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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Reproduction Gefühl und Gemüth besonders in Anspruch zu nehmen: pwa_033.002
deshalb auch fehlt seinen Gedichten oft der scharf abschneidende pwa_033.003
Schluss, sie endigen oft so zu sagen mit einem Gedankenstrich, nicht pwa_033.004
mit einem Punkt; er will dem Gefühl des Hörers Raum geben, noch pwa_033.005
über den Schluss des Gedichtes hinaus zu sinnen und sich immer pwa_033.006
tiefer in Lust oder Wehmuth zu versenken; er schlägt den letzten pwa_033.007
Ton eben nur an, damit er im Hörer noch geraume Zeit nachhalle pwa_033.008
und wiederklinge, und so in diesem und durch diesen selbst das Ganze pwa_033.009
seinen vollen Abschluss erhalte.

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Wir haben nun noch die letzte Bestimmung in der früher aufgestellten pwa_033.011
Definition der Poesie zu erörtern, die Bestimmung nämlich, pwa_033.012
dass sie auch eine schöne Darstellung sei, nicht bloss Darstellung des pwa_033.013
Schönen, sondern auch eine schöne Darstellung desselben.

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Schönheit der Darstellung wird erreicht, wenn auch deren Mittel, pwa_033.015
die Sprache, die Worte dem Gesetz der Schönheit unterworfen sind, pwa_033.016
wenn auch in ihnen Einheit des Mannigfaltigen waltet. Diess Gesetz pwa_033.017
wird am deutlichsten ausgeprägt und beherrscht die Rede am sichersten pwa_033.018
durch rhythmische Gliederung derselben. Die Worte müssen pwa_033.019
erstens nach einem gewissen Rhythmus geordnet sein, d. h. da Rhythmus pwa_033.020
überall vorhanden, wo ein Wechsel von Gegensätzen regelmässig pwa_033.021
wiederkehrt, so muss auch hier ein solcher sich wiederholender Wechsel pwa_033.022
und zwar hier von hörbaren Gegensätzen stattfinden, ein Wechsel pwa_033.023
je nach der Sprache von langen und kurzen, oder von betonten und pwa_033.024
unbetonten Silben. Damit ist der Anforderung der Mannigfaltigkeit pwa_033.025
schon Genüge geleistet, zum Theil auch, da der Gegensatz gleichmässig pwa_033.026
wiederkehrt, der Einheit. Vollkommene Einheit aber wird pwa_033.027
erst dadurch erzielt, dass man die rhythmisch geordnete Rede auch pwa_033.028
gliedert, dass man sie in abgeschlossene überschauliche Reihen zerlegt, pwa_033.029
die ein bestimmtes Mass von Wiederholungen jener Gegensätze pwa_033.030
in sich befassen, dass man sie in Verse vertheilt und etwa die Verse pwa_033.031
wieder zu Strophen verbindet. Man giebt der Rede metrische Gestalt. pwa_033.032
Die metrische Gestalt ist es, die von jeher die Verbindung vermittelt pwa_033.033
und erhalten hat zwischen der Poesie und der Musik und dem Tanze, pwa_033.034
diesen dreien ihre Darstellungen nach und nach vorführenden Künsten. pwa_033.035
So lange diese Verbindung bestand, hat auch immer die metrische pwa_033.036
Form der poetischen Darstellung unbezweifelt und unverkümmert gegolten; pwa_033.037
erst wenn Poesie und Musik sich getrennt haben oder zu trennen pwa_033.038
beginnen und damit diese äussere Nöthigung zur metrischen Form pwa_033.039
weggefallen ist, ist deren Beachtung minder allgültig geworden, und pwa_033.040
so haben sich denn Undinge bilden können, wie die prosaische Poesie pwa_033.041
und die poetische Prosa. Es sind dann z. B. bei Griechen wie bei

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Reproduction Gefühl und Gemüth besonders in Anspruch zu nehmen: pwa_033.002
deshalb auch fehlt seinen Gedichten oft der scharf abschneidende pwa_033.003
Schluss, sie endigen oft so zu sagen mit einem Gedankenstrich, nicht pwa_033.004
mit einem Punkt; er will dem Gefühl des Hörers Raum geben, noch pwa_033.005
über den Schluss des Gedichtes hinaus zu sinnen und sich immer pwa_033.006
tiefer in Lust oder Wehmuth zu versenken; er schlägt den letzten pwa_033.007
Ton eben nur an, damit er im Hörer noch geraume Zeit nachhalle pwa_033.008
und wiederklinge, und so in diesem und durch diesen selbst das Ganze pwa_033.009
seinen vollen Abschluss erhalte.

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Wir haben nun noch die letzte Bestimmung in der früher aufgestellten pwa_033.011
Definition der Poesie zu erörtern, die Bestimmung nämlich, pwa_033.012
dass sie auch eine schöne Darstellung sei, nicht bloss Darstellung des pwa_033.013
Schönen, sondern auch eine schöne Darstellung desselben.

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Schönheit der Darstellung wird erreicht, wenn auch deren Mittel, pwa_033.015
die Sprache, die Worte dem Gesetz der Schönheit unterworfen sind, pwa_033.016
wenn auch in ihnen Einheit des Mannigfaltigen waltet. Diess Gesetz pwa_033.017
wird am deutlichsten ausgeprägt und beherrscht die Rede am sichersten pwa_033.018
durch rhythmische Gliederung derselben. Die Worte müssen pwa_033.019
erstens nach einem gewissen Rhythmus geordnet sein, d. h. da Rhythmus pwa_033.020
überall vorhanden, wo ein Wechsel von Gegensätzen regelmässig pwa_033.021
wiederkehrt, so muss auch hier ein solcher sich wiederholender Wechsel pwa_033.022
und zwar hier von hörbaren Gegensätzen stattfinden, ein Wechsel pwa_033.023
je nach der Sprache von langen und kurzen, oder von betonten und pwa_033.024
unbetonten Silben. Damit ist der Anforderung der Mannigfaltigkeit pwa_033.025
schon Genüge geleistet, zum Theil auch, da der Gegensatz gleichmässig pwa_033.026
wiederkehrt, der Einheit. Vollkommene Einheit aber wird pwa_033.027
erst dadurch erzielt, dass man die rhythmisch geordnete Rede auch pwa_033.028
gliedert, dass man sie in abgeschlossene überschauliche Reihen zerlegt, pwa_033.029
die ein bestimmtes Mass von Wiederholungen jener Gegensätze pwa_033.030
in sich befassen, dass man sie in Verse vertheilt und etwa die Verse pwa_033.031
wieder zu Strophen verbindet. Man giebt der Rede metrische Gestalt. pwa_033.032
Die metrische Gestalt ist es, die von jeher die Verbindung vermittelt pwa_033.033
und erhalten hat zwischen der Poesie und der Musik und dem Tanze, pwa_033.034
diesen dreien ihre Darstellungen nach und nach vorführenden Künsten. pwa_033.035
So lange diese Verbindung bestand, hat auch immer die metrische pwa_033.036
Form der poetischen Darstellung unbezweifelt und unverkümmert gegolten; pwa_033.037
erst wenn Poesie und Musik sich getrennt haben oder zu trennen pwa_033.038
beginnen und damit diese äussere Nöthigung zur metrischen Form pwa_033.039
weggefallen ist, ist deren Beachtung minder allgültig geworden, und pwa_033.040
so haben sich denn Undinge bilden können, wie die prosaische Poesie pwa_033.041
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/51>, abgerufen am 21.11.2024.