Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_447.001 pwa_447.015 pwa_447.032 pwa_447.001 pwa_447.015 pwa_447.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0465" n="447"/><lb n="pwa_447.001"/> mit sich bringen. Der höheren Art des rednerischen Stiles gehören <lb n="pwa_447.002"/> die meisten Predigten von Herder und, bloss stilistisch betrachtet, von <lb n="pwa_447.003"/> Reinhard an, der mittleren die von Schleiermacher, der niederen endlich <lb n="pwa_447.004"/> die von Balthasar Schuppius und von Abraham a S. Clara. Die <lb n="pwa_447.005"/> beiden letzteren werden noch durch eine sie besonders bezeichnende <lb n="pwa_447.006"/> Eigenthümlichkeit auf dieser Stufe festgehalten: beide sind voll von <lb n="pwa_447.007"/> Witz und Spott und Laune, d. h. von solchen Aeusserungsweisen des <lb n="pwa_447.008"/> Verstandes und des Gefühles, wie sie auf einer höheren Stufe nicht <lb n="pwa_447.009"/> mehr möglich sind. Nur war Abraham a S. Clara ein in seiner Art <lb n="pwa_447.010"/> sehr belesener Barfüssermönch, Schuppius dagegen ein gelehrter protestantischer <lb n="pwa_447.011"/> Geistlicher: darum ist auch die Komik Abrahams derber, <lb n="pwa_447.012"/> die des Schuppius feiner. Sonst haben sie viel Uebereinstimmendes, <lb n="pwa_447.013"/> wie sie denn auch derselben Periode unserer Litteratur angehören: <lb n="pwa_447.014"/> Schuppius lebte von 1610–1661, Abraham von 1642–1709.</p> <p><lb n="pwa_447.015"/> Will man auch bei der rednerischen Prosa eine Unterscheidung <lb n="pwa_447.016"/> mit Bezug auf die einzelnen Arten treffen, so könnte man allenfalls <lb n="pwa_447.017"/> auf die niedere Stufe die sogenannte Homilie, auf die mittlere die <lb n="pwa_447.018"/> weltliche Rede, auf die höhere die Predigt im engeren Sinne dieses <lb n="pwa_447.019"/> Wortes stellen. In der That kann sich auch eine eigentliche Homilie <lb n="pwa_447.020"/> nie über jene niedere Stufe erheben: dahin wird sie gewiesen sowohl <lb n="pwa_447.021"/> durch die einfach verständige Deutlichkeit, die von ihr gefordert wird, <lb n="pwa_447.022"/> als durch das enge, wenig Freiheit lassende Anschliessen an den Faden <lb n="pwa_447.023"/> des gegebenen Textes, das ihr eigenthümlich ist, und durch den Fortschritt <lb n="pwa_447.024"/> einer Entwickelung von gleichsam epischer Art. Dass dann <lb n="pwa_447.025"/> auf der anderen Seite die Predigt wiederum über die weltliche Rede <lb n="pwa_447.026"/> sich erheben, dass sie auf dem Gipfelpunct der Beredsamkeit stehn <lb n="pwa_447.027"/> kann und stehn sollte, das folgt von selber daraus, dass sie eben eine <lb n="pwa_447.028"/> Predigt, eine geistliche Rede ist, der Gegenstände und Zwecke hoch <lb n="pwa_447.029"/> und weit hinaus über alle weltliche Beredsamkeit liegen, ebenso hoch <lb n="pwa_447.030"/> und weit, als sich dort die Ode und der Hymnus über das gewöhnliche <lb n="pwa_447.031"/> Lied erheben.</p> <p><lb n="pwa_447.032"/> Vom mittleren und höheren Stil der Rede ist es unnütz, Beispiele <lb n="pwa_447.033"/> anzuführen, da diese beiden Arten die gewöhnlichen sind. Bei Abraham <lb n="pwa_447.034"/> und Schuppius scheint es eher am Platze, um so mehr, da ihre Werke <lb n="pwa_447.035"/> nicht zu den gangbaren gehören und namentlich Schuppius selten ist. <lb n="pwa_447.036"/> Von ersterem kommt besonders in Betracht die Türkenpredigt von <lb n="pwa_447.037"/> 1683, die auch historisches und litterarisches Interesse darbietet, insofern <lb n="pwa_447.038"/> sie die Hauptquelle für die Wortspiele des Capuziners in Wallensteins <lb n="pwa_447.039"/> Lager ist (LB. 3, 1, 891). Vgl. S. 393. Von Schuppius verdient hier <lb n="pwa_447.040"/> besonders eine academische Rede hervorgehoben zu werden, die z. B. <lb n="pwa_447.041"/> auch als Muster der Ironie und namentlich als ironische Anweisung eben </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [447/0465]
