Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_430.001 pwa_430.006 pwa_430.029 pwa_430.001 pwa_430.006 pwa_430.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0448" n="430"/><lb n="pwa_430.001"/> einem Satze, doch nur in Sätzen vor, die unmittelbar auf einander <lb n="pwa_430.002"/> folgen. Aber alle Formen der Wiederholung sind eine wie die andere <lb n="pwa_430.003"/> ein stilistisches Mittel, den Fortschritt zu mässigen, die Beweglichkeit <lb n="pwa_430.004"/> zu beruhigen, die Zerstreuung zu sammeln, ein Mittel, die Einbildungskraft <lb n="pwa_430.005"/> immer wieder auf den gleichen festen Punct zurückzuführen.</p> <p><lb n="pwa_430.006"/> So viel von der einen Hauptseite des poetischen Stils, von der <lb n="pwa_430.007"/> Anordnung der Worte, insofern man auf den Gehalt derselben sieht <lb n="pwa_430.008"/> (S. 409). Treten wir nun auf den anderen uns noch übrigen Standpunct <lb n="pwa_430.009"/> und fassen die Worte bloss von Seiten ihrer <hi rendition="#b">Gestalt</hi> ganz äusserlich, nur <lb n="pwa_430.010"/> als tönendes und lautendes Material. Hier ist denn zu sprechen vom <lb n="pwa_430.011"/> <hi rendition="#b">Wohlklang</hi> und vom <hi rendition="#b">Wohllaut,</hi> wie wir diese beiden schon früher <lb n="pwa_430.012"/> (S. 363) unterschieden haben. Zuerst der <hi rendition="#b">Wohlklang.</hi> Auch hier, ganz <lb n="pwa_430.013"/> auf der Oberfläche der sprachlichen Darstellung, laufen die beiden Wege, <lb n="pwa_430.014"/> die zu lebendigem Ausdrucke führen, neben einander her und durch <lb n="pwa_430.015"/> einander, die Bewegung und die Beruhigung. Beides zeigt sich gleich <lb n="pwa_430.016"/> wirksam in dem künstlerischen Rhythmus der poetischen Rede: die <lb n="pwa_430.017"/> Bewegung in dem Wechsel des Verschiedenen, verschiedener Quantität, <lb n="pwa_430.018"/> verschiedener Accente; die Beruhigung darin, dass dieser Wechsel <lb n="pwa_430.019"/> in sich selbst gleichmässig gegliedert ist, dass er in einer bestimmten <lb n="pwa_430.020"/> Anordnung vor sich geht; die Bewegung in der Zusammenstellung <lb n="pwa_430.021"/> verschiedener, immer anders gestalteter Füsse zu einem Verse, und <lb n="pwa_430.022"/> verschiedener, immer anders gestalteter Verse zu einer Strophe: die <lb n="pwa_430.023"/> Beruhigung darin, dass mit dem nächsten Verse der gleiche Wechsel <lb n="pwa_430.024"/> von Füssen, mit der nächsten Strophe der gleiche Wechsel von Versen <lb n="pwa_430.025"/> wiederkehrt. Es fallen hier also die beiden Merkmale der Lebendigkeit <lb n="pwa_430.026"/> ganz zusammen mit den beiden Merkmalen der Schönheit, der <lb n="pwa_430.027"/> Mannigfaltigkeit und der Einheit: in der Bewegung ist die Mannigfaltigkeit <lb n="pwa_430.028"/> begründet, in der Beruhigung die Einheit, und umgekehrt.</p> <p><lb n="pwa_430.029"/> Auch von der prosaischen Rede hat die Stilistik einen gewissen <lb n="pwa_430.030"/> Rhythmus zu fordern; wir haben diesen Punct früherhin (S. 363 fgg.) <lb n="pwa_430.031"/> ausführlich behandelt. Aber der prosaische Rhythmus macht sich <lb n="pwa_430.032"/> nur im Grossen und Ganzen geltend, nur im Verhältniss eines Satzgliedes <lb n="pwa_430.033"/> zum andern, einer Periodenhälfte zur andern; es wird überall <lb n="pwa_430.034"/> nur verlangt, dass sich in diesen grossen Verhältnissen der trochäische <lb n="pwa_430.035"/> Rhythmus darstelle, dass ein Satz mit den wichtigern, also <lb n="pwa_430.036"/> stärker betonten Worten beginne, mit den unwichtigern, also minder <lb n="pwa_430.037"/> betonten endige, dass von beiden Hälften einer Periode die <lb n="pwa_430.038"/> durch ihren Inhalt gehobene als Vordersatz vorangehe, die gesenkte <lb n="pwa_430.039"/> als Nachsatz folge und beschliesse. In der poetischen Rede dauert <lb n="pwa_430.040"/> diese Forderung des trochäischen Rhythmus im Grossen immer noch <lb n="pwa_430.041"/> fort; diese trochäische Gliederung der Sätze und Perioden wird hier </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [430/0448]
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einem Satze, doch nur in Sätzen vor, die unmittelbar auf einander pwa_430.002
folgen. Aber alle Formen der Wiederholung sind eine wie die andere pwa_430.003
ein stilistisches Mittel, den Fortschritt zu mässigen, die Beweglichkeit pwa_430.004
zu beruhigen, die Zerstreuung zu sammeln, ein Mittel, die Einbildungskraft pwa_430.005
immer wieder auf den gleichen festen Punct zurückzuführen.
