pwa_034.001 Deutschen an die Stelle der gesungenen und darum in Versen abgefassten pwa_034.002 Heldengedichte die bloss zum Lesen bestimmten prosaischen pwa_034.003 Romane getreten, und so giebt es auch prosaische Dramen. Sieht pwa_034.004 man jedoch von solchen einzelnen, freilich sanctionierten Begriffswidrigkeiten pwa_034.005 ab, so ist der Poesie nach wie vor das Bedürfniss der pwa_034.006 metrischen Form geblieben, und man findet die rhythmische Ordnung pwa_034.007 und Gliederung der Rede auch da erforderlich, wo dieselbe nicht pwa_034.008 mehr zur Verknüpfung mit andern Künsten dienen kann, wie in der pwa_034.009 gesanglosen Lyrik: denn sie beruht auch nicht grade bloss auf solchen pwa_034.010 äussern Zweckbeziehungen, sondern vielmehr auf dem Princip, pwa_034.011 das jede künstlerische Production von innen heraus beleben und gestalten pwa_034.012 soll, dem Princip der Schönheit.
pwa_034.013 Noch ist auf die eigenthümliche Stellung aufmerksam zu machen, pwa_034.014 welche die metrische Form gegenüber der poetischen Anschauung und pwa_034.015 dem sprachlichen Material der Darstellung einnimmt. Die Anschauung pwa_034.016 ist eine bewegte, vorwärts schreitende, ebenso die Rede, aber nicht pwa_034.017 ebenso die metrische Form: diese beharrt in demselben Wechsel derselben pwa_034.018 Gegensätze, sie verweilt in dem gleichen Rhythmus, es kehrt pwa_034.019 die gleiche Versart, das gleiche Strophengebäude immer und immer pwa_034.020 wieder. Dieser Widerstand, welchen somit die metrische Form dem pwa_034.021 Strom der Rede entgegenstellt, ist nicht ohne Bedeutung: auch so pwa_034.022 wird auf einem neuen Wege dem Princip der Kunst genügt: das pwa_034.023 fixierte Metrum gegenüber der wandelbaren Rede ist wiederum die pwa_034.024 Einheit über der Mannigfaltigkeit. Welche Gesetze über die Wahl pwa_034.025 der jedesmaligen metrischen Form sich aus diesem Verhältniss derselben pwa_034.026 zu der anderweitigen Darstellung ergeben, davon besser späterhin, pwa_034.027 wo von den einzelnen Gattungen der Poesie die Rede sein wird.
pwa_034.028 Hier soll endlich nur noch diess Eine beachtet und betrachtet pwa_034.029 werden, wie der früher bezeichnete Unterschied antiker und moderner pwa_034.030 Kunst sich bis auf die metrische Form der Darstellung erstrecke. In pwa_034.031 der antiken Kunst beherrscht, wie wir gesehen, die Einheit die Mannigfaltigkeit; pwa_034.032 in der modernen Kunst dagegen wird die Einheit von pwa_034.033 der Mannigfaltigkeit verdeckt. Die antike Simplicität zeigt sich auch pwa_034.034 in der antiken Verskunst, während die modernen metrischen Formen pwa_034.035 der Simplicität ermangeln. Den Griechen genügt der Rhythmus, genügt pwa_034.036 der Wechsel von Längen und Kürzen; die ganze moderne Poesie pwa_034.037 verlangt ausser dem einfachen Rhythmus der poetischen Rede noch pwa_034.038 eine bunte Ausschmückung derselben, die Allitteration, die Assonanz, pwa_034.039 den Reim. Den Reim, welchen die Deutschen und die übrigen Völker pwa_034.040 von den spätern Römern entlehnten, hatten schon die früheren pwa_034.041 Römer, wenn schon er vor den erborgten griechischen Formen ihrer
pwa_034.001 Deutschen an die Stelle der gesungenen und darum in Versen abgefassten pwa_034.002 Heldengedichte die bloss zum Lesen bestimmten prosaischen pwa_034.003 Romane getreten, und so giebt es auch prosaische Dramen. Sieht pwa_034.004 man jedoch von solchen einzelnen, freilich sanctionierten Begriffswidrigkeiten pwa_034.005 ab, so ist der Poesie nach wie vor das Bedürfniss der pwa_034.006 metrischen Form geblieben, und man findet die rhythmische Ordnung pwa_034.007 und Gliederung der Rede auch da erforderlich, wo dieselbe nicht pwa_034.008 mehr zur Verknüpfung mit andern Künsten dienen kann, wie in der pwa_034.009 gesanglosen Lyrik: denn sie beruht auch nicht grade bloss auf solchen pwa_034.010 äussern Zweckbeziehungen, sondern vielmehr auf dem Princip, pwa_034.011 das jede künstlerische Production von innen heraus beleben und gestalten pwa_034.012 soll, dem Princip der Schönheit.
