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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Deutschen an die Stelle der gesungenen und darum in Versen abgefassten pwa_034.002
Heldengedichte die bloss zum Lesen bestimmten prosaischen pwa_034.003
Romane getreten, und so giebt es auch prosaische Dramen. Sieht pwa_034.004
man jedoch von solchen einzelnen, freilich sanctionierten Begriffswidrigkeiten pwa_034.005
ab, so ist der Poesie nach wie vor das Bedürfniss der pwa_034.006
metrischen Form geblieben, und man findet die rhythmische Ordnung pwa_034.007
und Gliederung der Rede auch da erforderlich, wo dieselbe nicht pwa_034.008
mehr zur Verknüpfung mit andern Künsten dienen kann, wie in der pwa_034.009
gesanglosen Lyrik: denn sie beruht auch nicht grade bloss auf solchen pwa_034.010
äussern Zweckbeziehungen, sondern vielmehr auf dem Princip, pwa_034.011
das jede künstlerische Production von innen heraus beleben und gestalten pwa_034.012
soll, dem Princip der Schönheit.

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Noch ist auf die eigenthümliche Stellung aufmerksam zu machen, pwa_034.014
welche die metrische Form gegenüber der poetischen Anschauung und pwa_034.015
dem sprachlichen Material der Darstellung einnimmt. Die Anschauung pwa_034.016
ist eine bewegte, vorwärts schreitende, ebenso die Rede, aber nicht pwa_034.017
ebenso die metrische Form: diese beharrt in demselben Wechsel derselben pwa_034.018
Gegensätze, sie verweilt in dem gleichen Rhythmus, es kehrt pwa_034.019
die gleiche Versart, das gleiche Strophengebäude immer und immer pwa_034.020
wieder. Dieser Widerstand, welchen somit die metrische Form dem pwa_034.021
Strom der Rede entgegenstellt, ist nicht ohne Bedeutung: auch so pwa_034.022
wird auf einem neuen Wege dem Princip der Kunst genügt: das pwa_034.023
fixierte Metrum gegenüber der wandelbaren Rede ist wiederum die pwa_034.024
Einheit über der Mannigfaltigkeit. Welche Gesetze über die Wahl pwa_034.025
der jedesmaligen metrischen Form sich aus diesem Verhältniss derselben pwa_034.026
zu der anderweitigen Darstellung ergeben, davon besser späterhin, pwa_034.027
wo von den einzelnen Gattungen der Poesie die Rede sein wird.

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Hier soll endlich nur noch diess Eine beachtet und betrachtet pwa_034.029
werden, wie der früher bezeichnete Unterschied antiker und moderner pwa_034.030
Kunst sich bis auf die metrische Form der Darstellung erstrecke. In pwa_034.031
der antiken Kunst beherrscht, wie wir gesehen, die Einheit die Mannigfaltigkeit; pwa_034.032
in der modernen Kunst dagegen wird die Einheit von pwa_034.033
der Mannigfaltigkeit verdeckt. Die antike Simplicität zeigt sich auch pwa_034.034
in der antiken Verskunst, während die modernen metrischen Formen pwa_034.035
der Simplicität ermangeln. Den Griechen genügt der Rhythmus, genügt pwa_034.036
der Wechsel von Längen und Kürzen; die ganze moderne Poesie pwa_034.037
verlangt ausser dem einfachen Rhythmus der poetischen Rede noch pwa_034.038
eine bunte Ausschmückung derselben, die Allitteration, die Assonanz, pwa_034.039
den Reim. Den Reim, welchen die Deutschen und die übrigen Völker pwa_034.040
von den spätern Römern entlehnten, hatten schon die früheren pwa_034.041
Römer, wenn schon er vor den erborgten griechischen Formen ihrer

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Deutschen an die Stelle der gesungenen und darum in Versen abgefassten pwa_034.002
Heldengedichte die bloss zum Lesen bestimmten prosaischen pwa_034.003
Romane getreten, und so giebt es auch prosaische Dramen. Sieht pwa_034.004
man jedoch von solchen einzelnen, freilich sanctionierten Begriffswidrigkeiten pwa_034.005
ab, so ist der Poesie nach wie vor das Bedürfniss der pwa_034.006
metrischen Form geblieben, und man findet die rhythmische Ordnung pwa_034.007
und Gliederung der Rede auch da erforderlich, wo dieselbe nicht pwa_034.008
mehr zur Verknüpfung mit andern Künsten dienen kann, wie in der pwa_034.009
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äussern Zweckbeziehungen, sondern vielmehr auf dem Princip, pwa_034.011
das jede künstlerische Production von innen heraus beleben und gestalten pwa_034.012
soll, dem Princip der Schönheit.

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Noch ist auf die eigenthümliche Stellung aufmerksam zu machen, pwa_034.014
welche die metrische Form gegenüber der poetischen Anschauung und pwa_034.015
dem sprachlichen Material der Darstellung einnimmt. Die Anschauung pwa_034.016
ist eine bewegte, vorwärts schreitende, ebenso die Rede, aber nicht pwa_034.017
ebenso die metrische Form: diese beharrt in demselben Wechsel derselben pwa_034.018
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wieder. Dieser Widerstand, welchen somit die metrische Form dem pwa_034.021
Strom der Rede entgegenstellt, ist nicht ohne Bedeutung: auch so pwa_034.022
wird auf einem neuen Wege dem Princip der Kunst genügt: das pwa_034.023
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zu der anderweitigen Darstellung ergeben, davon besser späterhin, pwa_034.027
wo von den einzelnen Gattungen der Poesie die Rede sein wird.

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Hier soll endlich nur noch diess Eine beachtet und betrachtet pwa_034.029
werden, wie der früher bezeichnete Unterschied antiker und moderner pwa_034.030
Kunst sich bis auf die metrische Form der Darstellung erstrecke. In pwa_034.031
der antiken Kunst beherrscht, wie wir gesehen, die Einheit die Mannigfaltigkeit; pwa_034.032
in der modernen Kunst dagegen wird die Einheit von pwa_034.033
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verlangt ausser dem einfachen Rhythmus der poetischen Rede noch pwa_034.038
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/52>, abgerufen am 21.11.2024.