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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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zusammen, z. B. "milde Erquickung;" ein stummes e und ein betonter pwa_437.002
Vocal, z. B. "leise Athmung;" zwei betonte Vocale, z. B. "treu ausharrender pwa_437.003
Sinn." Diese Beispiele geben eine Stufenfolge vom Unerlaubten pwa_437.004
zum Nichtverbotenen bis zum Erlaubten. "Milde Erquickung" ist lediglich pwa_437.005
fehlerhaft und durchaus zu vermeiden; "leise Athmung" ist weder pwa_437.006
ganz hässlich noch auch ganz schön; vermeidet man dergleichen, so pwa_437.007
ist es gut; erlaubt man sichs, so schadets auch nicht; "treu ausharrender pwa_437.008
Sinn" endlich ist für unser Ohr und nach unserem Gebrauche durchaus pwa_437.009
fehlerlos. "Milde Erquickung" würde nur apocopiert, wenn milde pwa_437.010
nicht Adjectiv wäre; "leise Athmung" nur, wenn der zweite Vocal nicht pwa_437.011
betont wäre; bei den Worten "treu ausharrender Sinn" endlich ist pwa_437.012
keine Apocope möglich.

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Die bisher besprochenen Vocaltilgungen sind erst mit dem Mittelhochdeutschen, pwa_437.014
seit dem zwölften Jahrhundert aufgekommen, da es pwa_437.015
erst seit dieser Zeit stumme e giebt. Das Althochdeutsche kennt die pwa_437.016
Apocope nicht, da es kein stummes e hatte; nichtsdestoweniger nahm pwa_437.017
man schon damals Anstoss am Hiatus, wie die Griechen und die pwa_437.018
Römer am Zusammenstossen auch voller lautender Vocale. Das Mittel pwa_437.019
zur Beseitigung war auch antiker Art: man half sich nicht durch Tilgung pwa_437.020
des einen oder andern Vocals, da jeder zu klangreich war; es pwa_437.021
trat vielmehr eine Verschmelzung, eine Synaloephe ein; es entstand pwa_437.022
ein Mischlaut, der beide Vocale in sich schloss, jedoch so, dass bald pwa_437.023
dieser, bald jener überwog. Eine klare Einsicht in das Wesen der pwa_437.024
altdeutschen Synaloephe verdanken wir den Handschriften von Otfrieds pwa_437.025
Evangelienharmonie: sie setzen unter den Vocal, der am meisten zurücktritt, pwa_437.026
einen Punct, ein Zeichen also, das sonst im Mittelalter, gleich pwa_437.027
unserem Strich, die Tilgung bezeichnet. Dass aber mit dem Puncte pwa_437.028
eine Synaloephe gemeint sei, das bezeugt Otfried selbst in der lateinisch pwa_437.029
geschriebenen Vorrede seines Gedichtes.

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Nachdem wir im Vorhergehenden die Vermeidung des Misslautes pwa_437.031
erörtert haben, betrachten wir nun noch die positiven Mittel zur pwa_437.032
Beförderung des Wohllautes.

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Ein solches Mittel kennen wir bereits, wir haben es schon früher pwa_437.034
(S. 379) besprochen und werden es nachher (S. 442) noch einmal zu pwa_437.035
berühren haben: die Anwendung characteristisch malerischer Laute pwa_437.036
und Worte. Ein anderes bietet sich jetzt erst unserer Betrachtung pwa_437.037
dar, nämlich die Ausschmückung der Verse durch wiederkehrenden pwa_437.038
Gleichlaut. Hierüber ist Folgendes zu bemerken.

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Der künstlerische Rhythmus der poetischen Rede kann auf zweierlei pwa_437.040
Wegen bewerkstelligt werden; auf dem einen beachtet man den Laut, pwa_437.041
auf dem andern den Ton der Worte; auf dem einen ihre Quantität,

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zusammen, z. B. „milde Erquickung;“ ein stummes e und ein betonter pwa_437.002
Vocal, z. B. „leise Athmung;“ zwei betonte Vocale, z. B. „treu ausharrender pwa_437.003
Sinn.“ Diese Beispiele geben eine Stufenfolge vom Unerlaubten pwa_437.004
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fehlerhaft und durchaus zu vermeiden; „leise Athmung“ ist weder pwa_437.006
ganz hässlich noch auch ganz schön; vermeidet man dergleichen, so pwa_437.007
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Sinn“ endlich ist für unser Ohr und nach unserem Gebrauche durchaus pwa_437.009
fehlerlos. „Milde Erquickung“ würde nur apocopiert, wenn milde pwa_437.010
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keine Apocope möglich.

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Die bisher besprochenen Vocaltilgungen sind erst mit dem Mittelhochdeutschen, pwa_437.014
seit dem zwölften Jahrhundert aufgekommen, da es pwa_437.015
erst seit dieser Zeit stumme e giebt. Das Althochdeutsche kennt die pwa_437.016
Apocope nicht, da es kein stummes e hatte; nichtsdestoweniger nahm pwa_437.017
man schon damals Anstoss am Hiatus, wie die Griechen und die pwa_437.018
Römer am Zusammenstossen auch voller lautender Vocale. Das Mittel pwa_437.019
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des einen oder andern Vocals, da jeder zu klangreich war; es pwa_437.021
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ein Mischlaut, der beide Vocale in sich schloss, jedoch so, dass bald pwa_437.023
dieser, bald jener überwog. Eine klare Einsicht in das Wesen der pwa_437.024
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Evangelienharmonie: sie setzen unter den Vocal, der am meisten zurücktritt, pwa_437.026
einen Punct, ein Zeichen also, das sonst im Mittelalter, gleich pwa_437.027
unserem Strich, die Tilgung bezeichnet. Dass aber mit dem Puncte pwa_437.028
eine Synaloephe gemeint sei, das bezeugt Otfried selbst in der lateinisch pwa_437.029
geschriebenen Vorrede seines Gedichtes.

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Nachdem wir im Vorhergehenden die Vermeidung des Misslautes pwa_437.031
erörtert haben, betrachten wir nun noch die positiven Mittel zur pwa_437.032
Beförderung des Wohllautes.

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Ein solches Mittel kennen wir bereits, wir haben es schon früher pwa_437.034
(S. 379) besprochen und werden es nachher (S. 442) noch einmal zu pwa_437.035
berühren haben: die Anwendung characteristisch malerischer Laute pwa_437.036
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dar, nämlich die Ausschmückung der Verse durch wiederkehrenden pwa_437.038
Gleichlaut. Hierüber ist Folgendes zu bemerken.

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Der künstlerische Rhythmus der poetischen Rede kann auf zweierlei pwa_437.040
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/455>, abgerufen am 22.11.2024.