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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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dactylisch oder anapästisch. Indessen haben dann doch die einzelnen pwa_432.002
Rhythmen jeder wieder seinen individuellen Character, und die pwa_432.003
eine Zusammenstellung von Längen und Kürzen, von betonten und pwa_432.004
unbetonten Silben bezeichnet und malt mehr die Bewegung, die andere pwa_432.005
mehr die Ruhe. Bei dieser Unterscheidung des characteristischen pwa_432.006
Ausdruckes kommt es lediglich auf die Stelle an, welche die betonte pwa_432.007
oder die lange Silbe einnimmt, ob sie die vordere oder die hintere pwa_432.008
ist, und auf die Zahl der kurzen oder unbetonten Silben, die ihr pwa_432.009
beigegeben sind. Fallende Füsse, d. h. solche, welche mit einer langen pwa_432.010
oder einer betonten Silbe beginnen, bezeichnen einen in sich selbst durch pwa_432.011
Gleichmässigkeit beruhigten, steigende, d. h. solche, die mit einer kurzen pwa_432.012
oder einer unbetonten Silbe anheben, einen bewegteren Fortschritt; pwa_432.013
und wo in solch einem Fuss zwei unbetonte oder zwei kurze Silben pwa_432.014
hinter einander stehn, malen sie eine grössere Bewegung als nur eine. pwa_432.015
Ein schwebender Fuss aber von zwei Längen oder zwei Tönen bezeichnet pwa_432.016
die fest und schwer verharrende Ruhe. Wir können demgemäss pwa_432.017
die gebräuchlichsten Rhythmen, (von denen die übrigen nur weitere pwa_432.018
Combinationen und Ausbildungen sind) in folgender Weise ordnen: pwa_432.019
Feste Ruhe stellt der Spondeus dar; beruhigten Fortschritt der Trochaeus, pwa_432.020
weniger beruhigten der Dactylus; bewegten Fortschritt der pwa_432.021
Iambus, noch bewegteren der Anapäst. Diese Auffassung wird durchaus pwa_432.022
bestätigt durch die Verschiedenheit der Dichtungsarten, denen die pwa_432.023
einzelnen Füsse zufallen, und die Art und Weise, wie sie da verwendet pwa_432.024
werden: in der antiken Poesie, wo die Form die höchste Vollendung pwa_432.025
erreicht hat, braucht den bewegten Iambus und den noch bewegteren pwa_432.026
Anapäst das Drama, jenen in dem halb lyrischen Dialog, pwa_432.027
diesen im ganz lyrischen Vortrage des Chores; den ruhiger fortschreitenden pwa_432.028
Dactylus das gleichmässig fort erzählende Epos; es untermischt pwa_432.029
ihn aber, um die Bewegung noch mehr zu beruhigen, mit den minder pwa_432.030
bewegten Trochäen (bei Homer finden sich genug Trochäen) und den pwa_432.031
ganz fest ruhenden Spondeen; einen je schnelleren Fortschritt der pwa_432.032
epische Hexameter bezeichnen soll, desto mehr Dactylen hat er; ein pwa_432.033
je festeres und schwereres Verharren er bezeichnen soll, desto mehr pwa_432.034
Spondeen enthält er auch. Am festesten und schwersten stellt sich pwa_432.035
das Verharren im Versus spondiacus dar. Man vergleiche z. B. folgende pwa_432.036
Hexameter von A. W. von Schlegel (LB 2, 1308, 5 fgg.): "Wie pwa_432.037
vom Okeanos quellend, dem weithin strömenden Herscher, Alle pwa_432.038
Gewässer auf Erden entrieselen oder entbrausen. Wie oft Seefahrt pwa_432.039
kaum vorrückt, mühvolleres Rudern Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich pwa_432.040
der Wog' Abgründe Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen pwa_432.041
schaukelnd dahinreisst: So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger

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dactylisch oder anapästisch. Indessen haben dann doch die einzelnen pwa_432.002
Rhythmen jeder wieder seinen individuellen Character, und die pwa_432.003
eine Zusammenstellung von Längen und Kürzen, von betonten und pwa_432.004
unbetonten Silben bezeichnet und malt mehr die Bewegung, die andere pwa_432.005
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Gleichmässigkeit beruhigten, steigende, d. h. solche, die mit einer kurzen pwa_432.012
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hinter einander stehn, malen sie eine grössere Bewegung als nur eine. pwa_432.015
Ein schwebender Fuss aber von zwei Längen oder zwei Tönen bezeichnet pwa_432.016
