Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776. Evchen. Dem Magister trau ich am allerwe- nigsten; seine Luchsaugen haben mich schon mehr als einmal außer Fassung gebracht. -- Der Auf- trag, den sie ihm gestern gaben, gieng ihm gewal- tig im Kopf herum; ich sahs ihm an, und stellte mich, als wäre mir gar nichts daran gelegen. v. Gröningseck. Sollte er wohl niederträchtig genug seyn, ihnen schaden zu wollen? Evchen. Das nicht, Gröningseck! -- bös meynt ers nicht mit mir, vielleicht nur zu gut. So viel ich merke, hat er heimlich Absichten auf mich; meine Mutter mag mit drunter stecken. -- Die Herren sinds gewohnt, sich als Kandidaten schon ihr Mädchen zu wählen; kriegen sie hernach in zehn, funfzehn Jahren eine Dorfpfarrey, so dör- fen sie nicht lang nach einer Frau suchen. v. Gröningseck. Bis dorthin können wir ihm vielleicht selbst mit einer Tochter bedient seyn. Evchen. Sorgen sie nur, daß sie sich ihrer Mutter nicht schämen darf. -- Jetzt gehn sie; die Nachbarn sinds nicht gewohnt, so lange Licht bey mir zu sehn. -- v. Gröningseck. Bekümmert sich Evchen auch um die? -- Evchen. Wenns da (aufs Herz deutend) nicht richtig ist, -- wenn das uns Vorwürfe macht, so fürchtet man sich vor seinem eignen Schat- ten. -- Jetzt gehn sie, sag ich; -- morgen können sie mich noch bey meiner Mutter sehn. Sie neh- men doch Abschied bey ihr? v. Grö-
Evchen. Dem Magiſter trau ich am allerwe- nigſten; ſeine Luchsaugen haben mich ſchon mehr als einmal außer Faſſung gebracht. — Der Auf- trag, den ſie ihm geſtern gaben, gieng ihm gewal- tig im Kopf herum; ich ſahs ihm an, und ſtellte mich, als waͤre mir gar nichts daran gelegen. v. Groͤningseck. Sollte er wohl niedertraͤchtig genug ſeyn, ihnen ſchaden zu wollen? Evchen. Das nicht, Groͤningseck! — boͤs meynt ers nicht mit mir, vielleicht nur zu gut. So viel ich merke, hat er heimlich Abſichten auf mich; meine Mutter mag mit drunter ſtecken. — Die Herren ſinds gewohnt, ſich als Kandidaten ſchon ihr Maͤdchen zu waͤhlen; kriegen ſie hernach in zehn, funfzehn Jahren eine Dorfpfarrey, ſo doͤr- fen ſie nicht lang nach einer Frau ſuchen. v. Groͤningseck. Bis dorthin koͤnnen wir ihm vielleicht ſelbſt mit einer Tochter bedient ſeyn. Evchen. Sorgen ſie nur, daß ſie ſich ihrer Mutter nicht ſchaͤmen darf. — Jetzt gehn ſie; die Nachbarn ſinds nicht gewohnt, ſo lange Licht bey mir zu ſehn. — v. Groͤningseck. Bekuͤmmert ſich Evchen auch um die? — Evchen. Wenns da (aufs Herz deutend) nicht richtig iſt, — wenn das uns Vorwuͤrfe macht, ſo fuͤrchtet man ſich vor ſeinem eignen Schat- ten. — Jetzt gehn ſie, ſag ich; — morgen koͤnnen ſie mich noch bey meiner Mutter ſehn. Sie neh- men doch Abſchied bey ihr? v. Groͤ-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0077" n="75"/> <fw place="top" type="header"> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </fw> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Dem Magiſter trau ich am allerwe-<lb/> nigſten; ſeine Luchsaugen haben mich ſchon mehr<lb/> als einmal außer Faſſung gebracht. — Der Auf-<lb/> trag, den ſie ihm geſtern gaben, gieng ihm gewal-<lb/> tig im Kopf herum; ich ſahs ihm an, und ſtellte<lb/> mich, als waͤre mir gar nichts daran gelegen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#b">v. Groͤningseck.