Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_443.001 pwa_443.011 pwa_443.020 3. DER STIL DES GEFÜHLS. pwa_443.021 pwa_443.038 pwa_443.001 pwa_443.011 pwa_443.020 3. DER STIL DES GEFÜHLS. pwa_443.021 pwa_443.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0461" n="443"/><lb n="pwa_443.001"/> Allitteration: „Erschien mit <hi rendition="#i">j</hi>edem <hi rendition="#i">j</hi>ungen <hi rendition="#i">J</hi>ahr.“ Ja die Dichter <lb n="pwa_443.002"/> brauchen ausser der häufigen Wiederholung noch andere Hilfsmittel, <lb n="pwa_443.003"/> um das Ohr zum Hören zu zwingen: es muss, wie in den angeführten <lb n="pwa_443.004"/> Beispielen von Schiller und Bürger, noch die Epizeuxis und die Anapher <lb n="pwa_443.005"/> hinzukommen. Jedenfalls haben in solcher Anwendung Assonanz und <lb n="pwa_443.006"/> Allitteration einen ganz anderen Zweck, als der ihnen eigentlich zugehört: <lb n="pwa_443.007"/> denn hier dienen sie nur noch der Sinnlichkeit für das Gehör, <lb n="pwa_443.008"/> wie ja auch Ennius dort mit einem sonst begrifflosen Worte nur den <lb n="pwa_443.009"/> Ton der Trompete onomatopoetisch nachahmt. Tiefer geht die Bedeutung <lb n="pwa_443.010"/> nicht.</p> <p><lb n="pwa_443.011"/> Zum Schluss dieses Abschnittes mag noch auf Rückerts 39. Makame, <lb n="pwa_443.012"/> der Schulmeister von Hims, hingewiesen werden, einmal um der Makamenform <lb n="pwa_443.013"/> willen, dann aber auch, weil sie sonst allerhand enthält, was <lb n="pwa_443.014"/> als Beispiel und Zeugniss für manches bisher Besprochene zu brauchen <lb n="pwa_443.015"/> ist: sie verspottet z. B. in ergötzlicher Weise die sächsischen und <lb n="pwa_443.016"/> schwäbischen Provincialfehler in der Aussprache der Consonanten und <lb n="pwa_443.017"/> Diphthonge und liefert zahlreiche Belege für den Neologismus, das <lb n="pwa_443.018"/> Wortspiel, die Allitteration, die Epiphora, die Epanalepsis, das Polyptoton <lb n="pwa_443.019"/> und die Annominatio im Reime (LB. 2, 1588).</p> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c"><lb n="pwa_443.020"/> 3. DER STIL DES GEFÜHLS.</hi> </head> <p><lb n="pwa_443.021"/> Die erste Art und Weise der äusseren Darstellung, der niedere <lb n="pwa_443.022"/> Stil, ist, wie wir gesehen haben (S. 318), die Redeform des Verstandes, <lb n="pwa_443.023"/> sein Ziel ist die Deutlichkeit, sein Gebiet die gesammte Prosa mit <lb n="pwa_443.024"/> Ausschluss der rednerischen. Die zweite Art, der mittlere Stil, dient <lb n="pwa_443.025"/> der Production und der Reproduction durch die Einbildungskraft, bei <lb n="pwa_443.026"/> ihm kommt es demnach an auf Anschaulichkeit, er findet sich in der <lb n="pwa_443.027"/> gesammten Poesie mit Ausschluss allein der lyrischen. Nun ist noch <lb n="pwa_443.028"/> von der dritten Art zu handeln, dem sogenannten <hi rendition="#i">höheren</hi> Stil. Er <lb n="pwa_443.029"/> ist die Form der Darstellung für solche Werke, die ihren Grund und <lb n="pwa_443.030"/> Boden oder doch Ziel und Zweck in der dritten Seelenkraft haben, <lb n="pwa_443.031"/> welche hier in Betracht kommen kann, nämlich im <hi rendition="#b">Gefühl.</hi> Wenn <lb n="pwa_443.032"/> sich aber in der Gestaltung der Sprache das bewegte Gefühl des <lb n="pwa_443.033"/> Sprechenden abspiegeln, und wenn durch dieselbe das Gefühl des <lb n="pwa_443.034"/> Hörenden gleichermassen soll bewegt und angeregt werden, wenn sie <lb n="pwa_443.035"/> ebensowohl ein Ausdruck des Gefühls sein, als auf das Gefühl Eindruck <lb n="pwa_443.036"/> machen soll, so muss sie leidenschaftlich sein; mithin ist der <lb n="pwa_443.037"/> Character dieser dritten Stilart die <hi rendition="#b">Leidenschaftlichkeit.</hi></p> <p><lb n="pwa_443.038"/> Es ist jedoch bereits früherhin (S. 322) ausgeführt worden, wie die <lb n="pwa_443.039"/> Anforderungen, die man an eine niedere Stufe des Stils macht, sich </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [443/0461]
