena. pwa_375.031
Jener schrieb in latinisiertem Italiänisch, dieser in latinisiertem Französisch pwa_375.032
allerlei komische, meist satirische Gedichte. Nun empfieng pwa_375.033
diese Stilart auch ihren besondern Namen: nach dem Lieblingsgericht pwa_375.034
der Italiäner macaronische Poesie. Noch im sechzehnten Jahrhundert pwa_375.035
und so fort bis gegen das Jahr 1700 gab es viel der Art auch in pwa_375.036
Deutschland. Fischart verkehrte und übersetzte in solch latinisiertes pwa_375.037
Deutsch manche arzneiliche Denksprüche der Schola Salernitana; eines pwa_375.038
der ältesten und berühmtesten macaronischen Gedichte ist die 1593 pwa_375.039
zuerst gedruckte Floia, die in latinisiertem Niederdeutsch abgefasst ist pwa_375.040
und folgenden Titel führt: „Floia, cortum versicale, de flois schwartibus, pwa_375.041
illis deiriculis, quae omnes fere Minschos, Nonnas, Weibras,
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