</hi> </speaker> <p>Sollte er wohl niedertraͤchtig<lb/> genug ſeyn, ihnen ſchaden zu wollen?</p> </sp><lb/> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Das nicht, Groͤningseck! — boͤs meynt<lb/> ers nicht mit mir, vielleicht nur zu gut. So viel<lb/> ich merke, hat er heimlich Abſichten auf mich;<lb/> meine Mutter mag mit drunter ſtecken. — Die<lb/> Herren ſinds gewohnt, ſich als Kandidaten ſchon<lb/> ihr Maͤdchen zu waͤhlen; kriegen ſie hernach in<lb/> zehn, funfzehn Jahren eine Dorfpfarrey, ſo doͤr-<lb/> fen ſie nicht lang nach einer Frau ſuchen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#b">v. Groͤningseck.</hi> </speaker> <p>Bis dorthin koͤnnen wir ihm<lb/> vielleicht ſelbſt mit einer Tochter bedient ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Sorgen ſie nur, daß ſie ſich ihrer<lb/> Mutter nicht ſchaͤmen darf. — Jetzt gehn ſie; die<lb/> Nachbarn ſinds nicht gewohnt, ſo lange Licht bey<lb/> mir zu ſehn. —</p> </sp><lb/> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#b">v. Groͤningseck.</hi> </speaker> <p>Bekuͤmmert ſich Evchen auch<lb/> um die? —</p> </sp><lb/> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Wenns da <stage>(aufs Herz deutend)</stage> nicht<lb/> richtig iſt, — wenn das uns Vorwuͤrfe macht,<lb/> ſo fuͤrchtet man ſich vor ſeinem eignen Schat-<lb/> ten. — Jetzt gehn ſie, ſag ich; — morgen koͤnnen<lb/> ſie mich noch bey meiner Mutter ſehn. Sie neh-<lb/> men doch Abſchied bey ihr?</p> </sp><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">v. Groͤ-</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [75/0077]
Evchen. Dem Magiſter trau ich am allerwe-
nigſten; ſeine Luchsaugen haben mich ſchon mehr
als einmal außer Faſſung gebracht. — Der Auf-
trag, den ſie ihm geſtern gaben, gieng ihm gewal-
tig im Kopf herum; ich ſahs ihm an, und ſtellte
mich, als waͤre mir gar nichts daran gelegen.
v. Groͤningseck. Sollte er wohl niedertraͤchtig
genug ſeyn, ihnen ſchaden zu wollen?
Evchen. Das nicht, Groͤningseck! — boͤs meynt
ers nicht mit mir, vielleicht nur zu gut. So viel
ich merke, hat er heimlich Abſichten auf mich;
meine Mutter mag mit drunter ſtecken. — Die
Herren ſinds gewohnt, ſich als Kandidaten ſchon
ihr Maͤdchen zu waͤhlen; kriegen ſie hernach in
zehn, funfzehn Jahren eine Dorfpfarrey, ſo doͤr-
fen ſie nicht lang nach einer Frau ſuchen.
v. Groͤningseck. Bis dorthin koͤnnen wir ihm
vielleicht ſelbſt mit einer Tochter bedient ſeyn.
Evchen. Sorgen ſie nur, daß ſie ſich ihrer
Mutter nicht ſchaͤmen darf. — Jetzt gehn ſie; die
Nachbarn ſinds nicht gewohnt, ſo lange Licht bey
mir zu ſehn. —
v. Groͤningseck. Bekuͤmmert ſich Evchen auch
um die? —
Evchen. Wenns da (aufs Herz deutend) nicht
richtig iſt, — wenn das uns Vorwuͤrfe macht,
ſo fuͤrchtet man ſich vor ſeinem eignen Schat-
ten. — Jetzt gehn ſie, ſag ich; — morgen koͤnnen
ſie mich noch bey meiner Mutter ſehn. Sie neh-
men doch Abſchied bey ihr?
v. Groͤ-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |