Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Menschen oder in seiner Ableitung vom Menschen das Auf die Bühne des Architekten und Malers tritt nun *) Dem modernen Landschaftsmaler kann es nicht gleich¬
gültig sein zu gewahren, von wie Wenigen in Wahrheit sein Werk heut zu Tage verstanden, mit welch stumpfsinnigem, blödem Behagen von der Philisterwelt, die ihn bezahlt, sein Natur¬ gemälde eben nur beklotzt wird; wie die sogenannte schöne Gegend der bloßen müssigen, gedankenlosen Schaulust dersel¬ ben Menschen, ohne Bedürfniß, Befriedigung zu gewähren im Stande ist, deren Hörsinn durch unsre moderne inhalstlose Musik¬ macherei nicht minder bis zu jener albernen Freude ergötzt wird, die dem Künstler ein ebenso ekelhafter Lohn für seine Leistung ist, als sie der Absicht des Industriellen allerdings vollkommen entspricht. Unter der "schönen Gegend" und der "hübschen klin¬ genden Musik" unserer Zeit herrscht eine traurige Verwandtschaft, deren Verbindungsglied der sinnige Gedanke ganz gewiß nicht ist, sondern jene schwapperige, niederkrächtige Gemüthlichkeit, die sich vom Anblick der menschlichen Leiden in der Umgebung eigen¬ süchtig zurückwendet, um sich ein Privathimmelchen im blauen Dunste der Naturallgemeinheit zu miethen: Alles hören und sehen diese Gemüthlichen gern, nur nicht den wirklichen, unent¬ stellten Menschen, der mahnend am Ausgange ihrer Träume steht. Gerade diesen müssen wir nun aber in den Vor¬ dergrund stellen! Menſchen oder in ſeiner Ableitung vom Menſchen das Auf die Bühne des Architekten und Malers tritt nun *) Dem modernen Landſchaftsmaler kann es nicht gleich¬
gültig ſein zu gewahren, von wie Wenigen in Wahrheit ſein Werk heut zu Tage verſtanden, mit welch ſtumpfſinnigem, blödem Behagen von der Philiſterwelt, die ihn bezahlt, ſein Natur¬ gemälde eben nur beklotzt wird; wie die ſogenannte ſchöne Gegend der bloßen müſſigen, gedankenloſen Schauluſt derſel¬ ben Menſchen, ohne Bedürfniß, Befriedigung zu gewähren im Stande iſt, deren Hörſinn durch unſre moderne inhalstloſe Muſik¬ macherei nicht minder bis zu jener albernen Freude ergötzt wird, die dem Künſtler ein ebenſo ekelhafter Lohn für ſeine Leiſtung iſt, als ſie der Abſicht des Induſtriellen allerdings vollkommen entſpricht. Unter der „ſchönen Gegend“ und der „hübſchen klin¬ genden Muſik“ unſerer Zeit herrſcht eine traurige Verwandtſchaft, deren Verbindungsglied der ſinnige Gedanke ganz gewiß nicht iſt, ſondern jene ſchwapperige, niederkrächtige Gemüthlichkeit, die ſich vom Anblick der menſchlichen Leiden in der Umgebung eigen¬ ſüchtig zurückwendet, um ſich ein Privathimmelchen im blauen Dunſte der Naturallgemeinheit zu miethen: Alles hören und ſehen dieſe Gemüthlichen gern, nur nicht den wirklichen, unent¬ ſtellten Menſchen, der mahnend am Ausgange ihrer Träume ſteht. Gerade dieſen müſſen wir nun aber in den Vor¬ dergrund ſtellen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="194"/> Menſchen oder in ſeiner Ableitung vom Menſchen das<lb/> Kunſtwerk beleben und rechtfertigen kann, dem <hi rendition="#g">Drama</hi><lb/> zureift. Allverſtändlich, vollkommen begriffen und gerecht¬<lb/> fertigt wird jedes Kunſtſchaffen in dem Grade, als es im<lb/> Drama aufgeht, vom Drama durchleuchtet wird. <note place="foot" n="*)"><lb/> Dem modernen Landſchaftsmaler kann es nicht gleich¬<lb/> gültig ſein zu gewahren, von wie Wenigen in Wahrheit ſein<lb/> Werk heut zu Tage verſtanden, mit welch ſtumpfſinnigem, blödem<lb/> Behagen von der Philiſterwelt, die ihn bezahlt, ſein Natur¬<lb/> gemälde eben