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So viel von der einen Hauptseite des poetischen Stils, von der pwa_430.007
Anordnung der Worte, insofern man auf den Gehalt derselben sieht pwa_430.008
(S. 409). Treten wir nun auf den anderen uns noch übrigen Standpunct pwa_430.009
und fassen die Worte bloss von Seiten ihrer Gestalt ganz äusserlich, nur pwa_430.010
als tönendes und lautendes Material. Hier ist denn zu sprechen vom pwa_430.011
Wohlklang und vom Wohllaut, wie wir diese beiden schon früher pwa_430.012
(S. 363) unterschieden haben. Zuerst der Wohlklang. Auch hier, ganz pwa_430.013
auf der Oberfläche der sprachlichen Darstellung, laufen die beiden Wege, pwa_430.014
die zu lebendigem Ausdrucke führen, neben einander her und durch pwa_430.015
einander, die Bewegung und die Beruhigung. Beides zeigt sich gleich pwa_430.016
wirksam in dem künstlerischen Rhythmus der poetischen Rede: die pwa_430.017
Bewegung in dem Wechsel des Verschiedenen, verschiedener Quantität, pwa_430.018
verschiedener Accente; die Beruhigung darin, dass dieser Wechsel pwa_430.019
in sich selbst gleichmässig gegliedert ist, dass er in einer bestimmten pwa_430.020
Anordnung vor sich geht; die Bewegung in der Zusammenstellung pwa_430.021
verschiedener, immer anders gestalteter Füsse zu einem Verse, und pwa_430.022
verschiedener, immer anders gestalteter Verse zu einer Strophe: die pwa_430.023
Beruhigung darin, dass mit dem nächsten Verse der gleiche Wechsel pwa_430.024
von Füssen, mit der nächsten Strophe der gleiche Wechsel von Versen pwa_430.025
wiederkehrt. Es fallen hier also die beiden Merkmale der Lebendigkeit pwa_430.026
ganz zusammen mit den beiden Merkmalen der Schönheit, der pwa_430.027
Mannigfaltigkeit und der Einheit: in der Bewegung ist die Mannigfaltigkeit pwa_430.028
begründet, in der Beruhigung die Einheit, und umgekehrt.
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Auch von der prosaischen Rede hat die Stilistik einen gewissen pwa_430.030
Rhythmus zu fordern; wir haben diesen Punct früherhin (S. 363 fgg.) pwa_430.031
ausführlich behandelt. Aber der prosaische Rhythmus macht sich pwa_430.032
nur im Grossen und Ganzen geltend, nur im Verhältniss eines Satzgliedes pwa_430.033
zum andern, einer Periodenhälfte zur andern; es wird überall pwa_430.034
nur verlangt, dass sich in diesen grossen Verhältnissen der trochäische pwa_430.035
Rhythmus darstelle, dass ein Satz mit den wichtigern, also pwa_430.036
stärker betonten Worten beginne, mit den unwichtigern, also minder pwa_430.037
betonten endige, dass von beiden Hälften einer Periode die pwa_430.038
durch ihren Inhalt gehobene als Vordersatz vorangehe, die gesenkte pwa_430.039
als Nachsatz folge und beschliesse. In der poetischen Rede dauert pwa_430.040
diese Forderung des trochäischen Rhythmus im Grossen immer noch pwa_430.041
fort; diese trochäische Gliederung der Sätze und Perioden wird hier
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