pwa_034.013 Noch ist auf die eigenthümliche Stellung aufmerksam zu machen, pwa_034.014 welche die metrische Form gegenüber der poetischen Anschauung und pwa_034.015 dem sprachlichen Material der Darstellung einnimmt. Die Anschauung pwa_034.016 ist eine bewegte, vorwärts schreitende, ebenso die Rede, aber nicht pwa_034.017 ebenso die metrische Form: diese beharrt in demselben Wechsel derselben pwa_034.018 Gegensätze, sie verweilt in dem gleichen Rhythmus, es kehrt pwa_034.019 die gleiche Versart, das gleiche Strophengebäude immer und immer pwa_034.020 wieder. Dieser Widerstand, welchen somit die metrische Form dem pwa_034.021 Strom der Rede entgegenstellt, ist nicht ohne Bedeutung: auch so pwa_034.022 wird auf einem neuen Wege dem Princip der Kunst genügt: das pwa_034.023 fixierte Metrum gegenüber der wandelbaren Rede ist wiederum die pwa_034.024 Einheit über der Mannigfaltigkeit. Welche Gesetze über die Wahl pwa_034.025 der jedesmaligen metrischen Form sich aus diesem Verhältniss derselben pwa_034.026 zu der anderweitigen Darstellung ergeben, davon besser späterhin, pwa_034.027 wo von den einzelnen Gattungen der Poesie die Rede sein wird.
pwa_034.028 Hier soll endlich nur noch diess Eine beachtet und betrachtet pwa_034.029 werden, wie der früher bezeichnete Unterschied antiker und moderner pwa_034.030 Kunst sich bis auf die metrische Form der Darstellung erstrecke. In pwa_034.031 der antiken Kunst beherrscht, wie wir gesehen, die Einheit die Mannigfaltigkeit; pwa_034.032 in der modernen Kunst dagegen wird die Einheit von pwa_034.033 der Mannigfaltigkeit verdeckt. Die antike Simplicität zeigt sich auch pwa_034.034 in der antiken Verskunst, während die modernen metrischen Formen pwa_034.035 der Simplicität ermangeln. Den Griechen genügt der Rhythmus, genügt pwa_034.036 der Wechsel von Längen und Kürzen; die ganze moderne Poesie pwa_034.037 verlangt ausser dem einfachen Rhythmus der poetischen Rede noch pwa_034.038 eine bunte Ausschmückung derselben, die Allitteration, die Assonanz, pwa_034.039 den Reim. Den Reim, welchen die Deutschen und die übrigen Völker pwa_034.040 von den spätern Römern entlehnten, hatten schon die früheren pwa_034.041 Römer, wenn schon er vor den erborgten griechischen Formen ihrer
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Deutschen an die Stelle der gesungenen und darum in Versen abgefassten pwa_034.002
Heldengedichte die bloss zum Lesen bestimmten prosaischen pwa_034.003
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Hier soll endlich nur noch diess Eine beachtet und betrachtet pwa_034.029
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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