Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

das allgemeinste Kunstwerk zugleich das einzig wirk¬
liche, freie, d. h. das allgemein verständliche Kunst¬
werk.


V.
Der Künstler der Zukunft.

Haben wir in allgemeinen Zügen das Wesen des
Kunstwerkes angedeutet, in welchem alle Künste zu ihrer

das Nothwendigste ist, sich dieser vollkommen unterzuordnen
hat; daß aber gerade die Musik die Fähigkeit besitzt, ohne gänzlich
zu schweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache sich so
unmerklich anzuschmiegen, daß sie diese fast allein gewähren läßt,
während sie dennoch sie unterstützt. Erkennt dieß der Dichter an,
so hat er zweitens nun einzusehen, daß Gedanken und Situationen,
denen auch die leiseste und zurückhaltendste Unterstützung der Musik
noch zudringlich und lästig erscheinen müßte, nur dem Geiste
unsres modernen Schauspieles entnommen sein könnten, der in
dem Kunstwerke der Zukunft ganz und gar keinen Raum zum Ath¬
men mehr finden wird. Der Mensch, der im Drama der Zukunft
sich darstellen wird, hat mit dem prosaisch intriguanten, staats¬
modegesetzlichen Wirrwarr, den unsre modernen Dichter in einem
Schauspiele auf das Umständlichste zu wirren und zu entwirren
haben, durchaus nichts mehr zu thun: sein naturgesetzliches Han¬
deln und Reden ist: Ja, ja! und Nein, nein! wogegen alles
Weitere von Uebel, d. h. modern, überflüssig ist.

das allgemeinſte Kunſtwerk zugleich das einzig wirk¬
liche, freie, d. h. das allgemein verſtändliche Kunſt¬
werk.


V.
Der Künſtler der Zukunft.

Haben wir in allgemeinen Zügen das Weſen des
Kunſtwerkes angedeutet, in welchem alle Künſte zu ihrer

