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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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aber ein Organ gebildet, welches des unermeßlichsten Aus¬
druckes fähig ist, und dieß ist das Orchester. Die Ton¬
sprache Beethovens, durch das Orchester in das Drama ein¬
geführt, ist ein ganz neues Moment für das dramatische
Kunstwerk. Vermögen die Architektur und namentlich
die scenische Landschaftsmalerei den darstellenden drama¬
tischen Künstler in die Umgebung der physischen Natur zu
stellen, und ihm aus dem unerschöpflichen Borne natür¬
licher Erscheinung einen immer reichen und beziehungs¬
vollen Hintergrund zu geben, -- so ist im Orchester, die¬
sem lebensvollen Körper unermeßlich mannigfaltiger Har¬
monie, dem darstellenden individuellen Menschen ein un¬
versiegbarer Quell gleichsam künstlerisch menschlichen Na¬
turelementes zur Unterlage gegeben. Das Orchester ist,
so zu sagen, der Boden unendlichen allgemeinsamen Ge¬
fühles, aus dem das individuelle Gefühl des einzelnen
Darstellers zur höchsten Fülle herauszuwachsen vermag: es
löst den starren, unbeweglichen Boden der wirklichen Scene
gewissermaßen in eine flüssigweich nachgiebige, eindruck-
empfängliche, ätherische Fläche auf, deren ungemessener
Grund das Meer des Gefühles selbst ist. So gleicht das
Orchester der Erde, die dem Anteos, sobald er sie mit
seinen Füßen berührte, neue unsterbliche Lebenskraft gab.
Seinem Wesen nach vollkommen der scenischen Naturum¬
gebung des Darstellers entgegengesetzt, und deshalb als

aber ein Organ gebildet, welches des unermeßlichſten Aus¬
druckes fähig iſt, und dieß iſt das Orcheſter. Die Ton¬
ſprache Beethovens, durch das Orcheſter in das Drama ein¬
geführt, iſt ein ganz neues Moment für das dramatiſche
Kunſtwerk. Vermögen die Architektur und namentlich
die ſceniſche Landſchaftsmalerei den darſtellenden drama¬
tiſchen Künſtler in die Umgebung der phyſiſchen Natur zu
ſtellen, und ihm aus dem unerſchöpflichen Borne natür¬
licher Erſcheinung einen immer reichen und beziehungs¬
vollen Hintergrund zu geben, — ſo iſt im Orcheſter, die¬
ſem lebensvollen Körper unermeßlich mannigfaltiger Har¬
monie, dem darſtellenden individuellen Menſchen ein un¬
verſiegbarer Quell gleichſam künſtleriſch menſchlichen Na¬
turelementes zur Unterlage gegeben. Das Orcheſter iſt,
ſo zu ſagen, der Boden unendlichen allgemeinſamen Ge¬
fühles, aus dem das individuelle Gefühl des einzelnen
Darſtellers zur höchſten Fülle herauszuwachſen vermag: es
löſt den ſtarren, unbeweglichen Boden der wirklichen Scene
gewiſſermaßen in eine flüſſigweich nachgiebige, eindruck-
empfängliche, ätheriſche Fläche auf, deren ungemeſſener
Grund das Meer des Gefühles ſelbſt iſt. So gleicht das
Orcheſter der Erde, die dem Anteos, ſobald er ſie mit
ſeinen Füßen berührte, neue unſterbliche Lebenskraft gab.
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[198/0214] aber ein Organ gebildet, welches des unermeßlichſten Aus¬ druckes fähig iſt, und dieß iſt das Orcheſter. Die Ton¬ ſprache Beethovens, durch das Orcheſter in das Drama ein¬ geführt, iſt ein ganz neues Moment für das dramatiſche Kunſtwerk. Vermögen die Architektur und namentlich die ſceniſche Landſchaftsmalerei den darſtellenden drama¬ tiſchen Künſtler in die Umgebung der phyſiſchen Natur zu ſtellen, und ihm aus dem unerſchöpflichen Borne natür¬ licher Erſcheinung einen immer reichen und beziehungs¬ vollen Hintergrund zu geben, — ſo iſt im Orcheſter, die¬ ſem lebensvollen Körper unermeßlich mannigfaltiger Har¬ monie, dem darſtellenden individuellen Menſchen ein un¬ verſiegbarer Quell gleichſam künſtleriſch menſchlichen Na¬ turelementes zur Unterlage gegeben. Das Orcheſter iſt, ſo zu ſagen, der Boden unendlichen allgemeinſamen Ge¬ fühles, aus dem das individuelle Gefühl des einzelnen Darſtellers zur höchſten Fülle herauszuwachſen vermag: es löſt den ſtarren, unbeweglichen Boden der wirklichen Scene gewiſſermaßen in eine flüſſigweich nachgiebige, eindruck- empfängliche, ätheriſche Fläche auf, deren ungemeſſener Grund das Meer des Gefühles ſelbſt iſt. So gleicht das Orcheſter der Erde, die dem Anteos, ſobald er ſie mit ſeinen Füßen berührte, neue unſterbliche Lebenskraft gab. Seinem Weſen nach vollkommen der ſceniſchen Naturum¬ gebung des Darſtellers entgegengeſetzt, und deshalb als

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/214>, abgerufen am 21.11.2024.