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Allitteration: „Erschien mit jedem jungen Jahr.“ Ja die Dichter pwa_443.002
brauchen ausser der häufigen Wiederholung noch andere Hilfsmittel, pwa_443.003
um das Ohr zum Hören zu zwingen: es muss, wie in den angeführten pwa_443.004
Beispielen von Schiller und Bürger, noch die Epizeuxis und die Anapher pwa_443.005
hinzukommen. Jedenfalls haben in solcher Anwendung Assonanz und pwa_443.006
Allitteration einen ganz anderen Zweck, als der ihnen eigentlich zugehört: pwa_443.007
denn hier dienen sie nur noch der Sinnlichkeit für das Gehör, pwa_443.008
wie ja auch Ennius dort mit einem sonst begrifflosen Worte nur den pwa_443.009
Ton der Trompete onomatopoetisch nachahmt. Tiefer geht die Bedeutung pwa_443.010
nicht.
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Zum Schluss dieses Abschnittes mag noch auf Rückerts 39. Makame, pwa_443.012
der Schulmeister von Hims, hingewiesen werden, einmal um der Makamenform pwa_443.013
willen, dann aber auch, weil sie sonst allerhand enthält, was pwa_443.014
als Beispiel und Zeugniss für manches bisher Besprochene zu brauchen pwa_443.015
ist: sie verspottet z. B. in ergötzlicher Weise die sächsischen und pwa_443.016
schwäbischen Provincialfehler in der Aussprache der Consonanten und pwa_443.017
Diphthonge und liefert zahlreiche Belege für den Neologismus, das pwa_443.018
Wortspiel, die Allitteration, die Epiphora, die Epanalepsis, das Polyptoton pwa_443.019
und die Annominatio im Reime (LB. 2, 1588).
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3. DER STIL DES GEFÜHLS. pwa_443.021
Die erste Art und Weise der äusseren Darstellung, der niedere pwa_443.022
Stil, ist, wie wir gesehen haben (S. 318), die Redeform des Verstandes, pwa_443.023
sein Ziel ist die Deutlichkeit, sein Gebiet die gesammte Prosa mit pwa_443.024
Ausschluss der rednerischen. Die zweite Art, der mittlere Stil, dient pwa_443.025
der Production und der Reproduction durch die Einbildungskraft, bei pwa_443.026
ihm kommt es demnach an auf Anschaulichkeit, er findet sich in der pwa_443.027
gesammten Poesie mit Ausschluss allein der lyrischen. Nun ist noch pwa_443.028
von der dritten Art zu handeln, dem sogenannten höheren Stil. Er pwa_443.029
ist die Form der Darstellung für solche Werke, die ihren Grund und pwa_443.030
Boden oder doch Ziel und Zweck in der dritten Seelenkraft haben, pwa_443.031
welche hier in Betracht kommen kann, nämlich im Gefühl. Wenn pwa_443.032
sich aber in der Gestaltung der Sprache das bewegte Gefühl des pwa_443.033
Sprechenden abspiegeln, und wenn durch dieselbe das Gefühl des pwa_443.034
Hörenden gleichermassen soll bewegt und angeregt werden, wenn sie pwa_443.035
ebensowohl ein Ausdruck des Gefühls sein, als auf das Gefühl Eindruck pwa_443.036
machen soll, so muss sie leidenschaftlich sein; mithin ist der pwa_443.037
Character dieser dritten Stilart die Leidenschaftlichkeit.
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Es ist jedoch bereits früherhin (S. 322) ausgeführt worden, wie die pwa_443.039
Anforderungen, die man an eine niedere Stufe des Stils macht, sich
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