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mit sich bringen. Der höheren Art des rednerischen Stiles gehören pwa_447.002
die meisten Predigten von Herder und, bloss stilistisch betrachtet, von pwa_447.003
Reinhard an, der mittleren die von Schleiermacher, der niederen endlich pwa_447.004
die von Balthasar Schuppius und von Abraham a S. Clara. Die pwa_447.005
beiden letzteren werden noch durch eine sie besonders bezeichnende pwa_447.006
Eigenthümlichkeit auf dieser Stufe festgehalten: beide sind voll von pwa_447.007
Witz und Spott und Laune, d. h. von solchen Aeusserungsweisen des pwa_447.008
Verstandes und des Gefühles, wie sie auf einer höheren Stufe nicht pwa_447.009
mehr möglich sind. Nur war Abraham a S. Clara ein in seiner Art pwa_447.010
sehr belesener Barfüssermönch, Schuppius dagegen ein gelehrter protestantischer pwa_447.011
Geistlicher: darum ist auch die Komik Abrahams derber, pwa_447.012
die des Schuppius feiner. Sonst haben sie viel Uebereinstimmendes, pwa_447.013
wie sie denn auch derselben Periode unserer Litteratur angehören: pwa_447.014
Schuppius lebte von 1610–1661, Abraham von 1642–1709.
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Will man auch bei der rednerischen Prosa eine Unterscheidung pwa_447.016
mit Bezug auf die einzelnen Arten treffen, so könnte man allenfalls pwa_447.017
auf die niedere Stufe die sogenannte Homilie, auf die mittlere die pwa_447.018
weltliche Rede, auf die höhere die Predigt im engeren Sinne dieses pwa_447.019
Wortes stellen. In der That kann sich auch eine eigentliche Homilie pwa_447.020
nie über jene niedere Stufe erheben: dahin wird sie gewiesen sowohl pwa_447.021
durch die einfach verständige Deutlichkeit, die von ihr gefordert wird, pwa_447.022
als durch das enge, wenig Freiheit lassende Anschliessen an den Faden pwa_447.023
des gegebenen Textes, das ihr eigenthümlich ist, und durch den Fortschritt pwa_447.024
einer Entwickelung von gleichsam epischer Art. Dass dann pwa_447.025
auf der anderen Seite die Predigt wiederum über die weltliche Rede pwa_447.026
sich erheben, dass sie auf dem Gipfelpunct der Beredsamkeit stehn pwa_447.027
kann und stehn sollte, das folgt von selber daraus, dass sie eben eine pwa_447.028
Predigt, eine geistliche Rede ist, der Gegenstände und Zwecke hoch pwa_447.029
und weit hinaus über alle weltliche Beredsamkeit liegen, ebenso hoch pwa_447.030
und weit, als sich dort die Ode und der Hymnus über das gewöhnliche pwa_447.031
Lied erheben.
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Vom mittleren und höheren Stil der Rede ist es unnütz, Beispiele pwa_447.033
anzuführen, da diese beiden Arten die gewöhnlichen sind. Bei Abraham pwa_447.034
und Schuppius scheint es eher am Platze, um so mehr, da ihre Werke pwa_447.035
nicht zu den gangbaren gehören und namentlich Schuppius selten ist. pwa_447.036
Von ersterem kommt besonders in Betracht die Türkenpredigt von pwa_447.037
1683, die auch historisches und litterarisches Interesse darbietet, insofern pwa_447.038
sie die Hauptquelle für die Wortspiele des Capuziners in Wallensteins pwa_447.039
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besonders eine academische Rede hervorgehoben zu werden, die z. B. pwa_447.041
auch als Muster der Ironie und namentlich als ironische Anweisung eben
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