Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_054.001 1 pwa_054.038 ) Br. Grimm, K. u. HM. Nr. 142. 2 pwa_054.039
) Ebenda Nr. 50. 92. Vgl. auch die Anmerkungen Bd. 3, 85. 168. Beispiel für pwa_054.040 den Gegensatz zwischen Sage und Märchen: Deutsche Sagen No. 486 (Kaiser Heinrich pwa_054.041 III.) vgl. mit K. und HM. No. 29. pwa_054.001 1 pwa_054.038 ) Br. Grimm, K. u. HM. Nr. 142. 2 pwa_054.039
) Ebenda Nr. 50. 92. Vgl. auch die Anmerkungen Bd. 3, 85. 168. Beispiel für pwa_054.040 den Gegensatz zwischen Sage und Märchen: Deutsche Sagen No. 486 (Kaiser Heinrich pwa_054.041 III.) vgl. mit K. und HM. No. 29. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0072" n="54"/><lb n="pwa_054.001"/> Anschein. Was das Märchen erzählt, ist nicht einmal willkürlich in <lb n="pwa_054.002"/> eine bestimmte Zeit oder Localität gerückt: in der Regel tragen die <lb n="pwa_054.003"/> Personen, die darin handeln, die Orte, an denen sie sich bewegen, <lb n="pwa_054.004"/> gar keinen Namen, oder wo es geschieht, wird damit doch keine <lb n="pwa_054.005"/> historische Glaubwürdigkeit angesprochen: es sind dann etwa Namen, <lb n="pwa_054.006"/> die viele tausend allerwärts tragen und getragen haben, z. B. Hans, <lb n="pwa_054.007"/> oder solche, die sich gleich selber als nirgend in der Welt vorhanden <lb n="pwa_054.008"/> und als blosse Spiele der Phantasie kund geben, z. B. der Berg <lb n="pwa_054.009"/> Semsi<note xml:id="pwa_054_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_054.038"/> ) Br. Grimm, K. u. HM. Nr. 142.</note>. Was das Märchen von Riesen und Zwergen erzählt, hat <lb n="pwa_054.010"/> nirgend weder im Raume noch in der Zeit einen Anhalt; es giebt <lb n="pwa_054.011"/> auch deutsche Märchen, die aus den Mythen von eben jenem Gotte <lb n="pwa_054.012"/> erwachsen sind, welchen die spätere Sage Siegfried nennt<note xml:id="pwa_054_2" place="foot" n="2"><lb n="pwa_054.039"/> ) Ebenda Nr. 50. 92. Vgl. auch die Anmerkungen Bd. 3, 85. 168. Beispiel für <lb n="pwa_054.040"/> den Gegensatz zwischen Sage und Märchen: Deutsche Sagen No. 486 (Kaiser Heinrich <lb n="pwa_054.041"/> III.) vgl. mit K. und HM. No. 29.</note>: aber vergleicht <lb n="pwa_054.013"/> man sie mit diesen Sagen, so sieht man recht, wie die Sage <lb n="pwa_054.014"/> den Mythus vergröbert, das Märchen ihn verflüchtigt. Wenn die Sagen <lb n="pwa_054.015"/> bei verschiedenen Völkern übereinstimmen, so stimmen sie überein <lb n="pwa_054.016"/> trotz ihrem nationalen Gepräge: stimmen Märchen überein, so hat <lb n="pwa_054.017"/> das eher seine Nothwendigkeit: denn sie, der allgemein menschliche <lb n="pwa_054.018"/> Rückstand des Mythus nach Abzug der beschränkenden Nationalität, <lb n="pwa_054.019"/> wollen nirgend mehr eine ausschliessliche Heimat besitzen. Darum <lb n="pwa_054.020"/> sind die Uebereinstimmungen auch viel häufiger. Die Sage gebärdet <lb n="pwa_054.021"/> sich auch da, wo die Phantasie den allergrössten Antheil an ihr hat, <lb n="pwa_054.022"/> immer noch als Werk des Gedächtnisses: denn sie soll für wahrhafte <lb n="pwa_054.023"/> Geschichte gelten; das Märchen verleugnet niemals, dass es seinen <lb n="pwa_054.024"/> Ursprung bloss aus der Phantasie genommen; man glaubt es nicht, <lb n="pwa_054.025"/> wie man die Sage glaubt, nicht durch einen Schein von äusserer <lb n="pwa_054.026"/> Wahrheit betrogen, sondern gefangen durch die innere Wahrheit, <lb n="pwa_054.027"/> durch den höheren Glanz der göttlichen Idee, der noch vom Mythus <lb n="pwa_054.028"/> her an ihm haftet. Darum verfährt hier die Phantasie auch viel ungebundener, <lb n="pwa_054.029"/> kecker, leichtsinniger; darum wird sie auch bei märchenhaften <lb n="pwa_054.030"/> Anschauungen öfter mit Verstand und Gefühl in Conflict gerathen, <lb n="pwa_054.031"/> als das bei sagenhaften der Fall ist: Spott und Laune und Wehmuth <lb