nur beklotzt wird; wie die ſogenannte <hi rendition="#g">ſchöne<lb/> Gegend</hi> der bloßen müſſigen, gedankenloſen Schauluſt <hi rendition="#g">derſel¬<lb/> ben</hi> Menſchen, <hi rendition="#g">ohne</hi> Bedürfniß, Befriedigung zu gewähren im<lb/> Stande iſt, deren Hörſinn durch unſre moderne inhalstloſe Muſik¬<lb/> macherei nicht minder bis zu jener albernen Freude ergötzt wird,<lb/> die dem <hi rendition="#g">Künſtler</hi> ein ebenſo ekelhafter Lohn für ſeine Leiſtung<lb/> iſt, als ſie der Abſicht des <hi rendition="#g">Induſtriellen</hi> allerdings vollkommen<lb/> entſpricht. Unter der „ſchönen Gegend“ und der „hübſchen klin¬<lb/> genden Muſik“ unſerer Zeit herrſcht eine traurige Verwandtſchaft,<lb/> deren Verbindungsglied der ſinnige Gedanke ganz gewiß nicht iſt,<lb/> ſondern jene ſchwapperige, niederkrächtige <hi rendition="#g">Gemüthlichkeit</hi>, die<lb/> ſich vom Anblick der menſchlichen Leiden in der Umgebung eigen¬<lb/> ſüchtig zurückwendet, um ſich ein Privathimmelchen im blauen<lb/> Dunſte der Naturallgemeinheit zu miethen: Alles hören und ſehen<lb/> dieſe Gemüthlichen gern, nur nicht den <hi rendition="#g">wirklichen</hi>, <hi rendition="#g">unent¬<lb/> ſtellten Menſchen</hi>, der mahnend am Ausgange ihrer Träume<lb/> ſteht. <hi rendition="#g">Gerade dieſen müſſen wir nun aber in den Vor¬<lb/> dergrund ſtellen</hi>!</note>—</p><lb/> <p>Auf die Bühne des Architekten und Malers tritt nun<lb/> der <hi rendition="#g">künſtleriſche Menſch</hi>, wie der natürliche Menſch<lb/> auf den Schauplatz der Natur. Was <hi rendition="#g">Bildhauer</hi> und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [194/0210]
Menſchen oder in ſeiner Ableitung vom Menſchen das
Kunſtwerk beleben und rechtfertigen kann, dem Drama
zureift. Allverſtändlich, vollkommen begriffen und gerecht¬
fertigt wird jedes Kunſtſchaffen in dem Grade, als es im
Drama aufgeht, vom Drama durchleuchtet wird. *)—
Auf die Bühne des Architekten und Malers tritt nun
der künſtleriſche Menſch, wie der natürliche Menſch
auf den Schauplatz der Natur. Was Bildhauer und
*)
Dem modernen Landſchaftsmaler kann es nicht gleich¬
gültig ſein zu gewahren, von wie Wenigen in Wahrheit ſein
Werk heut zu Tage verſtanden, mit welch ſtumpfſinnigem, blödem
Behagen von der Philiſterwelt, die ihn bezahlt, ſein Natur¬
gemälde eben nur beklotzt wird; wie die ſogenannte ſchöne
Gegend der bloßen müſſigen, gedankenloſen Schauluſt derſel¬
ben Menſchen, ohne Bedürfniß, Befriedigung zu gewähren im
Stande iſt, deren Hörſinn durch unſre moderne inhalstloſe Muſik¬
macherei nicht minder bis zu jener albernen Freude ergötzt wird,
die dem Künſtler ein ebenſo ekelhafter Lohn für ſeine Leiſtung
iſt, als ſie der Abſicht des Induſtriellen allerdings vollkommen
entſpricht. Unter der „ſchönen Gegend“ und der „hübſchen klin¬
genden Muſik“ unſerer Zeit herrſcht eine traurige Verwandtſchaft,
deren Verbindungsglied der ſinnige Gedanke ganz gewiß nicht iſt,
ſondern jene ſchwapperige, niederkrächtige Gemüthlichkeit, die
ſich vom Anblick der menſchlichen Leiden in der Umgebung eigen¬
ſüchtig zurückwendet, um ſich ein Privathimmelchen im blauen
Dunſte der Naturallgemeinheit zu miethen: Alles hören und ſehen
dieſe Gemüthlichen gern, nur nicht den wirklichen, unent¬
ſtellten Menſchen, der mahnend am Ausgange ihrer Träume
ſteht. Gerade dieſen müſſen wir nun aber in den Vor¬
dergrund ſtellen!
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Zitationshilfe: | Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/210>, abgerufen am 16.02.2025. |