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Combinationen und Ausbildungen sind) in folgender Weise ordnen: pwa_432.019
Feste Ruhe stellt der Spondeus dar; beruhigten Fortschritt der Trochaeus, pwa_432.020
weniger beruhigten der Dactylus; bewegten Fortschritt der pwa_432.021
Iambus, noch bewegteren der Anapäst. Diese Auffassung wird durchaus pwa_432.022
bestätigt durch die Verschiedenheit der Dichtungsarten, denen die pwa_432.023
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erreicht hat, braucht den bewegten Iambus und den noch bewegteren pwa_432.026
Anapäst das Drama, jenen in dem halb lyrischen Dialog, pwa_432.027
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Dactylus das gleichmässig fort erzählende Epos; es untermischt pwa_432.029
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vom Okeanos quellend, dem weithin strömenden Herscher, Alle pwa_432.038
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[432/0450] pwa_432.001 dactylisch oder anapästisch. Indessen haben dann doch die einzelnen pwa_432.002 Rhythmen jeder wieder seinen individuellen Character, und die pwa_432.003 eine Zusammenstellung von Längen und Kürzen, von betonten und pwa_432.004 unbetonten Silben bezeichnet und malt mehr die Bewegung, die andere pwa_432.005 mehr die Ruhe. Bei dieser Unterscheidung des characteristischen pwa_432.006 Ausdruckes kommt es lediglich auf die Stelle an, welche die betonte pwa_432.007 oder die lange Silbe einnimmt, ob sie die vordere oder die hintere pwa_432.008 ist, und auf die Zahl der kurzen oder unbetonten Silben, die ihr pwa_432.009 beigegeben sind. Fallende Füsse, d. h. solche, welche mit einer langen pwa_432.010 oder einer betonten Silbe beginnen, bezeichnen einen in sich selbst durch pwa_432.011 Gleichmässigkeit beruhigten, steigende, d. h. solche, die mit einer kurzen pwa_432.012 oder einer unbetonten Silbe anheben, einen bewegteren Fortschritt; pwa_432.013 und wo in solch einem Fuss zwei unbetonte oder zwei kurze Silben pwa_432.014 hinter einander stehn, malen sie eine grössere Bewegung als nur eine. pwa_432.015 Ein schwebender Fuss aber von zwei Längen oder zwei Tönen bezeichnet pwa_432.016 die fest und schwer verharrende Ruhe. Wir können demgemäss pwa_432.017 die gebräuchlichsten Rhythmen, (von denen die übrigen nur weitere pwa_432.018 Combinationen und Ausbildungen sind) in folgender Weise ordnen: pwa_432.019 Feste Ruhe stellt der Spondeus dar; beruhigten Fortschritt der Trochaeus, pwa_432.020 weniger beruhigten der Dactylus; bewegten Fortschritt der pwa_432.021 Iambus, noch bewegteren der Anapäst. Diese Auffassung wird durchaus pwa_432.022 bestätigt durch die Verschiedenheit der Dichtungsarten, denen die pwa_432.023 einzelnen Füsse zufallen, und die Art und Weise, wie sie da verwendet pwa_432.024 werden: in der antiken Poesie, wo die Form die höchste Vollendung pwa_432.025 erreicht hat, braucht den bewegten Iambus und den noch bewegteren pwa_432.026 Anapäst das Drama, jenen in dem halb lyrischen Dialog, pwa_432.027 diesen im ganz lyrischen Vortrage des Chores; den ruhiger fortschreitenden pwa_432.028 Dactylus das gleichmässig fort erzählende Epos; es untermischt pwa_432.029 ihn aber, um die Bewegung noch mehr zu beruhigen, mit den minder pwa_432.030 bewegten Trochäen (bei Homer finden sich genug Trochäen) und den pwa_432.031 ganz fest ruhenden Spondeen; einen je schnelleren Fortschritt der pwa_432.032 epische Hexameter bezeichnen soll, desto mehr Dactylen hat er; ein pwa_432.033 je festeres und schwereres Verharren er bezeichnen soll, desto mehr pwa_432.034 Spondeen enthält er auch. Am festesten und schwersten stellt sich pwa_432.035 das Verharren im Versus spondiacus dar. Man vergleiche z. B. folgende pwa_432.036 Hexameter von A. W. von Schlegel (LB 2, 1308, 5 fgg.): „Wie pwa_432.037 vom Okeanos quellend, dem weithin strömenden Herscher, Alle pwa_432.038 Gewässer auf Erden entrieselen oder entbrausen. Wie oft Seefahrt pwa_432.039 kaum vorrückt, mühvolleres Rudern Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich pwa_432.040 der Wog' Abgründe Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen pwa_432.041 schaukelnd dahinreisst: So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/450>, abgerufen am 22.11.2024.