n="pwa_054.032"/> und Humor sind demnach im Märchen recht eigentlich zu Hause, <lb n="pwa_054.033"/> wie sie auch dem Mythus nicht fremde sind: denn auch der Mythus <lb n="pwa_054.034"/> bildet sich unter vorwaltender Thätigkeit der Phantasie. Die Sage <lb n="pwa_054.035"/> dagegen weiss von all dem so gut als nichts: hier lässt sich die Einbildungskraft, <lb n="pwa_054.036"/> weil sie nicht mit so spielender Willkür schaltet, keinen <lb n="pwa_054.037"/> unvermittelten Widerspruch gefallen; und tritt ein Widerspruch ein, so </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0072]
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Anschein. Was das Märchen erzählt, ist nicht einmal willkürlich in pwa_054.002
eine bestimmte Zeit oder Localität gerückt: in der Regel tragen die pwa_054.003
Personen, die darin handeln, die Orte, an denen sie sich bewegen, pwa_054.004
gar keinen Namen, oder wo es geschieht, wird damit doch keine pwa_054.005
historische Glaubwürdigkeit angesprochen: es sind dann etwa Namen, pwa_054.006
die viele tausend allerwärts tragen und getragen haben, z. B. Hans, pwa_054.007
oder solche, die sich gleich selber als nirgend in der Welt vorhanden pwa_054.008
und als blosse Spiele der Phantasie kund geben, z. B. der Berg pwa_054.009
Semsi 1. Was das Märchen von Riesen und Zwergen erzählt, hat pwa_054.010
nirgend weder im Raume noch in der Zeit einen Anhalt; es giebt pwa_054.011
auch deutsche Märchen, die aus den Mythen von eben jenem Gotte pwa_054.012
erwachsen sind, welchen die spätere Sage Siegfried nennt 2: aber vergleicht pwa_054.013
man sie mit diesen Sagen, so sieht man recht, wie die Sage pwa_054.014
den Mythus vergröbert, das Märchen ihn verflüchtigt. Wenn die Sagen pwa_054.015
bei verschiedenen Völkern übereinstimmen, so stimmen sie überein pwa_054.016
trotz ihrem nationalen Gepräge: stimmen Märchen überein, so hat pwa_054.017
das eher seine Nothwendigkeit: denn sie, der allgemein menschliche pwa_054.018
Rückstand des Mythus nach Abzug der beschränkenden Nationalität, pwa_054.019
wollen nirgend mehr eine ausschliessliche Heimat besitzen. Darum pwa_054.020
sind die Uebereinstimmungen auch viel häufiger. Die Sage gebärdet pwa_054.021
sich auch da, wo die Phantasie den allergrössten Antheil an ihr hat, pwa_054.022
immer noch als Werk des Gedächtnisses: denn sie soll für wahrhafte pwa_054.023
Geschichte gelten; das Märchen verleugnet niemals, dass es seinen pwa_054.024
Ursprung bloss aus der Phantasie genommen; man glaubt es nicht, pwa_054.025
wie man die Sage glaubt, nicht durch einen Schein von äusserer pwa_054.026
Wahrheit betrogen, sondern gefangen durch die innere Wahrheit, pwa_054.027
durch den höheren Glanz der göttlichen Idee, der noch vom Mythus pwa_054.028
her an ihm haftet. Darum verfährt hier die Phantasie auch viel ungebundener, pwa_054.029
kecker, leichtsinniger; darum wird sie auch bei märchenhaften pwa_054.030
Anschauungen öfter mit Verstand und Gefühl in Conflict gerathen, pwa_054.031
als das bei sagenhaften der Fall ist: Spott und Laune und Wehmuth pwa_054.032
und Humor sind demnach im Märchen recht eigentlich zu Hause, pwa_054.033
wie sie auch dem Mythus nicht fremde sind: denn auch der Mythus pwa_054.034
bildet sich unter vorwaltender Thätigkeit der Phantasie. Die Sage pwa_054.035
dagegen weiss von all dem so gut als nichts: hier lässt sich die Einbildungskraft, pwa_054.036
weil sie nicht mit so spielender Willkür schaltet, keinen pwa_054.037
unvermittelten Widerspruch gefallen; und tritt ein Widerspruch ein, so
1 pwa_054.038
) Br. Grimm, K. u. HM. Nr. 142.
2 pwa_054.039
) Ebenda Nr. 50. 92. Vgl. auch die Anmerkungen Bd. 3, 85. 168. Beispiel für pwa_054.040
den Gegensatz zwischen Sage und Märchen: Deutsche Sagen No. 486 (Kaiser Heinrich pwa_054.041
III.) vgl. mit K. und HM. No. 29.
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