das Nothwendigſte iſt, ſich dieſer vollkommen unterzuordnen
hat; daß aber gerade die Muſik die Fähigkeit beſitzt, ohne gänzlich
zu ſchweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache ſich ſo
unmerklich anzuſchmiegen, daß ſie dieſe faſt allein gewähren läßt,
während ſie dennoch ſie unterſtützt. Erkennt dieß der Dichter an,
ſo hat er zweitens nun einzuſehen, daß Gedanken und Situationen,
denen auch die leiſeſte und zurückhaltendſte Unterſtützung der Muſik
noch zudringlich und läſtig erſcheinen müßte, nur dem Geiſte
unſres modernen Schauſpieles entnommen ſein könnten, der in
dem Kunſtwerke der Zukunft ganz und gar keinen Raum zum Ath¬
men mehr finden wird. Der Menſch, der im Drama der Zukunft
ſich darſtellen wird, hat mit dem proſaiſch intriguanten, ſtaats¬
modegeſetzlichen Wirrwarr, den unſre modernen Dichter in einem
Schauſpiele auf das Umſtändlichſte zu wirren und zu entwirren
haben, durchaus nichts mehr zu thun: ſein naturgeſetzliches Han¬
deln und Reden iſt: Ja, ja! und Nein, nein! wogegen alles
Weitere von Uebel, d. h. modern, überflüſſig iſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="204"/>
das <hi rendition="#g">allgemein&#x017F;te</hi> Kun&#x017F;twerk zugleich das einzig wirk¬<lb/>
liche, freie, d. h. das allgemein <hi rendition="#g">ver&#x017F;tändliche</hi> Kun&#x017F;<lb/>
werk.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/><hi rendition="#fr">Der Kün&#x017F;tler der Zukunft.</hi><lb/></head>
        <p>Haben wir in allgemeinen Zügen das We&#x017F;en des<lb/>
Kun&#x017F;twerkes angedeutet, in welchem alle Kün&#x017F;te zu ihrer<lb/><note xml:id="note-0220" prev="#note-0219" place="foot" n="*)">das <hi rendition="#g">Nothwendig&#x017F;te</hi> i&#x017F;t, &#x017F;ich die&#x017F;er vollkommen unterzuordnen<lb/>
hat; daß aber gerade die Mu&#x017F;ik die Fähigkeit be&#x017F;itzt, ohne gänzlich<lb/>
zu &#x017F;chweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
unmerklich anzu&#x017F;chmiegen, daß &#x017F;ie die&#x017F;e fa&#x017F;t allein gewähren läßt,<lb/>
während &#x017F;ie dennoch &#x017F;ie unter&#x017F;tützt. Erkennt dieß der Dichter an,<lb/>
&#x017F;o hat er zweitens nun einzu&#x017F;ehen, daß Gedanken und Situationen,<lb/>
denen auch die lei&#x017F;e&#x017F;te und zurückhaltend&#x017F;te Unter&#x017F;tützung der Mu&#x017F;ik<lb/>
noch zudringlich und lä&#x017F;tig er&#x017F;cheinen müßte, nur <hi rendition="#g">dem</hi> Gei&#x017F;te<lb/>
un&#x017F;res modernen Schau&#x017F;pieles entnommen &#x017F;ein könnten, der in<lb/>
dem Kun&#x017F;twerke der Zukunft ganz und gar keinen Raum zum Ath¬<lb/>
men mehr finden wird. Der Men&#x017F;ch, der im Drama der Zukunft<lb/>
&#x017F;ich dar&#x017F;tellen wird, hat mit dem pro&#x017F;ai&#x017F;ch intriguanten, &#x017F;taats¬<lb/>
modege&#x017F;etzlichen Wirrwarr, den un&#x017F;re modernen Dichter in einem<lb/>
Schau&#x017F;piele auf das Um&#x017F;tändlich&#x017F;te zu wirren und zu entwirren<lb/>
haben, durchaus nichts mehr zu thun: &#x017F;ein naturge&#x017F;etzliches Han¬<lb/>
deln und Reden i&#x017F;t: Ja, ja! und Nein, nein! wogegen alles<lb/>
Weitere von Uebel, d. h. modern, überflü&#x017F;&#x017F;ig i&#x017F;t.<lb/></note>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0220] das allgemeinſte Kunſtwerk zugleich das einzig wirk¬ liche, freie, d. h. das allgemein verſtändliche Kunſt¬ werk. V. Der Künſtler der Zukunft. Haben wir in allgemeinen Zügen das Weſen des Kunſtwerkes angedeutet, in welchem alle Künſte zu ihrer *) *) das Nothwendigſte iſt, ſich dieſer vollkommen unterzuordnen hat; daß aber gerade die Muſik die Fähigkeit beſitzt, ohne gänzlich zu ſchweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache ſich ſo unmerklich anzuſchmiegen, daß ſie dieſe faſt allein gewähren läßt, während ſie dennoch ſie unterſtützt. Erkennt dieß der Dichter an, ſo hat er zweitens nun einzuſehen, daß Gedanken und Situationen, denen auch die leiſeſte und zurückhaltendſte Unterſtützung der Muſik noch zudringlich und läſtig erſcheinen müßte, nur dem Geiſte unſres modernen Schauſpieles entnommen ſein könnten, der in dem Kunſtwerke der Zukunft ganz und gar keinen Raum zum Ath¬ men mehr finden wird. Der Menſch, der im Drama der Zukunft ſich darſtellen wird, hat mit dem proſaiſch intriguanten, ſtaats¬ modegeſetzlichen Wirrwarr, den unſre modernen Dichter in einem Schauſpiele auf das Umſtändlichſte zu wirren und zu entwirren haben, durchaus nichts mehr zu thun: ſein naturgeſetzliches Han¬ deln und Reden iſt: Ja, ja! und Nein, nein! wogegen alles Weitere von Uebel, d. h. modern, überflüſſig iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/220
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/220>, abgerufen am 21.11.2024.